Schlaf anschnopert, oder unversehens aufgeschreckt nach ihm beißt, das kümmert ihn nicht. Seine Versuche sind schlau und sinnreich, und er sucht alle Quälereien zu vermeiden. Ueberhaupt steht er der Natur sehr nah, und besonders ihrer dunklen Seite. Seine Augen haben etwas Geisterhaftes und Frommes; sein Herz kann er willkürlich schneller schlagen machen, aber es ist nicht eben so wieder hemmen; die Erscheinungen, welche neu¬ lich Ritter an Campetti beobachtet hat, die Pendelschwin¬ gungen des Ringes am seidnen Faden, das Umdrehen des Schlüssels mit dem Buche, und alles dergleichen zauberhaft Magnetisches tritt bei ihm in auffallender Stärke hervor. Er selbst hat etwas Somnambüles, das ihn auch im Scherz und Lachen begleitet. Er kann lange sinnen und träumen, und dann plötzlich auffahren, wo dann der Schreck der Andern ihm gleich wieder zum Scherze dient. Wahnsinnige kann er nachmachen, daß man zusammenschaudert, und obwohl er dies possenhaft beginnt, so ist ihm doch im Verlauf nicht possenhaft dabei zu Muth. In der Poesie ist ihm das Wunder¬ bare der Volksromane, der einfache Laut und die rohe Kraft der Volkslieder am verwandtesten, Dichtungen höherer Art läßt er gelten, aber er begehrt ihrer nicht; so spricht er auch mit Vorliebe die rohe Landesmundart, will sie nicht ablegen und verstockt sich wohl gar gegen die Schriftsprache. Der Sinn für gebildete Kunst tritt zurück; in der Musik hat er sich die Maultrommel an¬
Schlaf anſchnopert, oder unverſehens aufgeſchreckt nach ihm beißt, das kuͤmmert ihn nicht. Seine Verſuche ſind ſchlau und ſinnreich, und er ſucht alle Quaͤlereien zu vermeiden. Ueberhaupt ſteht er der Natur ſehr nah, und beſonders ihrer dunklen Seite. Seine Augen haben etwas Geiſterhaftes und Frommes; ſein Herz kann er willkuͤrlich ſchneller ſchlagen machen, aber es iſt nicht eben ſo wieder hemmen; die Erſcheinungen, welche neu¬ lich Ritter an Campetti beobachtet hat, die Pendelſchwin¬ gungen des Ringes am ſeidnen Faden, das Umdrehen des Schluͤſſels mit dem Buche, und alles dergleichen zauberhaft Magnetiſches tritt bei ihm in auffallender Staͤrke hervor. Er ſelbſt hat etwas Somnambuͤles, das ihn auch im Scherz und Lachen begleitet. Er kann lange ſinnen und traͤumen, und dann ploͤtzlich auffahren, wo dann der Schreck der Andern ihm gleich wieder zum Scherze dient. Wahnſinnige kann er nachmachen, daß man zuſammenſchaudert, und obwohl er dies poſſenhaft beginnt, ſo iſt ihm doch im Verlauf nicht poſſenhaft dabei zu Muth. In der Poeſie iſt ihm das Wunder¬ bare der Volksromane, der einfache Laut und die rohe Kraft der Volkslieder am verwandteſten, Dichtungen hoͤherer Art laͤßt er gelten, aber er begehrt ihrer nicht; ſo ſpricht er auch mit Vorliebe die rohe Landesmundart, will ſie nicht ablegen und verſtockt ſich wohl gar gegen die Schriftſprache. Der Sinn fuͤr gebildete Kunſt tritt zuruͤck; in der Muſik hat er ſich die Maultrommel an¬
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Schlaf anſchnopert, oder unverſehens aufgeſchreckt nach
ihm beißt, das kuͤmmert ihn nicht. Seine Verſuche ſind
ſchlau und ſinnreich, und er ſucht alle Quaͤlereien zu
vermeiden. Ueberhaupt ſteht er der Natur ſehr nah,
und beſonders ihrer dunklen Seite. Seine Augen haben
etwas Geiſterhaftes und Frommes; ſein Herz kann er
willkuͤrlich ſchneller ſchlagen machen, aber es iſt nicht
eben ſo wieder hemmen; die Erſcheinungen, welche neu¬
lich Ritter an Campetti beobachtet hat, die Pendelſchwin¬
gungen des Ringes am ſeidnen Faden, das Umdrehen
des Schluͤſſels mit dem Buche, und alles dergleichen
zauberhaft Magnetiſches tritt bei ihm in auffallender
Staͤrke hervor. Er ſelbſt hat etwas Somnambuͤles, das
ihn auch im Scherz und Lachen begleitet. Er kann
lange ſinnen und traͤumen, und dann ploͤtzlich auffahren,
wo dann der Schreck der Andern ihm gleich wieder zum
Scherze dient. Wahnſinnige kann er nachmachen, daß
man zuſammenſchaudert, und obwohl er dies poſſenhaft
beginnt, ſo iſt ihm doch im Verlauf nicht poſſenhaft
dabei zu Muth. In der Poeſie iſt ihm das Wunder¬
bare der Volksromane, der einfache Laut und die rohe
Kraft der Volkslieder am verwandteſten, Dichtungen
hoͤherer Art laͤßt er gelten, aber er begehrt ihrer nicht;
ſo ſpricht er auch mit Vorliebe die rohe Landesmundart,
will ſie nicht ablegen und verſtockt ſich wohl gar gegen
die Schriftſprache. Der Sinn fuͤr gebildete Kunſt tritt
zuruͤck; in der Muſik hat er ſich die Maultrommel an¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/112>, abgerufen am 04.12.2024.
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