wenn ich dergleichen Widerspruch nicht mitmachen konnte, fanden auch unsre Lehrstunden nach und nach ihre Stockung. Mir aber war der Blick in ein weites Feld menschlicher Thätigkeiten und Beziehungen eröffnet worden, in die lockendsten Fluren der Begeisterung und der Schwärmerei, deren Eintritt mir nur als gleich¬ zeitige Enttäuschung gewährt wurde, wie sie wohl selten einem jungen Manne an solcher Schwelle vorausgege¬ ben wird.
Von einer andern Seite her sollte nicht minder ein Streifen der Welthändel aus ihren dunklen Wirrgängen mich einen Augenblick hell anschimmern. Ein englischer Jude Lewis Goldsmith, damals gerühmt als Verfasser freimüthiger politischen Schriften, dann als Herausgeber des zu Paris in englischer Sprache erscheinenden Tage¬ blattes Argus bekannt, und später als Urheber der lügenhaften Schmähschrift über den Hof von Saint- Cloud berüchtigt, kam während des Sommers 1803 nach Berlin, und sprach als alter Bekannter in unserm Hause ein. Er schien mit Geld überflüssig versehen und in großem Behagen zu leben, von den politischen Verhältnissen und Personen wußte er viel Merkwür¬ diges mitzutheilen, und für den Ersten Konsul Bona¬ parte nahm er heftig Parthie, doch sichtlich weniger aus Ueberzeugung als aus Prahlerei und Vortheil, denn er verhehlte nicht, daß er sein Glück auf jenen Mann gestellt habe, und noch weniger, daß sein Glück
wenn ich dergleichen Widerſpruch nicht mitmachen konnte, fanden auch unſre Lehrſtunden nach und nach ihre Stockung. Mir aber war der Blick in ein weites Feld menſchlicher Thaͤtigkeiten und Beziehungen eroͤffnet worden, in die lockendſten Fluren der Begeiſterung und der Schwaͤrmerei, deren Eintritt mir nur als gleich¬ zeitige Enttaͤuſchung gewaͤhrt wurde, wie ſie wohl ſelten einem jungen Manne an ſolcher Schwelle vorausgege¬ ben wird.
Von einer andern Seite her ſollte nicht minder ein Streifen der Welthaͤndel aus ihren dunklen Wirrgaͤngen mich einen Augenblick hell anſchimmern. Ein engliſcher Jude Lewis Goldſmith, damals geruͤhmt als Verfaſſer freimuͤthiger politiſchen Schriften, dann als Herausgeber des zu Paris in engliſcher Sprache erſcheinenden Tage¬ blattes Argus bekannt, und ſpaͤter als Urheber der luͤgenhaften Schmaͤhſchrift uͤber den Hof von Saint- Cloud beruͤchtigt, kam waͤhrend des Sommers 1803 nach Berlin, und ſprach als alter Bekannter in unſerm Hauſe ein. Er ſchien mit Geld uͤberfluͤſſig verſehen und in großem Behagen zu leben, von den politiſchen Verhaͤltniſſen und Perſonen wußte er viel Merkwuͤr¬ diges mitzutheilen, und fuͤr den Erſten Konſul Bona¬ parte nahm er heftig Parthie, doch ſichtlich weniger aus Ueberzeugung als aus Prahlerei und Vortheil, denn er verhehlte nicht, daß er ſein Gluͤck auf jenen Mann geſtellt habe, und noch weniger, daß ſein Gluͤck
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wenn ich dergleichen Widerſpruch nicht mitmachen konnte,
fanden auch unſre Lehrſtunden nach und nach ihre
Stockung. Mir aber war der Blick in ein weites Feld
menſchlicher Thaͤtigkeiten und Beziehungen eroͤffnet
worden, in die lockendſten Fluren der Begeiſterung und
der Schwaͤrmerei, deren Eintritt mir nur als gleich¬
zeitige Enttaͤuſchung gewaͤhrt wurde, wie ſie wohl ſelten
einem jungen Manne an ſolcher Schwelle vorausgege¬
ben wird.
Von einer andern Seite her ſollte nicht minder ein
Streifen der Welthaͤndel aus ihren dunklen Wirrgaͤngen
mich einen Augenblick hell anſchimmern. Ein engliſcher
Jude Lewis Goldſmith, damals geruͤhmt als Verfaſſer
freimuͤthiger politiſchen Schriften, dann als Herausgeber
des zu Paris in engliſcher Sprache erſcheinenden Tage¬
blattes Argus bekannt, und ſpaͤter als Urheber der
luͤgenhaften Schmaͤhſchrift uͤber den Hof von Saint-
Cloud beruͤchtigt, kam waͤhrend des Sommers 1803
nach Berlin, und ſprach als alter Bekannter in unſerm
Hauſe ein. Er ſchien mit Geld uͤberfluͤſſig verſehen
und in großem Behagen zu leben, von den politiſchen
Verhaͤltniſſen und Perſonen wußte er viel Merkwuͤr¬
diges mitzutheilen, und fuͤr den Erſten Konſul Bona¬
parte nahm er heftig Parthie, doch ſichtlich weniger
aus Ueberzeugung als aus Prahlerei und Vortheil,
denn er verhehlte nicht, daß er ſein Gluͤck auf jenen
Mann geſtellt habe, und noch weniger, daß ſein Gluͤck
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/57>, abgerufen am 23.11.2024.
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