Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

spät wiederkam, erstaunte ich nicht wenig, einen Mann
gebückt vor der Thüre stehen zu finden, der bemüht
war, durch das Schlüsselloch zu sehen. Er war von
der Dienerschaft, hatte hier aber nichts zu suchen. Mein
plötzliches Erscheinen in seinem Rücken, da er mich im
Zimmer glaubte, erschreckte ihn so, daß mein scharfes
Fragen nichts aus ihm herausbekommen konnte, sondern
nur seine Verwirrung mehrte. Doch war mit dieser
Neugier, über der ich ihn ertappt, eine sträfliche Absicht
nicht grade zu verbinden, und ich ließ den Mann mit
einem Verweise gehen. Daß ich schon öfter auf diese
Art belauscht worden, war sehr wahrscheinlich, und leise
Bewegung und Menschennähe überhaupt mochten bis¬
weilen auf meine in der Nachtstille empfindlichen Nerven
gewirkt haben, da denn, eher als der Sinn, die Ein¬
bildungskraft sich der unsichern Wahrnehmung bemäch¬
tigte. Die Entdeckung war mir sehr unangenehm; ich
dachte unwillkürlich an die Blätter, die mir weggekom¬
men waren, und quälte mich mit argwöhnischen Ver¬
muthungen aller Art. Daß diese nicht ganz ungegründet
wären, sollte sich bald durch neue Anzeigen bestätigen.

Mittlerweile hatten vom Niederrhein und von Hol¬
land her allerlei Bewegungen unter den französischen
Truppen angefangen, und es war deutlich zu erkennen,
daß dieselben allmählig immer stärker nach den nördlichern
Gegenden sich zusammenzogen. Das langsame, aber
anhaltende und übereinstimmende Fortrücken in gleich¬

ſpaͤt wiederkam, erſtaunte ich nicht wenig, einen Mann
gebuͤckt vor der Thuͤre ſtehen zu finden, der bemuͤht
war, durch das Schluͤſſelloch zu ſehen. Er war von
der Dienerſchaft, hatte hier aber nichts zu ſuchen. Mein
ploͤtzliches Erſcheinen in ſeinem Ruͤcken, da er mich im
Zimmer glaubte, erſchreckte ihn ſo, daß mein ſcharfes
Fragen nichts aus ihm herausbekommen konnte, ſondern
nur ſeine Verwirrung mehrte. Doch war mit dieſer
Neugier, uͤber der ich ihn ertappt, eine ſtraͤfliche Abſicht
nicht grade zu verbinden, und ich ließ den Mann mit
einem Verweiſe gehen. Daß ich ſchon oͤfter auf dieſe
Art belauſcht worden, war ſehr wahrſcheinlich, und leiſe
Bewegung und Menſchennaͤhe uͤberhaupt mochten bis¬
weilen auf meine in der Nachtſtille empfindlichen Nerven
gewirkt haben, da denn, eher als der Sinn, die Ein¬
bildungskraft ſich der unſichern Wahrnehmung bemaͤch¬
tigte. Die Entdeckung war mir ſehr unangenehm; ich
dachte unwillkuͤrlich an die Blaͤtter, die mir weggekom¬
men waren, und quaͤlte mich mit argwoͤhniſchen Ver¬
muthungen aller Art. Daß dieſe nicht ganz ungegruͤndet
waͤren, ſollte ſich bald durch neue Anzeigen beſtaͤtigen.

