Wir lasen, und merkten auf, prüften, lachten, verwar¬ fen, wurden nachdenklich, und endlich von einer Ge¬ schichte nach der andern so übernommen, durch die wie¬ derholte Terminologie und die sich steigernde Aufdring¬ lichkeit dieses ganzen Geisterspuks dergestalt befangen, daß wir nach Mitternacht todtschläfrig und aufgereizt in banger Verstimmung einander gegenüber saßen, und uns von Zeit zu Zeit ansahen, ob wir's auch noch wären, und nichts Geisterhaftes ein Spiel mit uns treibe! Wir verwünschten das Buch, billigten die Ba¬ seler Regierung, die es weislich verboten, konnten aber aus der Gewalt seiner Schauer nicht los, fürchteten, einzeln und einsam dieser noch mehr zu verfallen, und beschlossen, die Nacht beisammen zu bleiben; Kerner hatte nur wenige Schritte über einen Flur und eine Treppe hinab zu seinem Zimmer, allein er mochte nicht fortgehen, und ich bat ihn mich nicht zu verlassen. Spät und verstört schliefen wir ein, und ein unerfreu¬ liches Erwachen trug noch die Spuren der unseligen Lukubration! --
Dieses Würtemberg ist recht die Heimath des Spuk- und Gespensterwesens, der Wunder des Seelen¬ lebens und der Traumwelt. Die Einbildungskraft der Schwaben hat dafür eine außerordentliche Empfänglich¬ keit, ihre Nerven sind nach dieser Richtung besonders ausgebildet. Das Land ist gepfropft voll von Sagen, Prophezeihungen, Wundern, Seltsamkeiten dieser Art.
Wir laſen, und merkten auf, pruͤften, lachten, verwar¬ fen, wurden nachdenklich, und endlich von einer Ge¬ ſchichte nach der andern ſo uͤbernommen, durch die wie¬ derholte Terminologie und die ſich ſteigernde Aufdring¬ lichkeit dieſes ganzen Geiſterſpuks dergeſtalt befangen, daß wir nach Mitternacht todtſchlaͤfrig und aufgereizt in banger Verſtimmung einander gegenuͤber ſaßen, und uns von Zeit zu Zeit anſahen, ob wir's auch noch waͤren, und nichts Geiſterhaftes ein Spiel mit uns treibe! Wir verwuͤnſchten das Buch, billigten die Ba¬ ſeler Regierung, die es weislich verboten, konnten aber aus der Gewalt ſeiner Schauer nicht los, fuͤrchteten, einzeln und einſam dieſer noch mehr zu verfallen, und beſchloſſen, die Nacht beiſammen zu bleiben; Kerner hatte nur wenige Schritte uͤber einen Flur und eine Treppe hinab zu ſeinem Zimmer, allein er mochte nicht fortgehen, und ich bat ihn mich nicht zu verlaſſen. Spaͤt und verſtoͤrt ſchliefen wir ein, und ein unerfreu¬ liches Erwachen trug noch die Spuren der unſeligen Lukubration! —
Dieſes Wuͤrtemberg iſt recht die Heimath des Spuk- und Geſpenſterweſens, der Wunder des Seelen¬ lebens und der Traumwelt. Die Einbildungskraft der Schwaben hat dafuͤr eine außerordentliche Empfaͤnglich¬ keit, ihre Nerven ſind nach dieſer Richtung beſonders ausgebildet. Das Land iſt gepfropft voll von Sagen, Prophezeihungen, Wundern, Seltſamkeiten dieſer Art.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0122"n="110"/>
Wir laſen, und merkten auf, pruͤften, lachten, verwar¬<lb/>
fen, wurden nachdenklich, und endlich von einer Ge¬<lb/>ſchichte nach der andern ſo uͤbernommen, durch die wie¬<lb/>
derholte Terminologie und die ſich ſteigernde Aufdring¬<lb/>
lichkeit dieſes ganzen Geiſterſpuks dergeſtalt befangen,<lb/>
daß wir nach Mitternacht todtſchlaͤfrig und aufgereizt<lb/>
in banger Verſtimmung einander gegenuͤber ſaßen, und<lb/>
uns von Zeit zu Zeit anſahen, ob wir's auch noch<lb/>
waͤren, und nichts Geiſterhaftes ein Spiel mit uns<lb/>
treibe! Wir verwuͤnſchten das Buch, billigten die Ba¬<lb/>ſeler Regierung, die es weislich verboten, konnten aber<lb/>
aus der Gewalt ſeiner Schauer nicht los, fuͤrchteten,<lb/>
einzeln und einſam dieſer noch mehr zu verfallen, und<lb/>
beſchloſſen, die Nacht beiſammen zu bleiben; Kerner<lb/>
hatte nur wenige Schritte uͤber einen Flur und eine<lb/>
Treppe hinab zu ſeinem Zimmer, allein er mochte nicht<lb/>
fortgehen, und ich bat ihn mich nicht zu verlaſſen.<lb/>
Spaͤt und verſtoͤrt ſchliefen wir ein, und ein unerfreu¬<lb/>
liches Erwachen trug noch die Spuren der unſeligen<lb/>
Lukubration! —</p><lb/><p>Dieſes Wuͤrtemberg iſt recht die Heimath des<lb/>
Spuk- und Geſpenſterweſens, der Wunder des Seelen¬<lb/>
lebens und der Traumwelt. Die Einbildungskraft der<lb/>
Schwaben hat dafuͤr eine außerordentliche Empfaͤnglich¬<lb/>
keit, ihre Nerven ſind nach dieſer Richtung beſonders<lb/>
ausgebildet. Das Land iſt gepfropft voll von Sagen,<lb/>
Prophezeihungen, Wundern, Seltſamkeiten dieſer Art.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[110/0122]
Wir laſen, und merkten auf, pruͤften, lachten, verwar¬
fen, wurden nachdenklich, und endlich von einer Ge¬
ſchichte nach der andern ſo uͤbernommen, durch die wie¬
derholte Terminologie und die ſich ſteigernde Aufdring¬
lichkeit dieſes ganzen Geiſterſpuks dergeſtalt befangen,
daß wir nach Mitternacht todtſchlaͤfrig und aufgereizt
in banger Verſtimmung einander gegenuͤber ſaßen, und
uns von Zeit zu Zeit anſahen, ob wir's auch noch
waͤren, und nichts Geiſterhaftes ein Spiel mit uns
treibe! Wir verwuͤnſchten das Buch, billigten die Ba¬
ſeler Regierung, die es weislich verboten, konnten aber
aus der Gewalt ſeiner Schauer nicht los, fuͤrchteten,
einzeln und einſam dieſer noch mehr zu verfallen, und
beſchloſſen, die Nacht beiſammen zu bleiben; Kerner
hatte nur wenige Schritte uͤber einen Flur und eine
Treppe hinab zu ſeinem Zimmer, allein er mochte nicht
fortgehen, und ich bat ihn mich nicht zu verlaſſen.
Spaͤt und verſtoͤrt ſchliefen wir ein, und ein unerfreu¬
liches Erwachen trug noch die Spuren der unſeligen
Lukubration! —
Dieſes Wuͤrtemberg iſt recht die Heimath des
Spuk- und Geſpenſterweſens, der Wunder des Seelen¬
lebens und der Traumwelt. Die Einbildungskraft der
Schwaben hat dafuͤr eine außerordentliche Empfaͤnglich¬
keit, ihre Nerven ſind nach dieſer Richtung beſonders
ausgebildet. Das Land iſt gepfropft voll von Sagen,
Prophezeihungen, Wundern, Seltſamkeiten dieſer Art.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/122>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.