Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Mediziner, der nächstens als Arzt in seine Vaterstadt
Frankfurt am Main zurückkehrt, klein, gewandt, roth¬
bäckig, Philosophie und Poesie verächtlich belächelnd,
aber eifrig für's Praktische, streng auf sein Fach ver¬
sessen, und wohlbeschlagen für's Examen, kurz, einer
von der infamen Race, die man hoffnungsvolle Jüng¬
linge und später Ehrenmänner nennt, will sich unsrer
annehmen, und uns mit dem Neste, wo er sich so gut
hat flügge werden lassen, aussöhnen. Wir aber wollen
nichts mit ihm und seinem Gelichter zu thun haben!
Er war uns aber doch schon willkommene Brücke zur
Bekanntschaft mit einem andern jungen Mann, mit
Justinus Kerner, einem jüngern Bruder des Arztes in
Hamburg, Dichter, von dem einige Lieder in der Ein¬
siedlerzeitung gedruckt sind; er ist ein unschuldiges kind¬
liches Gemüth, äußerlich vernachlässigt, innerlich dem
Höheren zugewandt, wir verstehen uns aber wenig, er
kennt nur sein Schwaben. Auch einen Freund von ihm,
Ludwig Uhland, ebenfalls Dichter, hab' ich gesehen und
gesprochen. -- Wir waren bei Kielmeyer und Auten¬
rieth, nun die Männer bedürfen unsres Lobes nicht,
aber -- es ist doch alles anders, als wir dachten.
Autenrieth's Klinikum ist vortrefflich, eine lebendige
Darstellung, scharfsinnig, eindringlich belehrend; doch
die Anstalt ist klein, erst im Entstehen, und er selbst
wundert sich, daß Reil und andre solche Rathgeber uns
hieher gewiesen haben. Indeß könnten wir sehr zweck¬

Mediziner, der naͤchſtens als Arzt in ſeine Vaterſtadt
Frankfurt am Main zuruͤckkehrt, klein, gewandt, roth¬
baͤckig, Philoſophie und Poeſie veraͤchtlich belaͤchelnd,
aber eifrig fuͤr's Praktiſche, ſtreng auf ſein Fach ver¬
ſeſſen, und wohlbeſchlagen fuͤr's Examen, kurz, einer
von der infamen Race, die man hoffnungsvolle Juͤng¬
linge und ſpaͤter Ehrenmaͤnner nennt, will ſich unſrer
annehmen, und uns mit dem Neſte, wo er ſich ſo gut
hat fluͤgge werden laſſen, ausſoͤhnen. Wir aber wollen
nichts mit ihm und ſeinem Gelichter zu thun haben!
Er war uns aber doch ſchon willkommene Bruͤcke zur
Bekanntſchaft mit einem andern jungen Mann, mit
Juſtinus Kerner, einem juͤngern Bruder des Arztes in
Hamburg, Dichter, von dem einige Lieder in der Ein¬
ſiedlerzeitung gedruckt ſind; er iſt ein unſchuldiges kind¬
liches Gemuͤth, aͤußerlich vernachlaͤſſigt, innerlich dem
Hoͤheren zugewandt, wir verſtehen uns aber wenig, er
kennt nur ſein Schwaben. Auch einen Freund von ihm,
Ludwig Uhland, ebenfalls Dichter, hab' ich geſehen und
geſprochen. — Wir waren bei Kielmeyer und Auten¬
rieth, nun die Maͤnner beduͤrfen unſres Lobes nicht,
aber — es iſt doch alles anders, als wir dachten.