Mittlerweile hatten vom Niederrhein und von Hol¬
land her allerlei Bewegungen unter den franzoͤſiſchen
Truppen angefangen, und es war deutlich zu erkennen,
daß dieſelben allmaͤhlig immer ſtaͤrker nach den noͤrdlichern
Gegenden ſich zuſammenzogen. Das langſame, aber
anhaltende und uͤbereinſtimmende Fortruͤcken in gleich¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0168" n="156"/>
&#x017F;pa&#x0364;t wiederkam, er&#x017F;taunte ich nicht wenig, einen Mann<lb/>
gebu&#x0364;ckt vor der Thu&#x0364;re &#x017F;tehen zu finden, der bemu&#x0364;ht<lb/>
war, durch das Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;elloch zu &#x017F;ehen. Er war von<lb/>
der Diener&#x017F;chaft, hatte hier aber nichts zu &#x017F;uchen. Mein<lb/>
plo&#x0364;tzliches Er&#x017F;cheinen in &#x017F;einem Ru&#x0364;cken, da er mich im<lb/>
Zimmer glaubte, er&#x017F;chreckte ihn &#x017F;o, daß mein &#x017F;charfes<lb/>
Fragen nichts aus ihm herausbekommen konnte, &#x017F;ondern<lb/>
nur &#x017F;eine Verwirrung mehrte. Doch war mit die&#x017F;er<lb/>
Neugier, u&#x0364;ber der ich ihn ertappt, eine &#x017F;tra&#x0364;fliche Ab&#x017F;icht<lb/>
nicht grade zu verbinden, und ich ließ den Mann mit<lb/>
einem Verwei&#x017F;e gehen. Daß ich &#x017F;chon o&#x0364;fter auf die&#x017F;e<lb/>
Art belau&#x017F;cht worden, war &#x017F;ehr wahr&#x017F;cheinlich, und lei&#x017F;e<lb/>
Bewegung und Men&#x017F;chenna&#x0364;he u&#x0364;berhaupt mochten bis¬<lb/>
weilen auf meine in der Nacht&#x017F;tille empfindlichen Nerven<lb/>
gewirkt haben, da denn, eher als der Sinn, die Ein¬<lb/>
bildungskraft &#x017F;ich der un&#x017F;ichern Wahrnehmung bema&#x0364;ch¬<lb/>
tigte. Die Entdeckung war mir &#x017F;ehr unangenehm; ich<lb/>
dachte unwillku&#x0364;rlich an die Bla&#x0364;tter, die mir weggekom¬<lb/>
men waren, und qua&#x0364;lte mich mit argwo&#x0364;hni&#x017F;chen Ver¬<lb/>
muthungen aller Art. Daß die&#x017F;e nicht ganz ungegru&#x0364;ndet<lb/>
wa&#x0364;ren, &#x017F;ollte &#x017F;ich bald durch neue Anzeigen be&#x017F;ta&#x0364;tigen.</p><lb/>
        <p>Mittlerweile hatten vom Niederrhein und von Hol¬<lb/>
land her allerlei Bewegungen unter den franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Truppen angefangen, und es war deutlich zu erkennen,<lb/>
daß die&#x017F;elben allma&#x0364;hlig immer &#x017F;ta&#x0364;rker nach den no&#x0364;rdlichern<lb/>
Gegenden &#x017F;ich zu&#x017F;ammenzogen. Das lang&#x017F;ame, aber<lb/>
anhaltende und u&#x0364;berein&#x017F;timmende Fortru&#x0364;cken in gleich¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0168] ſpaͤt wiederkam, erſtaunte ich nicht wenig, einen Mann gebuͤckt vor der Thuͤre ſtehen zu finden, der bemuͤht war, durch das Schluͤſſelloch zu ſehen. Er war von der Dienerſchaft, hatte hier aber nichts zu ſuchen. Mein ploͤtzliches Erſcheinen in ſeinem Ruͤcken, da er mich im Zimmer glaubte, erſchreckte ihn ſo, daß mein ſcharfes Fragen nichts aus ihm herausbekommen konnte, ſondern nur ſeine Verwirrung mehrte. Doch war mit dieſer Neugier, uͤber der ich ihn ertappt, eine ſtraͤfliche Abſicht nicht grade zu verbinden, und ich ließ den Mann mit einem Verweiſe gehen. Daß ich ſchon oͤfter auf dieſe Art belauſcht worden, war ſehr wahrſcheinlich, und leiſe Bewegung und Menſchennaͤhe uͤberhaupt mochten bis¬ weilen auf meine in der Nachtſtille empfindlichen Nerven gewirkt haben, da denn, eher als der Sinn, die Ein¬ bildungskraft ſich der unſichern Wahrnehmung bemaͤch¬ tigte. Die Entdeckung war mir ſehr unangenehm; ich dachte unwillkuͤrlich an die Blaͤtter, die mir weggekom¬ men waren, und quaͤlte mich mit argwoͤhniſchen Ver¬ muthungen aller Art. Daß dieſe nicht ganz ungegruͤndet waͤren, ſollte ſich bald durch neue Anzeigen beſtaͤtigen. Mittlerweile hatten vom Niederrhein und von Hol¬ land her allerlei Bewegungen unter den franzoͤſiſchen Truppen angefangen, und es war deutlich zu erkennen, daß dieſelben allmaͤhlig immer ſtaͤrker nach den noͤrdlichern Gegenden ſich zuſammenzogen. Das langſame, aber anhaltende und uͤbereinſtimmende Fortruͤcken in gleich¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/168
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/168>, abgerufen am 23.11.2024.