den schrecklich angegriffen, hartnäckig vertheidigt. Auten¬ rieth ist voll schwäbischer Phantasie und Laune, da er aber auch großen Verstand besitzt, und der ihn mi߬ trauisch gegen sein Naturell macht, so hat er dieses jenem ganz dienstbar untergeordnet, und nun streiten diese muntern Kräfte wider das, was ihnen eigentlich befreun¬ det ist. Ich habe ihm das einmal bewiesen, daß sein Eifer gegen die Volkslieder nur versteckte Freude an ihnen ist, und er lachte sehr vergnügt darüber. Ein paar junge Tübinger, Pregitzer und Köstlin, nehmen warmen Antheil an diesen Verhandlungen, für Kerner sind sie stärkende Arznei; Uhland schweigt in schroffem Ernst, und seine Gegenwart verhindert uns auch wohl, die streitigen Meinungen allzu stark hervorzurufen. Ich habe aber noch von einem andern Abendgaste zu reden, den ich bei Kerner treffe, abermals einem Poeten, und zwar wieder von ganz anderm Schlag, als die bisher ge¬ nannten; hoffentlich hab' ich mit ihm nun alle Dichter¬ sorten des hiesigen Platzes erschöpft. Ich stelle euch den Professor Conz vor. Laßt es euch nicht stören, daß er so aussieht, wie Focks in den "Versuchen und Hinder¬ nissen" beschrieben ist, er ist doch ein ganz wackrer und guter Kerl! Was kann er dafür, daß er in frühere Jahre fiel, wo es für Dichtergluth eine andre Heizung gab, als jetzt? Er hält eine sehr gute Vermittelungs¬ linie zwischen Schiller und Voß, weiß Metrum und Reim zu handhaben, hat sich um Kantische Philosophie
den ſchrecklich angegriffen, hartnaͤckig vertheidigt. Auten¬ rieth iſt voll ſchwaͤbiſcher Phantaſie und Laune, da er aber auch großen Verſtand beſitzt, und der ihn mi߬ trauiſch gegen ſein Naturell macht, ſo hat er dieſes jenem ganz dienſtbar untergeordnet, und nun ſtreiten dieſe muntern Kraͤfte wider das, was ihnen eigentlich befreun¬ det iſt. Ich habe ihm das einmal bewieſen, daß ſein Eifer gegen die Volkslieder nur verſteckte Freude an ihnen iſt, und er lachte ſehr vergnuͤgt daruͤber. Ein paar junge Tuͤbinger, Pregitzer und Koͤſtlin, nehmen warmen Antheil an dieſen Verhandlungen, fuͤr Kerner ſind ſie ſtaͤrkende Arznei; Uhland ſchweigt in ſchroffem Ernſt, und ſeine Gegenwart verhindert uns auch wohl, die ſtreitigen Meinungen allzu ſtark hervorzurufen. Ich habe aber noch von einem andern Abendgaſte zu reden, den ich bei Kerner treffe, abermals einem Poeten, und zwar wieder von ganz anderm Schlag, als die bisher ge¬ nannten; hoffentlich hab' ich mit ihm nun alle Dichter¬ ſorten des hieſigen Platzes erſchoͤpft. Ich ſtelle euch den Profeſſor Conz vor. Laßt es euch nicht ſtoͤren, daß er ſo ausſieht, wie Focks in den „Verſuchen und Hinder¬ niſſen“ beſchrieben iſt, er iſt doch ein ganz wackrer und guter Kerl! Was kann er dafuͤr, daß er in fruͤhere Jahre fiel, wo es fuͤr Dichtergluth eine andre Heizung gab, als jetzt? Er haͤlt eine ſehr gute Vermittelungs¬ linie zwiſchen Schiller und Voß, weiß Metrum und Reim zu handhaben, hat ſich um Kantiſche Philoſophie
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den ſchrecklich angegriffen, hartnaͤckig vertheidigt. Auten¬
rieth iſt voll ſchwaͤbiſcher Phantaſie und Laune, da er
aber auch großen Verſtand beſitzt, und der ihn mi߬
trauiſch gegen ſein Naturell macht, ſo hat er dieſes jenem
ganz dienſtbar untergeordnet, und nun ſtreiten dieſe
muntern Kraͤfte wider das, was ihnen eigentlich befreun¬
det iſt. Ich habe ihm das einmal bewieſen, daß ſein
Eifer gegen die Volkslieder nur verſteckte Freude an ihnen
iſt, und er lachte ſehr vergnuͤgt daruͤber. Ein paar
junge Tuͤbinger, Pregitzer und Koͤſtlin, nehmen warmen
Antheil an dieſen Verhandlungen, fuͤr Kerner ſind ſie
ſtaͤrkende Arznei; Uhland ſchweigt in ſchroffem Ernſt,
und ſeine Gegenwart verhindert uns auch wohl, die
ſtreitigen Meinungen allzu ſtark hervorzurufen. Ich habe
aber noch von einem andern Abendgaſte zu reden, den
ich bei Kerner treffe, abermals einem Poeten, und zwar
wieder von ganz anderm Schlag, als die bisher ge¬
nannten; hoffentlich hab' ich mit ihm nun alle Dichter¬
ſorten des hieſigen Platzes erſchoͤpft. Ich ſtelle euch den
Profeſſor Conz vor. Laßt es euch nicht ſtoͤren, daß er
ſo ausſieht, wie Focks in den „Verſuchen und Hinder¬
niſſen“ beſchrieben iſt, er iſt doch ein ganz wackrer und
guter Kerl! Was kann er dafuͤr, daß er in fruͤhere
Jahre fiel, wo es fuͤr Dichtergluth eine andre Heizung
gab, als jetzt? Er haͤlt eine ſehr gute Vermittelungs¬
linie zwiſchen Schiller und Voß, weiß Metrum und
Reim zu handhaben, hat ſich um Kantiſche Philoſophie
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/133>, abgerufen am 04.12.2024.
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