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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

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und reißt mich zu staunender Bewunderung hin; ich
entdecke, indem ich die alten bekannten Züge schärfer
fasse, tausend neue. Den Stil studir' ich bis in's ge¬
naueste Detail hinein, und mich dünkt, daß ich ihn
sehr gut kenne. Ich weiß, ihm nichts an die Seite zu
stellen, im Deutschen nichts, denn wenn ich in Berlin
bisweilen gelten ließ, daß Harscher die Weihnachtsfeier
von Schleiermacher als etwas Aehnliches pries, so dünkt
mich jetzt diese Prosa gegen jene doch nur wie eine
affektirte Melina neben der anmuthigen Philine. Und
dieser Zauber der Vortrefflichkeit, dieser wunderbare
Lichtreiz, erscheint mir am stärksten, indem ich darauf
ausgehe -- ihr werdet es kaum glauben -- Schwächen
und Lücken in dem Buche aufzuspüren, die ich auch --
werdet ihr es glauben? -- reichlich finde und aufzeichne.
Es ist aber als ob die Einsicht in diese Schwächen auch
die Vorzüge heller strahlen machte. Mir ist als wan¬
delte ich an einem Feiertage durch die kunstreiche, ge¬
heimnißvolle Werkstatt des Dichters, sähe seine Arbeit
auf allen ihren Stufen, vom rohen Stoffe, wie er da¬
liegt, bis zum feinsten Gebild, in das er verarbeitet
worden, sähe die Werkzeuge und Hülfsmittel, deren er
sich bedient, und könnte ihm sein ganzes Verfahren
absehen, und es so gut wie er machen, -- wenn er
mir zu allem diesen nur noch ein bischen seinen Kopf
und seine Hand leihen wollte! -- Verlacht mich nicht,
aber meine Sinnesart führt mich immerfort in solche

und reißt mich zu ſtaunender Bewunderung hin; ich
entdecke, indem ich die alten bekannten Zuͤge ſchaͤrfer
faſſe, tauſend neue. Den Stil ſtudir' ich bis in's ge¬
naueſte Detail hinein, und mich duͤnkt, daß ich ihn
ſehr gut kenne. Ich weiß, ihm nichts an die Seite zu
ſtellen, im Deutſchen nichts, denn wenn ich in Berlin
bisweilen gelten ließ, daß Harſcher die Weihnachtsfeier
von Schleiermacher als etwas Aehnliches pries, ſo duͤnkt
mich jetzt dieſe Proſa gegen jene doch nur wie eine
affektirte Melina neben der anmuthigen Philine. Und
dieſer Zauber der Vortrefflichkeit, dieſer wunderbare
Lichtreiz, erſcheint mir am ſtaͤrkſten, indem ich darauf
ausgehe — ihr werdet es kaum glauben — Schwaͤchen
und Luͤcken in dem Buche aufzuſpuͤren, die ich auch —
werdet ihr es glauben? — reichlich finde und aufzeichne.
Es iſt aber als ob die Einſicht in dieſe Schwaͤchen auch
die Vorzuͤge heller ſtrahlen machte. Mir iſt als wan¬
delte ich an einem Feiertage durch die kunſtreiche, ge¬
heimnißvolle Werkſtatt des Dichters, ſaͤhe ſeine Arbeit
auf allen ihren Stufen, vom rohen Stoffe, wie er da¬
liegt, bis zum feinſten Gebild, in das er verarbeitet
worden, ſaͤhe die Werkzeuge und Huͤlfsmittel, deren er
ſich bedient, und koͤnnte ihm ſein ganzes Verfahren
abſehen, und es ſo gut wie er machen, — wenn er
mir zu allem dieſen nur noch ein bischen ſeinen Kopf
und ſeine Hand leihen wollte! — Verlacht mich nicht,
aber meine Sinnesart fuͤhrt mich immerfort in ſolche

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[106/0118] und reißt mich zu ſtaunender Bewunderung hin; ich entdecke, indem ich die alten bekannten Zuͤge ſchaͤrfer faſſe, tauſend neue. Den Stil ſtudir' ich bis in's ge¬ naueſte Detail hinein, und mich duͤnkt, daß ich ihn ſehr gut kenne. Ich weiß, ihm nichts an die Seite zu ſtellen, im Deutſchen nichts, denn wenn ich in Berlin bisweilen gelten ließ, daß Harſcher die Weihnachtsfeier von Schleiermacher als etwas Aehnliches pries, ſo duͤnkt mich jetzt dieſe Proſa gegen jene doch nur wie eine affektirte Melina neben der anmuthigen Philine. Und dieſer Zauber der Vortrefflichkeit, dieſer wunderbare Lichtreiz, erſcheint mir am ſtaͤrkſten, indem ich darauf ausgehe — ihr werdet es kaum glauben — Schwaͤchen und Luͤcken in dem Buche aufzuſpuͤren, die ich auch — werdet ihr es glauben? — reichlich finde und aufzeichne. Es iſt aber als ob die Einſicht in dieſe Schwaͤchen auch die Vorzuͤge heller ſtrahlen machte. Mir iſt als wan¬ delte ich an einem Feiertage durch die kunſtreiche, ge¬ heimnißvolle Werkſtatt des Dichters, ſaͤhe ſeine Arbeit auf allen ihren Stufen, vom rohen Stoffe, wie er da¬ liegt, bis zum feinſten Gebild, in das er verarbeitet worden, ſaͤhe die Werkzeuge und Huͤlfsmittel, deren er ſich bedient, und koͤnnte ihm ſein ganzes Verfahren abſehen, und es ſo gut wie er machen, — wenn er mir zu allem dieſen nur noch ein bischen ſeinen Kopf und ſeine Hand leihen wollte! — Verlacht mich nicht, aber meine Sinnesart fuͤhrt mich immerfort in ſolche

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/118>, abgerufen am 04.12.2024.