die engen Straßen fortrückte, und jeden Augenblick schwellend stockte. Alle Glocken läuteten, Freudenschüsse aus Flinten und Pistolen dauerten ununterbrochen fort, alles war trunken und außer sich vor Entzücken. "Vivat Kaiser Alexander, unser Erretter, unser Erlö¬ ser!" und "Hurrah" und "Vivat Tettenborn! Vivat Wittgenstein!" und "Heil den Russen, den Kosaken", und "Heil" und "Lebehoch" ohne Zahl schallte durch die Lüfte, daß alles davon erzitterte. Aus den Fen¬ stern wehten Fahnen und Flaggen; Frauen und Mäd¬ chen schwangen weiße Tücher; Hüte mit grünen Zwei¬ gen sah man auf Degenspitzen und hohen Stangen getragen, oder jauchzend durch die Lüfte geschleudert. Man drängte sich, mit Gefahr zertreten zu werden, zwischen die Pferde, bekränzte sie mit grünen Zweigen und Blumen, die zum Theil aus den Lüften gepflogen kamen, ja man küßte selbst die Pferde im Uebermaße des Glücks. Man sah weinen und lachen vor Freude, Alt und Jung die Hände zum Himmel erheben, Be¬ kannte und Unbekannte einander umarmen und beglück¬ wünschen, mit seinem Todfeinde wollte sich jeder ver¬ söhnen um dieses Tages willen, eine allgemeine Bru¬ derliebe hatte die Menschen ergriffen. In mehreren Straßen waren Brustbilder des Kaisers Alexanders aufgestellt und mit Lorbeere bekränzt, vor jedem der¬ selben hielt Tettenborn still, senkte den Degen, und brachte seinem Kaiser ein Hurrah, das jauchzend von
die engen Straßen fortruͤckte, und jeden Augenblick ſchwellend ſtockte. Alle Glocken laͤuteten, Freudenſchuͤſſe aus Flinten und Piſtolen dauerten ununterbrochen fort, alles war trunken und außer ſich vor Entzuͤcken. „Vivat Kaiſer Alexander, unſer Erretter, unſer Erloͤ¬ ſer!“ und „Hurrah“ und „Vivat Tettenborn! Vivat Wittgenſtein!“ und „Heil den Ruſſen, den Koſaken“, und „Heil“ und „Lebehoch“ ohne Zahl ſchallte durch die Luͤfte, daß alles davon erzitterte. Aus den Fen¬ ſtern wehten Fahnen und Flaggen; Frauen und Maͤd¬ chen ſchwangen weiße Tuͤcher; Huͤte mit gruͤnen Zwei¬ gen ſah man auf Degenſpitzen und hohen Stangen getragen, oder jauchzend durch die Luͤfte geſchleudert. Man draͤngte ſich, mit Gefahr zertreten zu werden, zwiſchen die Pferde, bekraͤnzte ſie mit gruͤnen Zweigen und Blumen, die zum Theil aus den Luͤften gepflogen kamen, ja man kuͤßte ſelbſt die Pferde im Uebermaße des Gluͤcks. Man ſah weinen und lachen vor Freude, Alt und Jung die Haͤnde zum Himmel erheben, Be¬ kannte und Unbekannte einander umarmen und begluͤck¬ wuͤnſchen, mit ſeinem Todfeinde wollte ſich jeder ver¬ ſoͤhnen um dieſes Tages willen, eine allgemeine Bru¬ derliebe hatte die Menſchen ergriffen. In mehreren Straßen waren Bruſtbilder des Kaiſers Alexanders aufgeſtellt und mit Lorbeere bekraͤnzt, vor jedem der¬ ſelben hielt Tettenborn ſtill, ſenkte den Degen, und brachte ſeinem Kaiſer ein Hurrah, das jauchzend von
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die engen Straßen fortruͤckte, und jeden Augenblick
ſchwellend ſtockte. Alle Glocken laͤuteten, Freudenſchuͤſſe
aus Flinten und Piſtolen dauerten ununterbrochen fort,
alles war trunken und außer ſich vor Entzuͤcken.
„Vivat Kaiſer Alexander, unſer Erretter, unſer Erloͤ¬
ſer!“ und „Hurrah“ und „Vivat Tettenborn! Vivat
Wittgenſtein!“ und „Heil den Ruſſen, den Koſaken“,
und „Heil“ und „Lebehoch“ ohne Zahl ſchallte durch
die Luͤfte, daß alles davon erzitterte. Aus den Fen¬
ſtern wehten Fahnen und Flaggen; Frauen und Maͤd¬
chen ſchwangen weiße Tuͤcher; Huͤte mit gruͤnen Zwei¬
gen ſah man auf Degenſpitzen und hohen Stangen
getragen, oder jauchzend durch die Luͤfte geſchleudert.
Man draͤngte ſich, mit Gefahr zertreten zu werden,
zwiſchen die Pferde, bekraͤnzte ſie mit gruͤnen Zweigen
und Blumen, die zum Theil aus den Luͤften gepflogen
kamen, ja man kuͤßte ſelbſt die Pferde im Uebermaße
des Gluͤcks. Man ſah weinen und lachen vor Freude,
Alt und Jung die Haͤnde zum Himmel erheben, Be¬
kannte und Unbekannte einander umarmen und begluͤck¬
wuͤnſchen, mit ſeinem Todfeinde wollte ſich jeder ver¬
ſoͤhnen um dieſes Tages willen, eine allgemeine Bru¬
derliebe hatte die Menſchen ergriffen. In mehreren
Straßen waren Bruſtbilder des Kaiſers Alexanders
aufgeſtellt und mit Lorbeere bekraͤnzt, vor jedem der¬
ſelben hielt Tettenborn ſtill, ſenkte den Degen, und
brachte ſeinem Kaiſer ein Hurrah, das jauchzend von
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/276>, abgerufen am 24.11.2024.
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