Bahn betreten, und was zu vermeiden und zu erstre¬ ben sei, wurde mir klarer. Uebrigens muß ich gestehen, daß Schlegel uns schon damals schien, mehr Talent als Geist zu haben, und wenn ihm auch Neumann und ich noch großes Zutrauen widmeten, so wollte er doch den Andern wenig mehr genügen, und sie sprachen gering¬ schätzig von ihm, welches ich ihnen als Uebermuth an¬ rechnete. Eine starke Stütze gab ihnen freilich das Ur¬ theil Fichte's, der einmal unumwunden erklärte, Tiefe fehle dem ältern Bruder und Klarheit dem jüngern, ge¬ meinsam sei ihnen beiden aber der Haß, welchen sie allerdings gegen das Gemeine hätten, und die Eifersucht, die sie gegen das Höhere empfinden, welches sie selbst doch weder zu sein noch zu läugnen vermöchten, und daher aus Verzweiflung übermäßig lobten, so ihn selbst und Goethe'n. Unwillkommen schlossen solche Aeußerun¬ gen mir das zerrüttete Innere von litterarischen Zustän¬ den und Verhältnissen auf, die ich für die reinsten und einträchtigsten gehalten hatte. Allein mir schien, daß auch der Eigenheit Fichte's etwas nachzusehen sei, und ich wollte daher die Sachen nicht so ganz schlimm glau¬ ben, als er sie aussprach, und am wenigsten konnt' ich den andern zugestehen, ihrerseits so zu richten und zu verdammen, wie dies etwa Fichte thun durfte, weil er eben Fichte war.
Einen lustigen Abend brachte uns die Aufführung von Roberts Ueberbildeten nach Moliere's Precieuses
Bahn betreten, und was zu vermeiden und zu erſtre¬ ben ſei, wurde mir klarer. Uebrigens muß ich geſtehen, daß Schlegel uns ſchon damals ſchien, mehr Talent als Geiſt zu haben, und wenn ihm auch Neumann und ich noch großes Zutrauen widmeten, ſo wollte er doch den Andern wenig mehr genuͤgen, und ſie ſprachen gering¬ ſchaͤtzig von ihm, welches ich ihnen als Uebermuth an¬ rechnete. Eine ſtarke Stuͤtze gab ihnen freilich das Ur¬ theil Fichte’s, der einmal unumwunden erklaͤrte, Tiefe fehle dem aͤltern Bruder und Klarheit dem juͤngern, ge¬ meinſam ſei ihnen beiden aber der Haß, welchen ſie allerdings gegen das Gemeine haͤtten, und die Eiferſucht, die ſie gegen das Hoͤhere empfinden, welches ſie ſelbſt doch weder zu ſein noch zu laͤugnen vermoͤchten, und daher aus Verzweiflung uͤbermaͤßig lobten, ſo ihn ſelbſt und Goethe’n. Unwillkommen ſchloſſen ſolche Aeußerun¬ gen mir das zerruͤttete Innere von litterariſchen Zuſtaͤn¬ den und Verhaͤltniſſen auf, die ich fuͤr die reinſten und eintraͤchtigſten gehalten hatte. Allein mir ſchien, daß auch der Eigenheit Fichte’s etwas nachzuſehen ſei, und ich wollte daher die Sachen nicht ſo ganz ſchlimm glau¬ ben, als er ſie ausſprach, und am wenigſten konnt’ ich den andern zugeſtehen, ihrerſeits ſo zu richten und zu verdammen, wie dies etwa Fichte thun durfte, weil er eben Fichte war.
Einen luſtigen Abend brachte uns die Auffuͤhrung von Roberts Ueberbildeten nach Moliere’s Précieuses
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Bahn betreten, und was zu vermeiden und zu erſtre¬
ben ſei, wurde mir klarer. Uebrigens muß ich geſtehen,
daß Schlegel uns ſchon damals ſchien, mehr Talent als
Geiſt zu haben, und wenn ihm auch Neumann und ich
noch großes Zutrauen widmeten, ſo wollte er doch den
Andern wenig mehr genuͤgen, und ſie ſprachen gering¬
ſchaͤtzig von ihm, welches ich ihnen als Uebermuth an¬
rechnete. Eine ſtarke Stuͤtze gab ihnen freilich das Ur¬
theil Fichte’s, der einmal unumwunden erklaͤrte, Tiefe
fehle dem aͤltern Bruder und Klarheit dem juͤngern, ge¬
meinſam ſei ihnen beiden aber der Haß, welchen ſie
allerdings gegen das Gemeine haͤtten, und die Eiferſucht,
die ſie gegen das Hoͤhere empfinden, welches ſie ſelbſt
doch weder zu ſein noch zu laͤugnen vermoͤchten, und
daher aus Verzweiflung uͤbermaͤßig lobten, ſo ihn ſelbſt
und Goethe’n. Unwillkommen ſchloſſen ſolche Aeußerun¬
gen mir das zerruͤttete Innere von litterariſchen Zuſtaͤn¬
den und Verhaͤltniſſen auf, die ich fuͤr die reinſten und
eintraͤchtigſten gehalten hatte. Allein mir ſchien, daß
auch der Eigenheit Fichte’s etwas nachzuſehen ſei, und
ich wollte daher die Sachen nicht ſo ganz ſchlimm glau¬
ben, als er ſie ausſprach, und am wenigſten konnt’ ich
den andern zugeſtehen, ihrerſeits ſo zu richten und zu
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eben Fichte war.
Einen luſtigen Abend brachte uns die Auffuͤhrung
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/74>, abgerufen am 23.11.2024.
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