Autenrieth's Klinikum iſt vortrefflich, eine lebendige
Darſtellung, ſcharfſinnig, eindringlich belehrend; doch
die Anſtalt iſt klein, erſt im Entſtehen, und er ſelbſt
wundert ſich, daß Reil und andre ſolche Rathgeber uns
hieher gewieſen haben. Indeß koͤnnten wir ſehr zweck¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0105" n="93"/>
Mediziner, der na&#x0364;ch&#x017F;tens als Arzt in &#x017F;eine Vater&#x017F;tadt<lb/>
Frankfurt am Main zuru&#x0364;ckkehrt, klein, gewandt, roth¬<lb/>
ba&#x0364;ckig, Philo&#x017F;ophie und Poe&#x017F;ie vera&#x0364;chtlich bela&#x0364;chelnd,<lb/>
aber eifrig fu&#x0364;r's Prakti&#x017F;che, &#x017F;treng auf &#x017F;ein Fach ver¬<lb/>
&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, und wohlbe&#x017F;chlagen fu&#x0364;r's Examen, kurz, einer<lb/>
von der infamen Race, die man hoffnungsvolle Ju&#x0364;ng¬<lb/>
linge und &#x017F;pa&#x0364;ter Ehrenma&#x0364;nner nennt, will &#x017F;ich un&#x017F;rer<lb/>
annehmen, und uns mit dem Ne&#x017F;te, wo er &#x017F;ich &#x017F;o gut<lb/>
hat flu&#x0364;gge werden la&#x017F;&#x017F;en, aus&#x017F;o&#x0364;hnen. Wir aber wollen<lb/>
nichts mit ihm und &#x017F;einem Gelichter zu thun haben!<lb/>
Er war uns aber doch &#x017F;chon willkommene Bru&#x0364;cke zur<lb/>
Bekannt&#x017F;chaft mit einem andern jungen Mann, mit<lb/>
Ju&#x017F;tinus Kerner, einem ju&#x0364;ngern Bruder des Arztes in<lb/>
Hamburg, Dichter, von dem einige Lieder in der Ein¬<lb/>
&#x017F;iedlerzeitung gedruckt &#x017F;ind; er i&#x017F;t ein un&#x017F;chuldiges kind¬<lb/>
liches Gemu&#x0364;th, a&#x0364;ußerlich vernachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igt, innerlich dem<lb/>
Ho&#x0364;heren zugewandt, wir ver&#x017F;tehen uns aber wenig, er<lb/>
kennt nur &#x017F;ein Schwaben. Auch einen Freund von ihm,<lb/>
Ludwig Uhland, ebenfalls Dichter, hab' ich ge&#x017F;ehen und<lb/>
ge&#x017F;prochen. &#x2014; Wir waren bei Kielmeyer und Auten¬<lb/>
rieth, nun die Ma&#x0364;nner bedu&#x0364;rfen un&#x017F;res Lobes nicht,<lb/>
aber &#x2014; es i&#x017F;t doch alles anders, als wir dachten.<lb/>
Autenrieth's Klinikum i&#x017F;t vortrefflich, eine lebendige<lb/>
Dar&#x017F;tellung, &#x017F;charf&#x017F;innig, eindringlich belehrend; doch<lb/>
die An&#x017F;talt i&#x017F;t klein, er&#x017F;t im Ent&#x017F;tehen, und er &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
wundert &#x017F;ich, daß Reil und andre &#x017F;olche Rathgeber uns<lb/>
hieher gewie&#x017F;en haben. Indeß ko&#x0364;nnten wir &#x017F;ehr zweck¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0105] Mediziner, der naͤchſtens als Arzt in ſeine Vaterſtadt Frankfurt am Main zuruͤckkehrt, klein, gewandt, roth¬ baͤckig, Philoſophie und Poeſie veraͤchtlich belaͤchelnd, aber eifrig fuͤr's Praktiſche, ſtreng auf ſein Fach ver¬ ſeſſen, und wohlbeſchlagen fuͤr's Examen, kurz, einer von der infamen Race, die man hoffnungsvolle Juͤng¬ linge und ſpaͤter Ehrenmaͤnner nennt, will ſich unſrer annehmen, und uns mit dem Neſte, wo er ſich ſo gut hat fluͤgge werden laſſen, ausſoͤhnen. Wir aber wollen nichts mit ihm und ſeinem Gelichter zu thun haben! Er war uns aber doch ſchon willkommene Bruͤcke zur Bekanntſchaft mit einem andern jungen Mann, mit Juſtinus Kerner, einem juͤngern Bruder des Arztes in Hamburg, Dichter, von dem einige Lieder in der Ein¬ ſiedlerzeitung gedruckt ſind; er iſt ein unſchuldiges kind¬ liches Gemuͤth, aͤußerlich vernachlaͤſſigt, innerlich dem Hoͤheren zugewandt, wir verſtehen uns aber wenig, er kennt nur ſein Schwaben. Auch einen Freund von ihm, Ludwig Uhland, ebenfalls Dichter, hab' ich geſehen und geſprochen. — Wir waren bei Kielmeyer und Auten¬ rieth, nun die Maͤnner beduͤrfen unſres Lobes nicht, aber — es iſt doch alles anders, als wir dachten. Autenrieth's Klinikum iſt vortrefflich, eine lebendige Darſtellung, ſcharfſinnig, eindringlich belehrend; doch die Anſtalt iſt klein, erſt im Entſtehen, und er ſelbſt wundert ſich, daß Reil und andre ſolche Rathgeber uns hieher gewieſen haben. Indeß koͤnnten wir ſehr zweck¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/105
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/105>, abgerufen am 04.12.2024.