sich mir die Menge der Lebensverhältnisse und der Be¬ schäftigungen. Ich hatte den Oberbibliothekar Biester kennen lernen, und dabei von Litteratur und Gelehrten mit ihm so frank und frei gesprochen, als wüßte ich gar nicht, daß er einer besondern und sehr bestimmten Parthei in diesem Reiche angehöre, und uns junge Poeten in seiner Berliner Monatsschrift bitter recensirt habe; daß ich die Schlegel rühmte, Ficht'n bewunderte, Schleiermacher'n prieß, ließ ihn arge Gesichter schnei¬ den, wenn ich dagegen Wolf hoch verehrte, erheiterten sich seine Züge wieder, und er schmunzelte von Wohl¬ gefallen, als ich über Zacharias Werner mich lustig machte; er schien zu glauben, in der neuen Schule gäbe es gar keine Unterschiede, wer ihr angehöre, müsse es mit Haut und Haar, und jedes dumme Götzenbild gut heißen, das irgendwo in der äußern Uebereinstimmung mit dieser Kirche vortrete; er schüttelte den Kopf, sprach aber nicht ungern mit mir, und brachte mich auch in die Säle der Bibliothek. Ich verfiel unter andern auf die deutsche Litteratur aus den Zeiten des dreißigjähri¬ gen Krieges, und las mich bald mit großer Vorliebe hinein. Die Harsdörfer'schen Schriften eröffneten einen Wust halb verarbeiteten poetischen Stoffes, Paul Flem¬ ming, den ich schon früher theilweise gekannt, wurde für immer eines meiner Lieblingsbücher, unerschöpfliche Lust und Nahrung aber gaben mir die Gesichte des Philanders von Sittewald, oder Moscherosch wie der
ſich mir die Menge der Lebensverhaͤltniſſe und der Be¬ ſchaͤftigungen. Ich hatte den Oberbibliothekar Bieſter kennen lernen, und dabei von Litteratur und Gelehrten mit ihm ſo frank und frei geſprochen, als wuͤßte ich gar nicht, daß er einer beſondern und ſehr beſtimmten Parthei in dieſem Reiche angehoͤre, und uns junge Poeten in ſeiner Berliner Monatsſchrift bitter recenſirt habe; daß ich die Schlegel ruͤhmte, Ficht'n bewunderte, Schleiermacher'n prieß, ließ ihn arge Geſichter ſchnei¬ den, wenn ich dagegen Wolf hoch verehrte, erheiterten ſich ſeine Zuͤge wieder, und er ſchmunzelte von Wohl¬ gefallen, als ich uͤber Zacharias Werner mich luſtig machte; er ſchien zu glauben, in der neuen Schule gaͤbe es gar keine Unterſchiede, wer ihr angehoͤre, muͤſſe es mit Haut und Haar, und jedes dumme Goͤtzenbild gut heißen, das irgendwo in der aͤußern Uebereinſtimmung mit dieſer Kirche vortrete; er ſchuͤttelte den Kopf, ſprach aber nicht ungern mit mir, und brachte mich auch in die Saͤle der Bibliothek. Ich verfiel unter andern auf die deutſche Litteratur aus den Zeiten des dreißigjaͤhri¬ gen Krieges, und las mich bald mit großer Vorliebe hinein. Die Harsdoͤrfer'ſchen Schriften eroͤffneten einen Wuſt halb verarbeiteten poetiſchen Stoffes, Paul Flem¬ ming, den ich ſchon fruͤher theilweiſe gekannt, wurde fuͤr immer eines meiner Lieblingsbuͤcher, unerſchoͤpfliche Luſt und Nahrung aber gaben mir die Geſichte des Philanders von Sittewald, oder Moſcheroſch wie der
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[20/0032]
ſich mir die Menge der Lebensverhaͤltniſſe und der Be¬
ſchaͤftigungen. Ich hatte den Oberbibliothekar Bieſter
kennen lernen, und dabei von Litteratur und Gelehrten
mit ihm ſo frank und frei geſprochen, als wuͤßte ich
gar nicht, daß er einer beſondern und ſehr beſtimmten
Parthei in dieſem Reiche angehoͤre, und uns junge
Poeten in ſeiner Berliner Monatsſchrift bitter recenſirt
habe; daß ich die Schlegel ruͤhmte, Ficht'n bewunderte,
Schleiermacher'n prieß, ließ ihn arge Geſichter ſchnei¬
den, wenn ich dagegen Wolf hoch verehrte, erheiterten
ſich ſeine Zuͤge wieder, und er ſchmunzelte von Wohl¬
gefallen, als ich uͤber Zacharias Werner mich luſtig
machte; er ſchien zu glauben, in der neuen Schule gaͤbe
es gar keine Unterſchiede, wer ihr angehoͤre, muͤſſe es
mit Haut und Haar, und jedes dumme Goͤtzenbild gut
heißen, das irgendwo in der aͤußern Uebereinſtimmung
mit dieſer Kirche vortrete; er ſchuͤttelte den Kopf, ſprach
aber nicht ungern mit mir, und brachte mich auch in
die Saͤle der Bibliothek. Ich verfiel unter andern auf
die deutſche Litteratur aus den Zeiten des dreißigjaͤhri¬
gen Krieges, und las mich bald mit großer Vorliebe
hinein. Die Harsdoͤrfer'ſchen Schriften eroͤffneten einen
Wuſt halb verarbeiteten poetiſchen Stoffes, Paul Flem¬
ming, den ich ſchon fruͤher theilweiſe gekannt, wurde
fuͤr immer eines meiner Lieblingsbuͤcher, unerſchoͤpfliche
Luſt und Nahrung aber gaben mir die Geſichte des
Philanders von Sittewald, oder Moſcheroſch wie der
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/32>, abgerufen am 24.11.2024.
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