sachen nicht bestehen; das Verderben des Feindes offen¬ barte sich mit jedem Augenblicke vollständiger und ver¬ zweifelter, Furcht und Schrecken gaben willig auf, was die Waffen vielleicht nur schwer errungen hätten, an Widerstand im offenen Felde war nicht zu denken, die Flucht ging unaufhaltsam fort, die Verfolgung stürzte fast gezwungen in den leeren Raum. Unter solchen Umständen, zu welchen sich die lautwerdende Stimme des deutschen Volksgeistes und die guten Aussichten diplomatischer Thätigkeit gesellten, empfingen die russi¬ schen Truppen neuen Befehl vorzugehen, und den Er¬ eignissen blieb überlassen, wie und wo sie ihr Ziel fin¬ den möchten.
In Folge dieser veränderten Ansicht erhielt nun Tettenborn, der inzwischen Oberst geworden war, von dem General Grafen von Wittgenstein den Befehl, mit den ihm anvertrauten Truppen über die Weichsel zu gehen, und so weit vorzudringen, als es die Umstände zuließen. Tettenborn empfand hierüber so große Freude, und fühlte sich so glücklich, der erste zu sein, der seinen deutschen Landsleuten als Verkündiger der Befreiung von der Franzosenherrschaft erscheinen sollte, daß er un¬ geachtet seines Fußübels unverzüglich von Königsberg aufbrach, und seinen Marsch über Konitz und Soldin bis zur Oder fortsetzte. Noch hielten zwar ansehnliche französische Truppenschaaren sich auf dem rechten Ufer der Oder, die Festungen waren alle stark besetzt, und
III.16
ſachen nicht beſtehen; das Verderben des Feindes offen¬ barte ſich mit jedem Augenblicke vollſtaͤndiger und ver¬ zweifelter, Furcht und Schrecken gaben willig auf, was die Waffen vielleicht nur ſchwer errungen haͤtten, an Widerſtand im offenen Felde war nicht zu denken, die Flucht ging unaufhaltſam fort, die Verfolgung ſtuͤrzte faſt gezwungen in den leeren Raum. Unter ſolchen Umſtaͤnden, zu welchen ſich die lautwerdende Stimme des deutſchen Volksgeiſtes und die guten Ausſichten diplomatiſcher Thaͤtigkeit geſellten, empfingen die ruſſi¬ ſchen Truppen neuen Befehl vorzugehen, und den Er¬ eigniſſen blieb uͤberlaſſen, wie und wo ſie ihr Ziel fin¬ den moͤchten.
In Folge dieſer veraͤnderten Anſicht erhielt nun Tettenborn, der inzwiſchen Oberſt geworden war, von dem General Grafen von Wittgenſtein den Befehl, mit den ihm anvertrauten Truppen uͤber die Weichſel zu gehen, und ſo weit vorzudringen, als es die Umſtaͤnde zuließen. Tettenborn empfand hieruͤber ſo große Freude, und fuͤhlte ſich ſo gluͤcklich, der erſte zu ſein, der ſeinen deutſchen Landsleuten als Verkuͤndiger der Befreiung von der Franzoſenherrſchaft erſcheinen ſollte, daß er un¬ geachtet ſeines Fußuͤbels unverzuͤglich von Koͤnigsberg aufbrach, und ſeinen Marſch uͤber Konitz und Soldin bis zur Oder fortſetzte. Noch hielten zwar anſehnliche franzoͤſiſche Truppenſchaaren ſich auf dem rechten Ufer der Oder, die Feſtungen waren alle ſtark beſetzt, und
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ſachen nicht beſtehen; das Verderben des Feindes offen¬
barte ſich mit jedem Augenblicke vollſtaͤndiger und ver¬
zweifelter, Furcht und Schrecken gaben willig auf, was
die Waffen vielleicht nur ſchwer errungen haͤtten, an
Widerſtand im offenen Felde war nicht zu denken, die
Flucht ging unaufhaltſam fort, die Verfolgung ſtuͤrzte
faſt gezwungen in den leeren Raum. Unter ſolchen
Umſtaͤnden, zu welchen ſich die lautwerdende Stimme
des deutſchen Volksgeiſtes und die guten Ausſichten
diplomatiſcher Thaͤtigkeit geſellten, empfingen die ruſſi¬
ſchen Truppen neuen Befehl vorzugehen, und den Er¬
eigniſſen blieb uͤberlaſſen, wie und wo ſie ihr Ziel fin¬
den moͤchten.
In Folge dieſer veraͤnderten Anſicht erhielt nun
Tettenborn, der inzwiſchen Oberſt geworden war, von
dem General Grafen von Wittgenſtein den Befehl, mit
den ihm anvertrauten Truppen uͤber die Weichſel zu
gehen, und ſo weit vorzudringen, als es die Umſtaͤnde
zuließen. Tettenborn empfand hieruͤber ſo große Freude,
und fuͤhlte ſich ſo gluͤcklich, der erſte zu ſein, der ſeinen
deutſchen Landsleuten als Verkuͤndiger der Befreiung
von der Franzoſenherrſchaft erſcheinen ſollte, daß er un¬
geachtet ſeines Fußuͤbels unverzuͤglich von Koͤnigsberg
aufbrach, und ſeinen Marſch uͤber Konitz und Soldin
bis zur Oder fortſetzte. Noch hielten zwar anſehnliche
franzoͤſiſche Truppenſchaaren ſich auf dem rechten Ufer
der Oder, die Feſtungen waren alle ſtark beſetzt, und
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/253>, abgerufen am 24.11.2024.
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