Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

nichts gleichgültiger, als die politischen Angelegenheiten,
ein Gedicht war mir wichtiger, als der ganze Staat,
ein Ereigniß im Kreise unsrer Herzens- und Geistes¬
beschäftigung bedeutender, als alle Schlachten und
Friedensschlüsse: aber gleichwohl war mir das nahe
Vorbeigehen einer so beziehungsreichen Staatssache zu
merkwürdig, als daß ich nicht vielfach darüber nachge¬
dacht und ein frühes Vorbild für viele spätere Erfah¬
rungen darin aufgefaßt hätte. --

Ein Staatsmann besserer Art und höherer Ordnung
wurde mir in dem portugiesischen Geschäftsträger Pin¬
heiro-Ferreira vertraulich bekannt. Aeußerst klein und
schmächtig von Gestalt, fast nur ein Knäbchen von
Ansehn, so daß man von ihm sagte, er sei ein Küchlein
über der Sparlampe ausgebrütet, wußte er doch durch
gemessenes und feines Betragen, und durch einen schönen
Ernst, wie er Südländern öfters eigen ist, einen wirk¬
samen Eindruck von Würde zu geben, und um sich her
Achtung zu gebieten. Ich weiß nicht, wodurch eigent¬
lich seine Zuneigung mir gewonnen wurde, allein er
schenkte sie mir in hohem Grade, und sprach viel mit
mir über deutsche Dichter, denen er anhaltenden Fleiß
widmete, so wie er mir auch von portugiesischer Litte¬
ratur vieles erzählte, und besonders den Dichter Dinis
anrühmte, von dem er Verse mit Begeisterung her¬
sagte. Auch über Homer und Homerische Mythologie
nahm er unsre deutschen Einsichten, so weit ich sie mit¬

nichts gleichguͤltiger, als die politiſchen Angelegenheiten,
ein Gedicht war mir wichtiger, als der ganze Staat,
ein Ereigniß im Kreiſe unſrer Herzens- und Geiſtes¬
beſchaͤftigung bedeutender, als alle Schlachten und
Friedensſchluͤſſe: aber gleichwohl war mir das nahe
Vorbeigehen einer ſo beziehungsreichen Staatsſache zu
merkwuͤrdig, als daß ich nicht vielfach daruͤber nachge¬
dacht und ein fruͤhes Vorbild fuͤr viele ſpaͤtere Erfah¬
rungen darin aufgefaßt haͤtte. —

