ist nichts von so ächter politischer Beredsamkeit erschie¬ nen, von so eindringlicher Wahrheit!" Diese Schreibart empfahl er mir zur Nachahmung: "Auf diesem Weg, schrie er mich an, mögen Sie sich versuchen, thatsäch¬ liche Wahrheit, nicht metaphysische Phrasen! Verstehen Sie mich, Herr Methaphysikus?" Durch was ich die¬ sen Titel mir verdient haben mochte, weiß ich nicht, aber Stein bezeichnete mich noch in der Folge mehr¬ mals so, und ich behielt davon lange Zeit eine Art Kriegsnamen, der freilich nicht eben kriegerisch lautete. Doch meinte er es keineswegs übel mit mir. Er hielt mich unverbrüchlich der guten Sache zugethan, und sprach Erwartungen aus, zu deren Erfüllung er mich nur stärker anspornen wollte. Schließlich meinte er, in einer Zeit, wo so viele Hunderttausende sich einander die Hälse zu brechen eben im Begriff wären, sei es besser gar nicht zu schreiben, sondern selber mit loszu¬ schlagen.
Während der Zusammenkunft der beiden Kaiser in Dresden war Stein doch besorgt, die Franzosen möch¬ ten seine Auslieferung fordern, oder die österreichische Behörde, vielleicht um jenes zu vermeiden, ihn den Augen des Feindes in größere Ferne entrücken wollen. Diese Besorgniß mußte auf's höchste steigen, als er unerwartet von Seiten des russischen Kaisers die Ein¬ ladung empfing, ohne Säumniß nach Rußland zu kom¬ men, und dort eine bedeutende, zunächst auch für die
iſt nichts von ſo aͤchter politiſcher Beredſamkeit erſchie¬ nen, von ſo eindringlicher Wahrheit!“ Dieſe Schreibart empfahl er mir zur Nachahmung: „Auf dieſem Weg, ſchrie er mich an, moͤgen Sie ſich verſuchen, thatſaͤch¬ liche Wahrheit, nicht metaphyſiſche Phraſen! Verſtehen Sie mich, Herr Methaphyſikus?“ Durch was ich die¬ ſen Titel mir verdient haben mochte, weiß ich nicht, aber Stein bezeichnete mich noch in der Folge mehr¬ mals ſo, und ich behielt davon lange Zeit eine Art Kriegsnamen, der freilich nicht eben kriegeriſch lautete. Doch meinte er es keineswegs uͤbel mit mir. Er hielt mich unverbruͤchlich der guten Sache zugethan, und ſprach Erwartungen aus, zu deren Erfuͤllung er mich nur ſtaͤrker anſpornen wollte. Schließlich meinte er, in einer Zeit, wo ſo viele Hunderttauſende ſich einander die Haͤlſe zu brechen eben im Begriff waͤren, ſei es beſſer gar nicht zu ſchreiben, ſondern ſelber mit loszu¬ ſchlagen.
Waͤhrend der Zuſammenkunft der beiden Kaiſer in Dresden war Stein doch beſorgt, die Franzoſen moͤch¬ ten ſeine Auslieferung fordern, oder die oͤſterreichiſche Behoͤrde, vielleicht um jenes zu vermeiden, ihn den Augen des Feindes in groͤßere Ferne entruͤcken wollen. Dieſe Beſorgniß mußte auf's hoͤchſte ſteigen, als er unerwartet von Seiten des ruſſiſchen Kaiſers die Ein¬ ladung empfing, ohne Saͤumniß nach Rußland zu kom¬ men, und dort eine bedeutende, zunaͤchſt auch fuͤr die
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[199/0211]
iſt nichts von ſo aͤchter politiſcher Beredſamkeit erſchie¬
nen, von ſo eindringlicher Wahrheit!“ Dieſe Schreibart
empfahl er mir zur Nachahmung: „Auf dieſem Weg,
ſchrie er mich an, moͤgen Sie ſich verſuchen, thatſaͤch¬
liche Wahrheit, nicht metaphyſiſche Phraſen! Verſtehen
Sie mich, Herr Methaphyſikus?“ Durch was ich die¬
ſen Titel mir verdient haben mochte, weiß ich nicht,
aber Stein bezeichnete mich noch in der Folge mehr¬
mals ſo, und ich behielt davon lange Zeit eine Art
Kriegsnamen, der freilich nicht eben kriegeriſch lautete.
Doch meinte er es keineswegs uͤbel mit mir. Er hielt
mich unverbruͤchlich der guten Sache zugethan, und
ſprach Erwartungen aus, zu deren Erfuͤllung er mich
nur ſtaͤrker anſpornen wollte. Schließlich meinte er, in
einer Zeit, wo ſo viele Hunderttauſende ſich einander
die Haͤlſe zu brechen eben im Begriff waͤren, ſei es
beſſer gar nicht zu ſchreiben, ſondern ſelber mit loszu¬
ſchlagen.
Waͤhrend der Zuſammenkunft der beiden Kaiſer in
Dresden war Stein doch beſorgt, die Franzoſen moͤch¬
ten ſeine Auslieferung fordern, oder die oͤſterreichiſche
Behoͤrde, vielleicht um jenes zu vermeiden, ihn den
Augen des Feindes in groͤßere Ferne entruͤcken wollen.
Dieſe Beſorgniß mußte auf's hoͤchſte ſteigen, als er
unerwartet von Seiten des ruſſiſchen Kaiſers die Ein¬
ladung empfing, ohne Saͤumniß nach Rußland zu kom¬
men, und dort eine bedeutende, zunaͤchſt auch fuͤr die
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/211>, abgerufen am 22.11.2024.
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