gehören gewiß zu den besten, die wir gelebt haben. Warum konnten sie nicht ungehemmt so fortdauern und sich zu Jahren aufreihen? Weiß der Himmel, was hier dem klaren Aether sich wieder als Streifgewölk einschleichen durfte, aber dieser Zug von Tagen wollte sich nicht in's Unbegränzte fortführen lassen. Nicht daß wir aufgehört hätten, fleißig und eifrig zu sein, keineswegs! Aber der frische, grade Hauch, der in unsre Segel blies, der uns rasch und freundlich auf hoher Fluth unsren Ster¬ nen zuführte, dieser Glückswind, der zugleich in und um uns wehte, hatte etwas von des Wetters Wandel¬ barkeit, wie er von dessen Schönheit hatte. Der Erfolg würde außerordentlich gewesen sein, hätten wir so fort¬ fahren können, denn zum Erstaunen sahen wir uns die schäumenden Wogen durchschneiden und die Strecken des Weges hinter uns lassen; ich kann sagen, daß dieser Ruck mir für alles weitre Studium den eigentlichen Durchbruch gegeben. Wir hatten Uebungen in Latein¬ schreiben, hörten Vorträge über den Cicero vom Redner, über den Livius, dann über Homers Ilias, über den Herodotos, und bald auch über den Pindar, die Sati¬ ren des Horaz und den Plutos des Aristophanes. Wir waren solchergestalt auf einmal mitten in das Wogen¬ gedränge des Alterthums versetzt, und mußten wacker arbeiten, um schwimmend im Strom zu bleiben. Gur¬ litt hatte seine Freude daran, und half uns wohlwollend
II. 6
gehoͤren gewiß zu den beſten, die wir gelebt haben. Warum konnten ſie nicht ungehemmt ſo fortdauern und ſich zu Jahren aufreihen? Weiß der Himmel, was hier dem klaren Aether ſich wieder als Streifgewoͤlk einſchleichen durfte, aber dieſer Zug von Tagen wollte ſich nicht in’s Unbegraͤnzte fortfuͤhren laſſen. Nicht daß wir aufgehoͤrt haͤtten, fleißig und eifrig zu ſein, keineswegs! Aber der friſche, grade Hauch, der in unſre Segel blies, der uns raſch und freundlich auf hoher Fluth unſren Ster¬ nen zufuͤhrte, dieſer Gluͤckswind, der zugleich in und um uns wehte, hatte etwas von des Wetters Wandel¬ barkeit, wie er von deſſen Schoͤnheit hatte. Der Erfolg wuͤrde außerordentlich geweſen ſein, haͤtten wir ſo fort¬ fahren koͤnnen, denn zum Erſtaunen ſahen wir uns die ſchaͤumenden Wogen durchſchneiden und die Strecken des Weges hinter uns laſſen; ich kann ſagen, daß dieſer Ruck mir fuͤr alles weitre Studium den eigentlichen Durchbruch gegeben. Wir hatten Uebungen in Latein¬ ſchreiben, hoͤrten Vortraͤge uͤber den Cicero vom Redner, uͤber den Livius, dann uͤber Homers Ilias, uͤber den Herodotos, und bald auch uͤber den Pindar, die Sati¬ ren des Horaz und den Plutos des Ariſtophanes. Wir waren ſolchergeſtalt auf einmal mitten in das Wogen¬ gedraͤnge des Alterthums verſetzt, und mußten wacker arbeiten, um ſchwimmend im Strom zu bleiben. Gur¬ litt hatte ſeine Freude daran, und half uns wohlwollend
II. 6
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0095"n="81"/>
gehoͤren gewiß zu den beſten, die wir gelebt haben.<lb/>
Warum konnten ſie nicht ungehemmt ſo fortdauern und<lb/>ſich zu Jahren aufreihen? Weiß der Himmel, was hier dem<lb/>
