ganzen Feldzug von äußerster Wichtigkeit, hier dem Feinde keinen Augenblick zur Besinnung zu lassen. Tettenborn, nur die Nachtheile des Verzuges im Auge habend, ließ sich durch keine Schwierigkeit abschrecken, sondern trotz des fast allgemeinen Zweifelns und Abra¬ thens beschloß er ungesäumten Angriff, und noch vor Anbruch des Tages stürmte eine Kompagnie Fußjäger, die er auf Schlitten hatte nachkommen lassen, die näch¬ sten Thorposten, nach deren Bewältigung er von zweien Seiten mit 3 Kosakenregimentern und 4 Schwadronen Isum'scher Husaren in die Hauptstraßen eindrang, wo einige noch zusammenhaltende französische Bataillone anfangs ihm herzhaft entgegenrückten, bald aber, um¬ gangen und von allen Seiten angegriffen, theils das Gewehr strekten, theils im Fliehen niedergemacht wur¬ den. Der Angriff hatte den Feind dergestalt überrascht, daß die Gegenwehr ohne Plan und Umsicht nur nach Zufall geschah, und die ganze Stadt binnen kurzer Zeit in den Händen der Russen war. Zum Theil hatten die Juden, welche überall in Polen gegen die Franzosen heftig entbrannt waren, diese während des Gefechts im Rücken angegriffen und entwaffnet, so daß sie ganze Schaaren als ihre Gefangne ablieferten.
Der Verlust, den die Franzosen durch diesen uner¬ warteten Schlag erlitten, war ungeheuer. Sie verlo¬ ren in Wilna 48 Kanonen, 7 Fahnen, 6000 Gefangne, ungerechnet 24,000 Kranke, die in den Spitälern la¬
ganzen Feldzug von aͤußerſter Wichtigkeit, hier dem Feinde keinen Augenblick zur Beſinnung zu laſſen. Tettenborn, nur die Nachtheile des Verzuges im Auge habend, ließ ſich durch keine Schwierigkeit abſchrecken, ſondern trotz des faſt allgemeinen Zweifelns und Abra¬ thens beſchloß er ungeſaͤumten Angriff, und noch vor Anbruch des Tages ſtuͤrmte eine Kompagnie Fußjaͤger, die er auf Schlitten hatte nachkommen laſſen, die naͤch¬ ſten Thorpoſten, nach deren Bewaͤltigung er von zweien Seiten mit 3 Koſakenregimentern und 4 Schwadronen Iſum'ſcher Huſaren in die Hauptſtraßen eindrang, wo einige noch zuſammenhaltende franzoͤſiſche Bataillone anfangs ihm herzhaft entgegenruͤckten, bald aber, um¬ gangen und von allen Seiten angegriffen, theils das Gewehr ſtrekten, theils im Fliehen niedergemacht wur¬ den. Der Angriff hatte den Feind dergeſtalt uͤberraſcht, daß die Gegenwehr ohne Plan und Umſicht nur nach Zufall geſchah, und die ganze Stadt binnen kurzer Zeit in den Haͤnden der Ruſſen war. Zum Theil hatten die Juden, welche uͤberall in Polen gegen die Franzoſen heftig entbrannt waren, dieſe waͤhrend des Gefechts im Ruͤcken angegriffen und entwaffnet, ſo daß ſie ganze Schaaren als ihre Gefangne ablieferten.
Der Verluſt, den die Franzoſen durch dieſen uner¬ warteten Schlag erlitten, war ungeheuer. Sie verlo¬ ren in Wilna 48 Kanonen, 7 Fahnen, 6000 Gefangne, ungerechnet 24,000 Kranke, die in den Spitaͤlern la¬
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ganzen Feldzug von aͤußerſter Wichtigkeit, hier dem
Feinde keinen Augenblick zur Beſinnung zu laſſen.
Tettenborn, nur die Nachtheile des Verzuges im Auge
habend, ließ ſich durch keine Schwierigkeit abſchrecken,
ſondern trotz des faſt allgemeinen Zweifelns und Abra¬
thens beſchloß er ungeſaͤumten Angriff, und noch vor
Anbruch des Tages ſtuͤrmte eine Kompagnie Fußjaͤger,
die er auf Schlitten hatte nachkommen laſſen, die naͤch¬
ſten Thorpoſten, nach deren Bewaͤltigung er von zweien
Seiten mit 3 Koſakenregimentern und 4 Schwadronen
Iſum'ſcher Huſaren in die Hauptſtraßen eindrang, wo
einige noch zuſammenhaltende franzoͤſiſche Bataillone
anfangs ihm herzhaft entgegenruͤckten, bald aber, um¬
gangen und von allen Seiten angegriffen, theils das
Gewehr ſtrekten, theils im Fliehen niedergemacht wur¬
den. Der Angriff hatte den Feind dergeſtalt uͤberraſcht,
daß die Gegenwehr ohne Plan und Umſicht nur nach
Zufall geſchah, und die ganze Stadt binnen kurzer Zeit
in den Haͤnden der Ruſſen war. Zum Theil hatten die
Juden, welche uͤberall in Polen gegen die Franzoſen
heftig entbrannt waren, dieſe waͤhrend des Gefechts im
Ruͤcken angegriffen und entwaffnet, ſo daß ſie ganze
Schaaren als ihre Gefangne ablieferten.
Der Verluſt, den die Franzoſen durch dieſen uner¬
warteten Schlag erlitten, war ungeheuer. Sie verlo¬
ren in Wilna 48 Kanonen, 7 Fahnen, 6000 Gefangne,
ungerechnet 24,000 Kranke, die in den Spitaͤlern la¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/250>, abgerufen am 24.11.2024.
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