Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

einen geweihten Hut und Degen schickte, so mußten wir
andre Augen für den Feind unsres Vaterlandes haben?
Diese Folgerungsart ging mir nicht ein, und ich hätte
mich schwerlich enthalten, sie durch Anführungen, wie
die obigen, zu unterbrechen. Stolberg war vortrefflich,
wo sein edler Geist und seine reichen Kenntnisse im Feuer
der Einbildungskraft und der Gesinnung glühen durften,
und wo es auf nichts weiter ankam; zum eigentlichen
Denken war er nicht begabt, und was er in dieser
Richtung, seinem Naturell entgegen, dennoch leisten
wollte, zeigte nur seine Schwäche. Das ganze Mißver¬
hältniß, in welches er durch diesen Mangel gerathen
war, aufzudecken und in seinen Gründen und Folgen
zu erörtern, war neun Jahre später dem alten Voß
auferlegt, bei dessen scharfer Anklage und Stolberg's
bald nachher erfolgtem Tode ich doch wiederum bereuen
mußte, der persönlichen Anschauung des letzten verlustig
geblieben zu sein. --

Von den unheimlichen Anwandlungen, deren ich
früher gedacht, merkt' ich im Verfolg des Aufenthalts
in Steinfurt wenig mehr, und sie waren fast erloschen,
als meine ihretwegen gefühlte Befangenheit plötzlich auf
ein ganz anderes Feld übersprang. Ich hatte eines
Abends mich auf mein Zimmer zurückgezogen, war aber
noch zu dem Obersten gerufen worden, und verweilte
ziemlich lange bei ihm, während das Licht bei mir fort¬
brannte, meine Thüre aber verschlossen war. Als ich

einen geweihten Hut und Degen ſchickte, ſo mußten wir
andre Augen fuͤr den Feind unſres Vaterlandes haben?
Dieſe Folgerungsart ging mir nicht ein, und ich haͤtte
mich ſchwerlich enthalten, ſie durch Anfuͤhrungen, wie
die obigen, zu unterbrechen. Stolberg war vortrefflich,
wo ſein edler Geiſt und ſeine reichen Kenntniſſe im Feuer
der Einbildungskraft und der Geſinnung gluͤhen durften,
und wo es auf nichts weiter ankam; zum eigentlichen
Denken war er nicht begabt, und was er in dieſer
Richtung, ſeinem Naturell entgegen, dennoch leiſten
wollte, zeigte nur ſeine Schwaͤche. Das ganze Mißver¬
haͤltniß, in welches er durch dieſen Mangel gerathen
war, aufzudecken und in ſeinen Gruͤnden und Folgen
zu eroͤrtern, war neun Jahre ſpaͤter dem alten Voß
auferlegt, bei deſſen ſcharfer Anklage und Stolberg's
bald nachher erfolgtem Tode ich doch wiederum bereuen
mußte, der perſoͤnlichen Anſchauung des letzten verluſtig
geblieben zu ſein. —

