Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

mich in ernstes Erstaunen setzte. Eines der ärgsten
Epigramme, ein Räthsel von Straton, las er mit fröh¬
lichem Wohlbehagen laut vor, und verhehlte gar nicht,
was manche gutwillige Seelen, die auf ihre Bescheiden¬
gläubigkeit wohl gar recht stolz sein wollten, zu seinen
Gunsten hartnäckig läugneten. Ein schroffer Ernst scheuchte
alle diese Anspielungen in tiefe Nacht zurück, und dann
erschien wunderbar ein verständiger Sinn, ein heitres
Wohlwollen und ein unendliches Wissen, die in freiem,
ungetrübtem Gespräche sich würdig darlegen mochten,
und in dem Zuhörer die größte Befriedigung, nicht
selten sogar Begeisterung erweckten. Sein ganzes
Aeußere, die geschwächten entzündeten Augen, die blä߬
liche feine Haut, die fast kindischen Züge des Mundes,
die unangenehme schweizerische, mit französischen Ein¬
schiebseln durchbrochene Sprache, die Unruhe der Glieder
des nicht großen und ziemlich dicken Körpers, alles
dieses war dann leicht zu vergessen, weil sein Innres
von einem wahren Feuer des Wissens und der Gesin¬
nung doch wirklich erglüht war, und die Funken davon
mit kräftiger Wirkung ausströmte. Die Verehrung für
diese Geisteswürde ließ über die bemitleidenswerthen
Unwürdigkeiten, die sich derselben angenistet, wie über
Ungeziefer hinwegsehen.

Bei dem General Pardo wurde mir die verheißene
Aufnahme. Der Mann schwelgte in Liebhaberei zu den
alten Sprachen, zur klassischen Gelehrsamkeit, täglich

mich in ernſtes Erſtaunen ſetzte. Eines der aͤrgſten
Epigramme, ein Raͤthſel von Straton, las er mit froͤh¬
lichem Wohlbehagen laut vor, und verhehlte gar nicht,
was manche gutwillige Seelen, die auf ihre Beſcheiden¬
glaͤubigkeit wohl gar recht ſtolz ſein wollten, zu ſeinen
Gunſten hartnaͤckig laͤugneten. Ein ſchroffer Ernſt ſcheuchte
alle dieſe Anſpielungen in tiefe Nacht zuruͤck, und dann
erſchien wunderbar ein verſtaͤndiger Sinn, ein heitres
Wohlwollen und ein unendliches Wiſſen, die in freiem,
ungetruͤbtem Geſpraͤche ſich wuͤrdig darlegen mochten,
und in dem Zuhoͤrer die groͤßte Befriedigung, nicht
ſelten ſogar Begeiſterung erweckten. Sein ganzes
Aeußere, die geſchwaͤchten entzuͤndeten Augen, die blaͤ߬
liche feine Haut, die faſt kindiſchen Zuͤge des Mundes,
die unangenehme ſchweizeriſche, mit franzoͤſiſchen Ein¬
ſchiebſeln durchbrochene Sprache, die Unruhe der Glieder
des nicht großen und ziemlich dicken Koͤrpers, alles
dieſes war dann leicht zu vergeſſen, weil ſein Innres
von einem wahren Feuer des Wiſſens und der Geſin¬
nung doch wirklich ergluͤht war, und die Funken davon
mit kraͤftiger Wirkung ausſtroͤmte. Die Verehrung fuͤr
dieſe Geiſteswuͤrde ließ uͤber die bemitleidenswerthen
Unwuͤrdigkeiten, die ſich derſelben angeniſtet, wie uͤber
Ungeziefer hinwegſehen.

