die Unruhe, als würde ich belauscht, als stünde jemand draußen vor meiner Zimmerthüre. Indeß setzte ich meine Lebensweise ruhig fort, und arbeitete allerlei, was mir Vergnügen machte oder auch zunächst Nutzen bringen sollte. Einige Erzählungen, die ich schon in Tübingen angefangen hatte, schrieb ich um; in manche geschichtliche Stoffe sucht' ich einzudringen. Täglich er¬ neute sich mir auch die Aufforderung, meine über Paris aufgezeichneten Merkworte und Andeutungen zu lesba¬ ren Schilderungen auszuführen. Ich machte in dieser Arbeit ziemliche Fortschritte, theilte einiges davon im Vertrauen mit, und erhielt großen Beifall. Aber eines Tages entdeckt' ich, nicht wenig betroffen, daß mir mehrere Blätter fehlten; da ich sehr klein und auch auf kleine Blätter schrieb, so konnten sie allerdings leicht zwischen andre gerathen sein, sich verkrochen und ver¬ irrt haben, aber die sorgfältigste Nachforschung entdeckte keine Spur davon, und wie sie weggekommen sein sollten, blieb ganz räthselhaft. Unglücklicherweise ent¬ hielten sie starke Aeußerungen gegen den französischen Kaiser, und auch das Poissarden-Lied auf seine Ver¬ mählung nebst den beigeschriebenen Musiknoten, durch welche das eine der Blätter dem Auge sogleich auffal¬ lend erkennbar war. Wer sich jener Zeiten erinnert, dem kann über die Gefahr, solche Papiere verloren zu haben und nicht in sichrer Hand zu wissen, kein Zweifel sein. Und nicht ich allein war bloß gestellt, sondern
die Unruhe, als wuͤrde ich belauſcht, als ſtuͤnde jemand draußen vor meiner Zimmerthuͤre. Indeß ſetzte ich meine Lebensweiſe ruhig fort, und arbeitete allerlei, was mir Vergnuͤgen machte oder auch zunaͤchſt Nutzen bringen ſollte. Einige Erzaͤhlungen, die ich ſchon in Tuͤbingen angefangen hatte, ſchrieb ich um; in manche geſchichtliche Stoffe ſucht' ich einzudringen. Taͤglich er¬ neute ſich mir auch die Aufforderung, meine uͤber Paris aufgezeichneten Merkworte und Andeutungen zu lesba¬ ren Schilderungen auszufuͤhren. Ich machte in dieſer Arbeit ziemliche Fortſchritte, theilte einiges davon im Vertrauen mit, und erhielt großen Beifall. Aber eines Tages entdeckt' ich, nicht wenig betroffen, daß mir mehrere Blaͤtter fehlten; da ich ſehr klein und auch auf kleine Blaͤtter ſchrieb, ſo konnten ſie allerdings leicht zwiſchen andre gerathen ſein, ſich verkrochen und ver¬ irrt haben, aber die ſorgfaͤltigſte Nachforſchung entdeckte keine Spur davon, und wie ſie weggekommen ſein ſollten, blieb ganz raͤthſelhaft. Ungluͤcklicherweiſe ent¬ hielten ſie ſtarke Aeußerungen gegen den franzoͤſiſchen Kaiſer, und auch das Poiſſarden-Lied auf ſeine Ver¬ maͤhlung nebſt den beigeſchriebenen Muſiknoten, durch welche das eine der Blaͤtter dem Auge ſogleich auffal¬ lend erkennbar war. Wer ſich jener Zeiten erinnert, dem kann uͤber die Gefahr, ſolche Papiere verloren zu haben und nicht in ſichrer Hand zu wiſſen, kein Zweifel ſein. Und nicht ich allein war bloß geſtellt, ſondern
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die Unruhe, als wuͤrde ich belauſcht, als ſtuͤnde jemand
draußen vor meiner Zimmerthuͤre. Indeß ſetzte ich
meine Lebensweiſe ruhig fort, und arbeitete allerlei,
was mir Vergnuͤgen machte oder auch zunaͤchſt Nutzen
bringen ſollte. Einige Erzaͤhlungen, die ich ſchon in
Tuͤbingen angefangen hatte, ſchrieb ich um; in manche
geſchichtliche Stoffe ſucht' ich einzudringen. Taͤglich er¬
neute ſich mir auch die Aufforderung, meine uͤber Paris
aufgezeichneten Merkworte und Andeutungen zu lesba¬
ren Schilderungen auszufuͤhren. Ich machte in dieſer
Arbeit ziemliche Fortſchritte, theilte einiges davon im
Vertrauen mit, und erhielt großen Beifall. Aber eines
Tages entdeckt' ich, nicht wenig betroffen, daß mir
mehrere Blaͤtter fehlten; da ich ſehr klein und auch auf
kleine Blaͤtter ſchrieb, ſo konnten ſie allerdings leicht
zwiſchen andre gerathen ſein, ſich verkrochen und ver¬
irrt haben, aber die ſorgfaͤltigſte Nachforſchung entdeckte
keine Spur davon, und wie ſie weggekommen ſein
ſollten, blieb ganz raͤthſelhaft. Ungluͤcklicherweiſe ent¬
hielten ſie ſtarke Aeußerungen gegen den franzoͤſiſchen
Kaiſer, und auch das Poiſſarden-Lied auf ſeine Ver¬
maͤhlung nebſt den beigeſchriebenen Muſiknoten, durch
welche das eine der Blaͤtter dem Auge ſogleich auffal¬
lend erkennbar war. Wer ſich jener Zeiten erinnert,
dem kann uͤber die Gefahr, ſolche Papiere verloren zu
haben und nicht in ſichrer Hand zu wiſſen, kein Zweifel
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/162>, abgerufen am 22.11.2024.
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