Von den unheimlichen Anwandlungen, deren ich
fruͤher gedacht, merkt' ich im Verfolg des Aufenthalts
in Steinfurt wenig mehr, und ſie waren faſt erloſchen,
als meine ihretwegen gefuͤhlte Befangenheit ploͤtzlich auf
ein ganz anderes Feld uͤberſprang. Ich hatte eines
Abends mich auf mein Zimmer zuruͤckgezogen, war aber
noch zu dem Oberſten gerufen worden, und verweilte
ziemlich lange bei ihm, waͤhrend das Licht bei mir fort¬
brannte, meine Thuͤre aber verſchloſſen war. Als ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0167" n="155"/>
einen geweihten Hut und Degen &#x017F;chickte, &#x017F;o mußten wir<lb/>
andre Augen fu&#x0364;r den Feind un&#x017F;res Vaterlandes haben?<lb/>
Die&#x017F;e Folgerungsart ging mir nicht ein, und ich ha&#x0364;tte<lb/>
mich &#x017F;chwerlich enthalten, &#x017F;ie durch Anfu&#x0364;hrungen, wie<lb/>
die obigen, zu unterbrechen. Stolberg war vortrefflich,<lb/>
wo &#x017F;ein edler Gei&#x017F;t und &#x017F;eine reichen Kenntni&#x017F;&#x017F;e im Feuer<lb/>
der Einbildungskraft und der Ge&#x017F;innung glu&#x0364;hen durften,<lb/>
und wo es auf nichts weiter ankam; zum eigentlichen<lb/>
Denken war er nicht begabt, und was er in die&#x017F;er<lb/>
Richtung, &#x017F;einem Naturell entgegen, dennoch lei&#x017F;ten<lb/>
wollte, zeigte nur &#x017F;eine Schwa&#x0364;che. Das ganze Mißver¬<lb/>
ha&#x0364;ltniß, in welches er durch die&#x017F;en Mangel gerathen<lb/>
war, aufzudecken und in &#x017F;einen Gru&#x0364;nden und Folgen<lb/>
zu ero&#x0364;rtern, war neun Jahre &#x017F;pa&#x0364;ter dem alten Voß<lb/>
auferlegt, bei de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;charfer Anklage und Stolberg's<lb/>
bald nachher erfolgtem Tode ich doch wiederum bereuen<lb/>
mußte, der per&#x017F;o&#x0364;nlichen An&#x017F;chauung des letzten verlu&#x017F;tig<lb/>
geblieben zu &#x017F;ein. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Von den unheimlichen Anwandlungen, deren ich<lb/>
fru&#x0364;her gedacht, merkt' ich im Verfolg des Aufenthalts<lb/>
in Steinfurt wenig mehr, und &#x017F;ie waren fa&#x017F;t erlo&#x017F;chen,<lb/>
als meine ihretwegen gefu&#x0364;hlte Befangenheit plo&#x0364;tzlich auf<lb/>
ein ganz anderes Feld u&#x0364;ber&#x017F;prang. Ich hatte eines<lb/>
Abends mich auf mein Zimmer zuru&#x0364;ckgezogen, war aber<lb/>
noch zu dem Ober&#x017F;ten gerufen worden, und verweilte<lb/>
ziemlich lange bei ihm, wa&#x0364;hrend das Licht bei mir fort¬<lb/>
brannte, meine Thu&#x0364;re aber ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en war. Als ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0167] einen geweihten Hut und Degen ſchickte, ſo mußten wir andre Augen fuͤr den Feind unſres Vaterlandes haben? Dieſe Folgerungsart ging mir nicht ein, und ich haͤtte mich ſchwerlich enthalten, ſie durch Anfuͤhrungen, wie die obigen, zu unterbrechen. Stolberg war vortrefflich, wo ſein edler Geiſt und ſeine reichen Kenntniſſe im Feuer der Einbildungskraft und der Geſinnung gluͤhen durften, und wo es auf nichts weiter ankam; zum eigentlichen Denken war er nicht begabt, und was er in dieſer Richtung, ſeinem Naturell entgegen, dennoch leiſten wollte, zeigte nur ſeine Schwaͤche. Das ganze Mißver¬ haͤltniß, in welches er durch dieſen Mangel gerathen war, aufzudecken und in ſeinen Gruͤnden und Folgen zu eroͤrtern, war neun Jahre ſpaͤter dem alten Voß auferlegt, bei deſſen ſcharfer Anklage und Stolberg's bald nachher erfolgtem Tode ich doch wiederum bereuen mußte, der perſoͤnlichen Anſchauung des letzten verluſtig geblieben zu ſein. — Von den unheimlichen Anwandlungen, deren ich fruͤher gedacht, merkt' ich im Verfolg des Aufenthalts in Steinfurt wenig mehr, und ſie waren faſt erloſchen, als meine ihretwegen gefuͤhlte Befangenheit ploͤtzlich auf ein ganz anderes Feld uͤberſprang. Ich hatte eines Abends mich auf mein Zimmer zuruͤckgezogen, war aber noch zu dem Oberſten gerufen worden, und verweilte ziemlich lange bei ihm, waͤhrend das Licht bei mir fort¬ brannte, meine Thuͤre aber verſchloſſen war. Als ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/167
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/167>, abgerufen am 23.11.2024.