vianus wie ein bloßes Format als 8vian angesetzt war, darüber hatte Kerner unendliches Vergnügen! -- Die Rückfahrt geschah in dunkler Nacht, bei kaltem Regen, wir fuhren aber gut, und auch das war ein Vergnügen. -- Die Briefe von Rahel sind jetzt mein einziger Trost. Was sie mir schreibt, erfüllt meine Seele mit Ver¬ trauen und Stärke. Mir ist als wär' ich erst durch sie zur Tageshelle gekommen, als hätte ich bis dahin nur Dämmerung gekannt. Besonders ist der ältere Briefwechsel, den sie mir geschenkt, reich an starkem Ausdruck des Lebens, aus den höchsten ethischen Stand¬ punkten, in reichster Wahrheitsgluth. Harscher, mit dem ich zuletzt noch viele Blätter las, auch einige aus den neuesten Briefen an mich, wußte nicht genug zu preisen, welch Glück mir geworden, und begriff nicht nach diesem Lesen, besonders nicht, wie ich mich von Rahel habe trennen können. --
Tübingen, Donnerstag den 1. December 1808. Nach einem zerstreuten, unnütz verbrachten Abend nahm ich den Wilhelm Meister, und las ein ziemliches Stück. O wie wohl that mir die edle, klare, lebendige Dar¬ stellung. Es war als hörte ich eine schöne, kräftige Troststimme in der Brust, als fühlte ich eine sanfte streichende Hand auf den Augen, als flösse der Tag wieder in silbernen Wellen, getrübt bisher zur dunklen trägen Fluth. Nie hat mich der Meister so entzückt, wie bei dem diesmaligen Lesen, er rührt mich innig,
vianus wie ein bloßes Format als 8vian angeſetzt war, daruͤber hatte Kerner unendliches Vergnuͤgen! — Die Ruͤckfahrt geſchah in dunkler Nacht, bei kaltem Regen, wir fuhren aber gut, und auch das war ein Vergnuͤgen. — Die Briefe von Rahel ſind jetzt mein einziger Troſt. Was ſie mir ſchreibt, erfuͤllt meine Seele mit Ver¬ trauen und Staͤrke. Mir iſt als waͤr' ich erſt durch ſie zur Tageshelle gekommen, als haͤtte ich bis dahin nur Daͤmmerung gekannt. Beſonders iſt der aͤltere Briefwechſel, den ſie mir geſchenkt, reich an ſtarkem Ausdruck des Lebens, aus den hoͤchſten ethiſchen Stand¬ punkten, in reichſter Wahrheitsgluth. Harſcher, mit dem ich zuletzt noch viele Blaͤtter las, auch einige aus den neueſten Briefen an mich, wußte nicht genug zu preiſen, welch Gluͤck mir geworden, und begriff nicht nach dieſem Leſen, beſonders nicht, wie ich mich von Rahel habe trennen koͤnnen. —
Tuͤbingen, Donnerstag den 1. December 1808. Nach einem zerſtreuten, unnuͤtz verbrachten Abend nahm ich den Wilhelm Meiſter, und las ein ziemliches Stuͤck. O wie wohl that mir die edle, klare, lebendige Dar¬ ſtellung. Es war als hoͤrte ich eine ſchoͤne, kraͤftige Troſtſtimme in der Bruſt, als fuͤhlte ich eine ſanfte ſtreichende Hand auf den Augen, als floͤſſe der Tag wieder in ſilbernen Wellen, getruͤbt bisher zur dunklen traͤgen Fluth. Nie hat mich der Meiſter ſo entzuͤckt, wie bei dem diesmaligen Leſen, er ruͤhrt mich innig,
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vianus wie ein bloßes Format als 8vian angeſetzt war,
daruͤber hatte Kerner unendliches Vergnuͤgen! — Die
Ruͤckfahrt geſchah in dunkler Nacht, bei kaltem Regen,
wir fuhren aber gut, und auch das war ein Vergnuͤgen. —
Die Briefe von Rahel ſind jetzt mein einziger Troſt.
Was ſie mir ſchreibt, erfuͤllt meine Seele mit Ver¬
trauen und Staͤrke. Mir iſt als waͤr' ich erſt durch
ſie zur Tageshelle gekommen, als haͤtte ich bis dahin
nur Daͤmmerung gekannt. Beſonders iſt der aͤltere
Briefwechſel, den ſie mir geſchenkt, reich an ſtarkem
Ausdruck des Lebens, aus den hoͤchſten ethiſchen Stand¬
punkten, in reichſter Wahrheitsgluth. Harſcher, mit
dem ich zuletzt noch viele Blaͤtter las, auch einige aus
den neueſten Briefen an mich, wußte nicht genug zu
preiſen, welch Gluͤck mir geworden, und begriff nicht
nach dieſem Leſen, beſonders nicht, wie ich mich von
Rahel habe trennen koͤnnen. —
Tuͤbingen, Donnerstag den 1. December 1808.
Nach einem zerſtreuten, unnuͤtz verbrachten Abend nahm
ich den Wilhelm Meiſter, und las ein ziemliches Stuͤck.
O wie wohl that mir die edle, klare, lebendige Dar¬
ſtellung. Es war als hoͤrte ich eine ſchoͤne, kraͤftige
Troſtſtimme in der Bruſt, als fuͤhlte ich eine ſanfte
ſtreichende Hand auf den Augen, als floͤſſe der Tag
wieder in ſilbernen Wellen, getruͤbt bisher zur dunklen
traͤgen Fluth. Nie hat mich der Meiſter ſo entzuͤckt,
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/117>, abgerufen am 12.12.2024.
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