bei ihm fanden, so war es, weil sie solche Kraft, die sie zuerst gegen den Hof wandten, zuletzt auch der Volksmeinung entgegensetzten. Sonst verwarf er alle Theilnehmer der Revolution in ein- und dieselbe Ver¬ damniß. Ich stimmte ihm hierin nicht bei, und faßte überhaupt die Ereignisse mehr in ihrer Besonderheit auf, suchte sie aus ihren eigenthümlichen Umständen und Antrieben zu erklären, und wollte eine unabwendbare Entwickelungsfolge in ihnen sehen. Stein fand dies kleinliche Geschichts-Sachwalterei, wollte von genauen Erwägungen wenig hören, und hielt sich als Mann der That und des Kampfes an den kurzen Entscheid: alles dort drüben sei der Feind, und der müsse in Summa geschlagen und vertilgt werden.
Jedesmal hatten wir hierüber Streitigkeiten. Ich gab zu, daß im Schweben der Schlacht kein Unterschied zu machen sei, aber nach dem Kampfe folge die Ge¬ schichte wie ein Lazareth, wo man auch den Feind scho¬ nend behandle und wohl Rücksicht nehme, ob er aus Wahl und Absicht oder Zufall und Zwang es gewor¬ den sei. Ich war in der französischen Revolutionsge¬ schichte, besonders in den Anfängen, nicht unbewandert, und konnte manche Thatsache, manchen Charakterzug anführen, welche Stein nicht ganz verwerfen durfte; bisweilen ließ er sich den Widerspruch gefallen, wie er denn überhaupt mit jeder Entschiedenheit artiger um¬ ging, als mit feigem Nachgeben, welches er gewöhnlich
bei ihm fanden, ſo war es, weil ſie ſolche Kraft, die ſie zuerſt gegen den Hof wandten, zuletzt auch der Volksmeinung entgegenſetzten. Sonſt verwarf er alle Theilnehmer der Revolution in ein- und dieſelbe Ver¬ damniß. Ich ſtimmte ihm hierin nicht bei, und faßte uͤberhaupt die Ereigniſſe mehr in ihrer Beſonderheit auf, ſuchte ſie aus ihren eigenthuͤmlichen Umſtaͤnden und Antrieben zu erklaͤren, und wollte eine unabwendbare Entwickelungsfolge in ihnen ſehen. Stein fand dies kleinliche Geſchichts-Sachwalterei, wollte von genauen Erwaͤgungen wenig hoͤren, und hielt ſich als Mann der That und des Kampfes an den kurzen Entſcheid: alles dort druͤben ſei der Feind, und der muͤſſe in Summa geſchlagen und vertilgt werden.
Jedesmal hatten wir hieruͤber Streitigkeiten. Ich gab zu, daß im Schweben der Schlacht kein Unterſchied zu machen ſei, aber nach dem Kampfe folge die Ge¬ ſchichte wie ein Lazareth, wo man auch den Feind ſcho¬ nend behandle und wohl Ruͤckſicht nehme, ob er aus Wahl und Abſicht oder Zufall und Zwang es gewor¬ den ſei. Ich war in der franzoͤſiſchen Revolutionsge¬ ſchichte, beſonders in den Anfaͤngen, nicht unbewandert, und konnte manche Thatſache, manchen Charakterzug anfuͤhren, welche Stein nicht ganz verwerfen durfte; bisweilen ließ er ſich den Widerſpruch gefallen, wie er denn uͤberhaupt mit jeder Entſchiedenheit artiger um¬ ging, als mit feigem Nachgeben, welches er gewoͤhnlich
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bei ihm fanden, ſo war es, weil ſie ſolche Kraft, die
ſie zuerſt gegen den Hof wandten, zuletzt auch der
Volksmeinung entgegenſetzten. Sonſt verwarf er alle
Theilnehmer der Revolution in ein- und dieſelbe Ver¬
damniß. Ich ſtimmte ihm hierin nicht bei, und faßte
uͤberhaupt die Ereigniſſe mehr in ihrer Beſonderheit auf,
ſuchte ſie aus ihren eigenthuͤmlichen Umſtaͤnden und
Antrieben zu erklaͤren, und wollte eine unabwendbare
Entwickelungsfolge in ihnen ſehen. Stein fand dies
kleinliche Geſchichts-Sachwalterei, wollte von genauen
Erwaͤgungen wenig hoͤren, und hielt ſich als Mann der
That und des Kampfes an den kurzen Entſcheid: alles
dort druͤben ſei der Feind, und der muͤſſe in Summa
geſchlagen und vertilgt werden.
Jedesmal hatten wir hieruͤber Streitigkeiten. Ich
gab zu, daß im Schweben der Schlacht kein Unterſchied
zu machen ſei, aber nach dem Kampfe folge die Ge¬
ſchichte wie ein Lazareth, wo man auch den Feind ſcho¬
nend behandle und wohl Ruͤckſicht nehme, ob er aus
Wahl und Abſicht oder Zufall und Zwang es gewor¬
den ſei. Ich war in der franzoͤſiſchen Revolutionsge¬
ſchichte, beſonders in den Anfaͤngen, nicht unbewandert,
und konnte manche Thatſache, manchen Charakterzug
anfuͤhren, welche Stein nicht ganz verwerfen durfte;
bisweilen ließ er ſich den Widerſpruch gefallen, wie er
denn uͤberhaupt mit jeder Entſchiedenheit artiger um¬
ging, als mit feigem Nachgeben, welches er gewoͤhnlich
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/193>, abgerufen am 23.11.2024.
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