Ein Staatsmann beſſerer Art und hoͤherer Ordnung
wurde mir in dem portugieſiſchen Geſchaͤftstraͤger Pin¬
heiro-Ferreira vertraulich bekannt. Aeußerſt klein und
ſchmaͤchtig von Geſtalt, faſt nur ein Knaͤbchen von
Anſehn, ſo daß man von ihm ſagte, er ſei ein Kuͤchlein
uͤber der Sparlampe ausgebruͤtet, wußte er doch durch
gemeſſenes und feines Betragen, und durch einen ſchoͤnen
Ernſt, wie er Suͤdlaͤndern oͤfters eigen iſt, einen wirk¬
ſamen Eindruck von Wuͤrde zu geben, und um ſich her
Achtung zu gebieten. Ich weiß nicht, wodurch eigent¬
lich ſeine Zuneigung mir gewonnen wurde, allein er
ſchenkte ſie mir in hohem Grade, und ſprach viel mit
mir uͤber deutſche Dichter, denen er anhaltenden Fleiß
widmete, ſo wie er mir auch von portugieſiſcher Litte¬
ratur vieles erzaͤhlte, und beſonders den Dichter Dinis
anruͤhmte, von dem er Verſe mit Begeiſterung her¬
ſagte. Auch uͤber Homer und Homeriſche Mythologie
nahm er unſre deutſchen Einſichten, ſo weit ich ſie mit¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0059" n="45"/>
nichts gleichgu&#x0364;ltiger, als die politi&#x017F;chen Angelegenheiten,<lb/>
ein Gedicht war mir wichtiger, als der ganze Staat,<lb/>
ein Ereigniß im Krei&#x017F;e un&#x017F;rer Herzens- und Gei&#x017F;tes¬<lb/>
be&#x017F;cha&#x0364;ftigung bedeutender, als alle Schlachten und<lb/>
Friedens&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e: aber gleichwohl war mir das nahe<lb/>
Vorbeigehen einer &#x017F;o beziehungsreichen Staats&#x017F;ache zu<lb/>
merkwu&#x0364;rdig, als daß ich nicht vielfach daru&#x0364;ber nachge¬<lb/>
dacht und ein fru&#x0364;hes Vorbild fu&#x0364;r viele &#x017F;pa&#x0364;tere Erfah¬<lb/>
rungen darin aufgefaßt ha&#x0364;tte. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ein Staatsmann be&#x017F;&#x017F;erer Art und ho&#x0364;herer Ordnung<lb/>
wurde mir in dem portugie&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;cha&#x0364;ftstra&#x0364;ger Pin¬<lb/>
heiro-Ferreira vertraulich bekannt. Aeußer&#x017F;t klein und<lb/>
&#x017F;chma&#x0364;chtig von Ge&#x017F;talt, fa&#x017F;t nur ein Kna&#x0364;bchen von<lb/>
An&#x017F;ehn, &#x017F;o daß man von ihm &#x017F;agte, er &#x017F;ei ein Ku&#x0364;chlein<lb/>
u&#x0364;ber der Sparlampe ausgebru&#x0364;tet, wußte er doch durch<lb/>
geme&#x017F;&#x017F;enes und feines Betragen, und durch einen &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Ern&#x017F;t, wie er Su&#x0364;dla&#x0364;ndern o&#x0364;fters eigen i&#x017F;t, einen wirk¬<lb/>
&#x017F;amen Eindruck von Wu&#x0364;rde zu geben, und um &#x017F;ich her<lb/>
Achtung zu gebieten. Ich weiß nicht, wodurch eigent¬<lb/>
lich &#x017F;eine Zuneigung mir gewonnen wurde, allein er<lb/>
&#x017F;chenkte &#x017F;ie mir in hohem Grade, und &#x017F;prach viel mit<lb/>
mir u&#x0364;ber deut&#x017F;che Dichter, denen er anhaltenden Fleiß<lb/>
widmete, &#x017F;o wie er mir auch von portugie&#x017F;i&#x017F;cher Litte¬<lb/>
ratur vieles erza&#x0364;hlte, und be&#x017F;onders den Dichter Dinis<lb/>
anru&#x0364;hmte, von dem er Ver&#x017F;e mit Begei&#x017F;terung her¬<lb/>
&#x017F;agte. Auch u&#x0364;ber Homer und Homeri&#x017F;che Mythologie<lb/>
nahm er un&#x017F;re deut&#x017F;chen Ein&#x017F;ichten, &#x017F;o weit ich &#x017F;ie mit¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0059] nichts gleichguͤltiger, als die politiſchen Angelegenheiten, ein Gedicht war mir wichtiger, als der ganze Staat, ein Ereigniß im Kreiſe unſrer Herzens- und Geiſtes¬ beſchaͤftigung bedeutender, als alle Schlachten und Friedensſchluͤſſe: aber gleichwohl war mir das nahe Vorbeigehen einer ſo beziehungsreichen Staatsſache zu merkwuͤrdig, als daß ich nicht vielfach daruͤber nachge¬ dacht und ein fruͤhes Vorbild fuͤr viele ſpaͤtere Erfah¬ rungen darin aufgefaßt haͤtte. — Ein Staatsmann beſſerer Art und hoͤherer Ordnung wurde mir in dem portugieſiſchen Geſchaͤftstraͤger Pin¬ heiro-Ferreira vertraulich bekannt. Aeußerſt klein und ſchmaͤchtig von Geſtalt, faſt nur ein Knaͤbchen von Anſehn, ſo daß man von ihm ſagte, er ſei ein Kuͤchlein uͤber der Sparlampe ausgebruͤtet, wußte er doch durch gemeſſenes und feines Betragen, und durch einen ſchoͤnen Ernſt, wie er Suͤdlaͤndern oͤfters eigen iſt, einen wirk¬ ſamen Eindruck von Wuͤrde zu geben, und um ſich her Achtung zu gebieten. Ich weiß nicht, wodurch eigent¬ lich ſeine Zuneigung mir gewonnen wurde, allein er ſchenkte ſie mir in hohem Grade, und ſprach viel mit mir uͤber deutſche Dichter, denen er anhaltenden Fleiß widmete, ſo wie er mir auch von portugieſiſcher Litte¬ ratur vieles erzaͤhlte, und beſonders den Dichter Dinis anruͤhmte, von dem er Verſe mit Begeiſterung her¬ ſagte. Auch uͤber Homer und Homeriſche Mythologie nahm er unſre deutſchen Einſichten, ſo weit ich ſie mit¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/59
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/59>, abgerufen am 27.11.2024.