stürzung und Scham zurückzudenken vermag, in einen litterarischen Nachklang, ist ohne Zweifel ein nothwen¬ diges und heilsames Mittelglied in den Uebergängen, zu welchen die jetzige Welt genöthigt ist. Wenn aber, nach Gesetzen einer auch im Geistigen waltenden Natur¬ entwicklung, diese romantische Terreur als eine Bürg¬ schaft dastehen dürfte, daß die politische erschöpft und ihre Wiederkehr ferner unmöglich ist, so hätte man der Phantasie wohl nur zu danken, und mit Befriedigung anzuerkennen, daß sie den dämonischen Fluthen einen Raum eröffnet, in welchem sie unschädlicher hinströmen, und ihre Macht schon verloren haben. Wer würde rei¬ cher und fruchtbarer seine Betrachtungen hier angeknüpft haben, als eben Goethe, wäre sein Blick in dieser Richtung nur einen Moment festgehalten worden!
Aber auch für die innern Bestandtheile selbst, welche jene Litteratur bilden, scheint uns eine schärfere Unter¬ scheidung nöthig, als der allgemeine Spruch Goethe's zulassen will. An Gehalt wie an Darstellung sind die Schriften, welche hier zusammengefaßt werden, höchst ungleich, und keineswegs in eine und dieselbe Verdamm¬ niß zu werfen. Allerdings herrscht in den meisten eine verzweiflungsvolle Stimmung, eine trostlose Weltansicht, und den vernichtenden Eindruck, den die Ausschließung der Himmelsmächte aus den Schilderungen des jam¬ mervollen Irdischen im Gemüth hervorbringt, vermag keine Verschwendung von Geist und Talent aufzuheben.
ſtuͤrzung und Scham zuruͤckzudenken vermag, in einen litterariſchen Nachklang, iſt ohne Zweifel ein nothwen¬ diges und heilſames Mittelglied in den Uebergaͤngen, zu welchen die jetzige Welt genoͤthigt iſt. Wenn aber, nach Geſetzen einer auch im Geiſtigen waltenden Natur¬ entwicklung, dieſe romantiſche Terreur als eine Buͤrg¬ ſchaft daſtehen duͤrfte, daß die politiſche erſchoͤpft und ihre Wiederkehr ferner unmoͤglich iſt, ſo haͤtte man der Phantaſie wohl nur zu danken, und mit Befriedigung anzuerkennen, daß ſie den daͤmoniſchen Fluthen einen Raum eroͤffnet, in welchem ſie unſchaͤdlicher hinſtroͤmen, und ihre Macht ſchon verloren haben. Wer wuͤrde rei¬ cher und fruchtbarer ſeine Betrachtungen hier angeknuͤpft haben, als eben Goethe, waͤre ſein Blick in dieſer Richtung nur einen Moment feſtgehalten worden!
Aber auch fuͤr die innern Beſtandtheile ſelbſt, welche jene Litteratur bilden, ſcheint uns eine ſchaͤrfere Unter¬ ſcheidung noͤthig, als der allgemeine Spruch Goethe's zulaſſen will. An Gehalt wie an Darſtellung ſind die Schriften, welche hier zuſammengefaßt werden, hoͤchſt ungleich, und keineswegs in eine und dieſelbe Verdamm¬ niß zu werfen. Allerdings herrſcht in den meiſten eine verzweiflungsvolle Stimmung, eine troſtloſe Weltanſicht, und den vernichtenden Eindruck, den die Ausſchließung der Himmelsmaͤchte aus den Schilderungen des jam¬ mervollen Irdiſchen im Gemuͤth hervorbringt, vermag keine Verſchwendung von Geiſt und Talent aufzuheben.
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ſtuͤrzung und Scham zuruͤckzudenken vermag, in einen
litterariſchen Nachklang, iſt ohne Zweifel ein nothwen¬
diges und heilſames Mittelglied in den Uebergaͤngen, zu
welchen die jetzige Welt genoͤthigt iſt. Wenn aber,
nach Geſetzen einer auch im Geiſtigen waltenden Natur¬
entwicklung, dieſe romantiſche Terreur als eine Buͤrg¬
ſchaft daſtehen duͤrfte, daß die politiſche erſchoͤpft und
ihre Wiederkehr ferner unmoͤglich iſt, ſo haͤtte man der
Phantaſie wohl nur zu danken, und mit Befriedigung
anzuerkennen, daß ſie den daͤmoniſchen Fluthen einen
Raum eroͤffnet, in welchem ſie unſchaͤdlicher hinſtroͤmen,
und ihre Macht ſchon verloren haben. Wer wuͤrde rei¬
cher und fruchtbarer ſeine Betrachtungen hier angeknuͤpft
haben, als eben Goethe, waͤre ſein Blick in dieſer
Richtung nur einen Moment feſtgehalten worden!
Aber auch fuͤr die innern Beſtandtheile ſelbſt, welche
jene Litteratur bilden, ſcheint uns eine ſchaͤrfere Unter¬
ſcheidung noͤthig, als der allgemeine Spruch Goethe's
zulaſſen will. An Gehalt wie an Darſtellung ſind die
Schriften, welche hier zuſammengefaßt werden, hoͤchſt
ungleich, und keineswegs in eine und dieſelbe Verdamm¬
niß zu werfen. Allerdings herrſcht in den meiſten eine
verzweiflungsvolle Stimmung, eine troſtloſe Weltanſicht,
und den vernichtenden Eindruck, den die Ausſchließung
der Himmelsmaͤchte aus den Schilderungen des jam¬
mervollen Irdiſchen im Gemuͤth hervorbringt, vermag
keine Verſchwendung von Geiſt und Talent aufzuheben.
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/460>, abgerufen am 22.11.2024.
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