Jahreszeit gemäß eben am höchsten stand, alte und neue Bekannte in Menge.
In Betreff der allgemeinen Stimmung, welche richtig aufzufassen mir besonders angelegen war, erschien mir merkwürdig, wie hier das Leben zwei verschiedene Richtungen, die keiner Vereinigung fähig schienen, ganz friedlich zusammenflocht. Der äußerlichen Geltung nach war alles in Freundschaft und Bündniß mit Frank¬ reich, der öffentliche Ausdruck hievon war überall ohne Widerstreit angenommen; in den Gesinnungen aber trat durchaus das Gegentheil hervor und alle nicht unmit¬ telbar jenen Ausdruck angehörigen Regungen strebten offenbar in entgegengesetzter Richtung. Daß der Zwang jenes äußerlichen Verhältnisses nicht dauern solle, daß er abgeworfen werden müsse, darüber herrschte all¬ seitiges Einverständniß und zweifellose Zuversicht. Nur über den Zeitpunkt und Anlaß konnten die Meinungen verschieden sein, daraus einige Partheiung entstehen. Die Kriegsmänner und die geschäftslos Wartenden, wie Stein, Stadion und viele Andre, waren ungestüm; die aber im Drange des Tages Ringenden fühlten die Nothwendigkeit klugen Zögerns. Der Minister der aus¬ wärtigen Angelegenheiten hatte hier die schwierigste Auf¬ gabe, die er bewundernswürdig löste, indem er die fremde Gebühr und eigne Aufrichtigkeit in freier und ruhiger Haltung zu vereinigen wußte. Im Schreiben herrschte große Vorsicht, und man vermied, in Briefen
Jahreszeit gemaͤß eben am hoͤchſten ſtand, alte und neue Bekannte in Menge.
In Betreff der allgemeinen Stimmung, welche richtig aufzufaſſen mir beſonders angelegen war, erſchien mir merkwuͤrdig, wie hier das Leben zwei verſchiedene Richtungen, die keiner Vereinigung faͤhig ſchienen, ganz friedlich zuſammenflocht. Der aͤußerlichen Geltung nach war alles in Freundſchaft und Buͤndniß mit Frank¬ reich, der oͤffentliche Ausdruck hievon war uͤberall ohne Widerſtreit angenommen; in den Geſinnungen aber trat durchaus das Gegentheil hervor und alle nicht unmit¬ telbar jenen Ausdruck angehoͤrigen Regungen ſtrebten offenbar in entgegengeſetzter Richtung. Daß der Zwang jenes aͤußerlichen Verhaͤltniſſes nicht dauern ſolle, daß er abgeworfen werden muͤſſe, daruͤber herrſchte all¬ ſeitiges Einverſtaͤndniß und zweifelloſe Zuverſicht. Nur uͤber den Zeitpunkt und Anlaß konnten die Meinungen verſchieden ſein, daraus einige Partheiung entſtehen. Die Kriegsmaͤnner und die geſchaͤftslos Wartenden, wie Stein, Stadion und viele Andre, waren ungeſtuͤm; die aber im Drange des Tages Ringenden fuͤhlten die Nothwendigkeit klugen Zoͤgerns. Der Miniſter der aus¬ waͤrtigen Angelegenheiten hatte hier die ſchwierigſte Auf¬ gabe, die er bewundernswuͤrdig loͤſte, indem er die fremde Gebuͤhr und eigne Aufrichtigkeit in freier und ruhiger Haltung zu vereinigen wußte. Im Schreiben herrſchte große Vorſicht, und man vermied, in Briefen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0199"n="187"/>
Jahreszeit gemaͤß eben am hoͤchſten ſtand, alte und<lb/>
neue Bekannte in Menge.</p><lb/><p>In Betreff der allgemeinen Stimmung, welche<lb/>