klaren Aether ſich wieder als Streifgewoͤlk einſchleichen<lb/>
durfte, aber dieſer Zug von Tagen wollte ſich nicht in’s<lb/>
Unbegraͤnzte fortfuͤhren laſſen. Nicht daß wir aufgehoͤrt<lb/>
haͤtten, fleißig und eifrig zu ſein, keineswegs! Aber<lb/>
der friſche, grade Hauch, der in unſre Segel blies, der<lb/>
uns raſch und freundlich auf hoher Fluth unſren Ster¬<lb/>
nen zufuͤhrte, dieſer Gluͤckswind, der zugleich in und<lb/>
um uns wehte, hatte etwas von des Wetters Wandel¬<lb/>
barkeit, wie er von deſſen Schoͤnheit hatte. Der Erfolg<lb/>
wuͤrde außerordentlich geweſen ſein, haͤtten wir ſo fort¬<lb/>
fahren koͤnnen, denn zum Erſtaunen ſahen wir uns die<lb/>ſchaͤumenden Wogen durchſchneiden und die Strecken des<lb/>
Weges hinter uns laſſen; ich kann ſagen, daß dieſer<lb/>
Ruck mir fuͤr alles weitre Studium den eigentlichen<lb/>
Durchbruch gegeben. Wir hatten Uebungen in Latein¬<lb/>ſchreiben, hoͤrten Vortraͤge uͤber den Cicero vom Redner,<lb/>
uͤber den Livius, dann uͤber Homers Ilias, uͤber den<lb/>
Herodotos, und bald auch uͤber den Pindar, die Sati¬<lb/>
ren des Horaz und den Plutos des Ariſtophanes. Wir<lb/>
waren ſolchergeſtalt auf einmal mitten in das Wogen¬<lb/>
gedraͤnge des Alterthums verſetzt, und mußten wacker<lb/>
arbeiten, um ſchwimmend im Strom zu bleiben. Gur¬<lb/>
litt hatte ſeine Freude daran, und half uns wohlwollend<lb/><fwplace="bottom"type="sig">II. <hirendition="#b">6</hi><lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[81/0095]
gehoͤren gewiß zu den beſten, die wir gelebt haben.
Warum konnten ſie nicht ungehemmt ſo fortdauern und
ſich zu Jahren aufreihen? Weiß der Himmel, was hier dem
klaren Aether ſich wieder als Streifgewoͤlk einſchleichen
durfte, aber dieſer Zug von Tagen wollte ſich nicht in’s
Unbegraͤnzte fortfuͤhren laſſen. Nicht daß wir aufgehoͤrt
haͤtten, fleißig und eifrig zu ſein, keineswegs! Aber
der friſche, grade Hauch, der in unſre Segel blies, der
uns raſch und freundlich auf hoher Fluth unſren Ster¬
nen zufuͤhrte, dieſer Gluͤckswind, der zugleich in und
um uns wehte, hatte etwas von des Wetters Wandel¬
barkeit, wie er von deſſen Schoͤnheit hatte. Der Erfolg
wuͤrde außerordentlich geweſen ſein, haͤtten wir ſo fort¬
fahren koͤnnen, denn zum Erſtaunen ſahen wir uns die
ſchaͤumenden Wogen durchſchneiden und die Strecken des
Weges hinter uns laſſen; ich kann ſagen, daß dieſer
Ruck mir fuͤr alles weitre Studium den eigentlichen
Durchbruch gegeben. Wir hatten Uebungen in Latein¬
ſchreiben, hoͤrten Vortraͤge uͤber den Cicero vom Redner,
uͤber den Livius, dann uͤber Homers Ilias, uͤber den
Herodotos, und bald auch uͤber den Pindar, die Sati¬
ren des Horaz und den Plutos des Ariſtophanes. Wir
waren ſolchergeſtalt auf einmal mitten in das Wogen¬
gedraͤnge des Alterthums verſetzt, und mußten wacker
arbeiten, um ſchwimmend im Strom zu bleiben. Gur¬
litt hatte ſeine Freude daran, und half uns wohlwollend
II. 6
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/95>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.