Bei dem General Pardo wurde mir die verheißene
Aufnahme. Der Mann ſchwelgte in Liebhaberei zu den
alten Sprachen, zur klaſſiſchen Gelehrſamkeit, taͤglich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0019" n="7"/>
mich in ern&#x017F;tes Er&#x017F;taunen &#x017F;etzte. Eines der a&#x0364;rg&#x017F;ten<lb/>
Epigramme, ein Ra&#x0364;th&#x017F;el von Straton, las er mit fro&#x0364;<lb/>
lichem Wohlbehagen laut vor, und verhehlte gar nicht,<lb/>
was manche gutwillige Seelen, die auf ihre Be&#x017F;cheiden¬<lb/>
gla&#x0364;ubigkeit wohl gar recht &#x017F;tolz &#x017F;ein wollten, zu &#x017F;einen<lb/>
Gun&#x017F;ten hartna&#x0364;ckig la&#x0364;ugneten. Ein &#x017F;chroffer Ern&#x017F;t &#x017F;cheuchte<lb/>
alle die&#x017F;e An&#x017F;pielungen in tiefe Nacht zuru&#x0364;ck, und dann<lb/>
er&#x017F;chien wunderbar ein ver&#x017F;ta&#x0364;ndiger Sinn, ein heitres<lb/>
Wohlwollen und ein unendliches Wi&#x017F;&#x017F;en, die in freiem,<lb/>
ungetru&#x0364;btem Ge&#x017F;pra&#x0364;che &#x017F;ich wu&#x0364;rdig darlegen mochten,<lb/>
und in dem Zuho&#x0364;rer die gro&#x0364;ßte Befriedigung, nicht<lb/>
&#x017F;elten &#x017F;ogar Begei&#x017F;terung erweckten. Sein ganzes<lb/>
Aeußere, die ge&#x017F;chwa&#x0364;chten entzu&#x0364;ndeten Augen, die bla&#x0364;߬<lb/>
liche feine Haut, die fa&#x017F;t kindi&#x017F;chen Zu&#x0364;ge des Mundes,<lb/>
die unangenehme &#x017F;chweizeri&#x017F;che, mit franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Ein¬<lb/>
&#x017F;chieb&#x017F;eln durchbrochene Sprache, die Unruhe der Glieder<lb/>
des nicht großen und ziemlich dicken Ko&#x0364;rpers, alles<lb/>
die&#x017F;es war dann leicht zu verge&#x017F;&#x017F;en, weil &#x017F;ein Innres<lb/>
von einem wahren Feuer des Wi&#x017F;&#x017F;ens und der Ge&#x017F;in¬<lb/>
nung doch wirklich erglu&#x0364;ht war, und die Funken davon<lb/>
mit kra&#x0364;ftiger Wirkung aus&#x017F;tro&#x0364;mte. Die Verehrung fu&#x0364;r<lb/>
die&#x017F;e Gei&#x017F;teswu&#x0364;rde ließ u&#x0364;ber die bemitleidenswerthen<lb/>
Unwu&#x0364;rdigkeiten, die &#x017F;ich der&#x017F;elben angeni&#x017F;tet, wie u&#x0364;ber<lb/>
Ungeziefer hinweg&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Bei dem General Pardo wurde mir die verheißene<lb/>
Aufnahme. Der Mann &#x017F;chwelgte in Liebhaberei zu den<lb/>
alten Sprachen, zur kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Gelehr&#x017F;amkeit, ta&#x0364;glich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0019] mich in ernſtes Erſtaunen ſetzte. Eines der aͤrgſten Epigramme, ein Raͤthſel von Straton, las er mit froͤh¬ lichem Wohlbehagen laut vor, und verhehlte gar nicht, was manche gutwillige Seelen, die auf ihre Beſcheiden¬ glaͤubigkeit wohl gar recht ſtolz ſein wollten, zu ſeinen Gunſten hartnaͤckig laͤugneten. Ein ſchroffer Ernſt ſcheuchte alle dieſe Anſpielungen in tiefe Nacht zuruͤck, und dann erſchien wunderbar ein verſtaͤndiger Sinn, ein heitres Wohlwollen und ein unendliches Wiſſen, die in freiem, ungetruͤbtem Geſpraͤche ſich wuͤrdig darlegen mochten, und in dem Zuhoͤrer die groͤßte Befriedigung, nicht ſelten ſogar Begeiſterung erweckten. Sein ganzes Aeußere, die geſchwaͤchten entzuͤndeten Augen, die blaͤ߬ liche feine Haut, die faſt kindiſchen Zuͤge des Mundes, die unangenehme ſchweizeriſche, mit franzoͤſiſchen Ein¬ ſchiebſeln durchbrochene Sprache, die Unruhe der Glieder des nicht großen und ziemlich dicken Koͤrpers, alles dieſes war dann leicht zu vergeſſen, weil ſein Innres von einem wahren Feuer des Wiſſens und der Geſin¬ nung doch wirklich ergluͤht war, und die Funken davon mit kraͤftiger Wirkung ausſtroͤmte. Die Verehrung fuͤr dieſe Geiſteswuͤrde ließ uͤber die bemitleidenswerthen Unwuͤrdigkeiten, die ſich derſelben angeniſtet, wie uͤber Ungeziefer hinwegſehen. Bei dem General Pardo wurde mir die verheißene Aufnahme. Der Mann ſchwelgte in Liebhaberei zu den alten Sprachen, zur klaſſiſchen Gelehrſamkeit, taͤglich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/19
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/19>, abgerufen am 24.11.2024.