richtig aufzufaſſen mir beſonders angelegen war, erſchien<lb/>
mir merkwuͤrdig, wie hier das Leben zwei verſchiedene<lb/>
Richtungen, die keiner Vereinigung faͤhig ſchienen, ganz<lb/>
friedlich zuſammenflocht. Der aͤußerlichen Geltung nach<lb/>
war alles in Freundſchaft und Buͤndniß mit Frank¬<lb/>
reich, der oͤffentliche Ausdruck hievon war uͤberall ohne<lb/>
Widerſtreit angenommen; in den Geſinnungen aber trat<lb/>
durchaus das Gegentheil hervor und alle nicht unmit¬<lb/>
telbar jenen Ausdruck angehoͤrigen Regungen ſtrebten<lb/>
offenbar in entgegengeſetzter Richtung. Daß der Zwang<lb/>
jenes aͤußerlichen Verhaͤltniſſes nicht dauern ſolle, daß<lb/>
er abgeworfen werden muͤſſe, daruͤber herrſchte all¬<lb/>ſeitiges Einverſtaͤndniß und zweifelloſe Zuverſicht. Nur<lb/>
uͤber den Zeitpunkt und Anlaß konnten die Meinungen<lb/>
verſchieden ſein, daraus einige Partheiung entſtehen.<lb/>
Die Kriegsmaͤnner und die geſchaͤftslos Wartenden,<lb/>
wie Stein, Stadion und viele Andre, waren ungeſtuͤm;<lb/>
die aber im Drange des Tages Ringenden fuͤhlten die<lb/>
Nothwendigkeit klugen Zoͤgerns. Der Miniſter der aus¬<lb/>
waͤrtigen Angelegenheiten hatte hier die ſchwierigſte Auf¬<lb/>
gabe, die er bewundernswuͤrdig loͤſte, indem er die<lb/>
fremde Gebuͤhr und eigne Aufrichtigkeit in freier und<lb/>
ruhiger Haltung zu vereinigen wußte. Im Schreiben<lb/>
herrſchte große Vorſicht, und man vermied, in Briefen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[187/0199]
Jahreszeit gemaͤß eben am hoͤchſten ſtand, alte und
neue Bekannte in Menge.
In Betreff der allgemeinen Stimmung, welche
richtig aufzufaſſen mir beſonders angelegen war, erſchien
mir merkwuͤrdig, wie hier das Leben zwei verſchiedene
Richtungen, die keiner Vereinigung faͤhig ſchienen, ganz
friedlich zuſammenflocht. Der aͤußerlichen Geltung nach
war alles in Freundſchaft und Buͤndniß mit Frank¬
reich, der oͤffentliche Ausdruck hievon war uͤberall ohne
Widerſtreit angenommen; in den Geſinnungen aber trat
durchaus das Gegentheil hervor und alle nicht unmit¬
telbar jenen Ausdruck angehoͤrigen Regungen ſtrebten
offenbar in entgegengeſetzter Richtung. Daß der Zwang
jenes aͤußerlichen Verhaͤltniſſes nicht dauern ſolle, daß
er abgeworfen werden muͤſſe, daruͤber herrſchte all¬
ſeitiges Einverſtaͤndniß und zweifelloſe Zuverſicht. Nur
uͤber den Zeitpunkt und Anlaß konnten die Meinungen
verſchieden ſein, daraus einige Partheiung entſtehen.
Die Kriegsmaͤnner und die geſchaͤftslos Wartenden,
wie Stein, Stadion und viele Andre, waren ungeſtuͤm;
die aber im Drange des Tages Ringenden fuͤhlten die
Nothwendigkeit klugen Zoͤgerns. Der Miniſter der aus¬
waͤrtigen Angelegenheiten hatte hier die ſchwierigſte Auf¬
gabe, die er bewundernswuͤrdig loͤſte, indem er die
fremde Gebuͤhr und eigne Aufrichtigkeit in freier und
ruhiger Haltung zu vereinigen wußte. Im Schreiben
herrſchte große Vorſicht, und man vermied, in Briefen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/199>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.