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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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Gedichts, die Einheit und Festigkeit seines Ganges,
die Tiefe der Absicht des Dichters und die künstlerische
Meisterschaft der späteren wie der früheren Ausführung,
treten in ein ganz neues Licht. Er behauptet, mit
vollem Rechte, das ganze Werk sei das Erzeugniß der¬
selben schöpferischen Kraft, desselben Dichtergeistes, und
in diesem Betreff gleichartiger und zusammenstimmender,
als man bisher noch habe gelten lassen. Man wußte
ja, daß Goethe zu hohen Jahren gekommen; man fand
sich mit dem früheren Fragment eingelebt; die spätere
Ergänzung befremdet und beunruhigt; es war die be¬
quemste und scheinbar gültigste Ablehnung, daß man
sagte, man spüre Kälte und Trockenheit des Alters,
der zweite Theil habe nicht das Leben des ersten, ja
kaum einen rechten Zusammenhang mit ihm, man halte
sich an das Werk der Jugend. Selbst Rosenkranz läßt
dieser, man kann sagen faulen und heuchlerischen Mei¬
nung, indem er solche zwar bestreitet, noch zu viel Ge¬
wicht; sie wird mit den Jahren immer mehr schwinden,
bei jedem wiederholten Lesen nimmt sie ab. Hier aber
wird dies Verhältniß durch gründliche Nachweisungen
glücklich ins Klare gebracht; zuvörderst durch den Inhalt
und die Beziehungen der besondern Scenen oder Grup¬
pen; dann aber auch durch die Aufmerksamkeit, welche
der Verfasser der gesammten Geistesentwicklung Goethe's
zugewendet hat, und als deren Ertrag ihm alles sogleich
zur Hand ist, was in den verschiedenen Schriften

Gedichts, die Einheit und Feſtigkeit ſeines Ganges,
die Tiefe der Abſicht des Dichters und die kuͤnſtleriſche
Meiſterſchaft der ſpaͤteren wie der fruͤheren Ausfuͤhrung,
treten in ein ganz neues Licht. Er behauptet, mit
vollem Rechte, das ganze Werk ſei das Erzeugniß der¬
ſelben ſchoͤpferiſchen Kraft, deſſelben Dichtergeiſtes, und
in dieſem Betreff gleichartiger und zuſammenſtimmender,
als man bisher noch habe gelten laſſen. Man wußte
ja, daß Goethe zu hohen Jahren gekommen; man fand
ſich mit dem fruͤheren Fragment eingelebt; die ſpaͤtere
Ergaͤnzung befremdet und beunruhigt; es war die be¬
quemſte und ſcheinbar guͤltigſte Ablehnung, daß man
ſagte, man ſpuͤre Kaͤlte und Trockenheit des Alters,
der zweite Theil habe nicht das Leben des erſten, ja
kaum einen rechten Zuſammenhang mit ihm, man halte
ſich an das Werk der Jugend. Selbſt Roſenkranz laͤßt
dieſer, man kann ſagen faulen und heuchleriſchen Mei¬
nung, indem er ſolche zwar beſtreitet, noch zu viel Ge¬
wicht; ſie wird mit den Jahren immer mehr ſchwinden,
bei jedem wiederholten Leſen nimmt ſie ab. Hier aber
wird dies Verhaͤltniß durch gruͤndliche Nachweiſungen
gluͤcklich ins Klare gebracht; zuvoͤrderſt durch den Inhalt
und die Beziehungen der beſondern Scenen oder Grup¬
pen; dann aber auch durch die Aufmerkſamkeit, welche
der Verfaſſer der geſammten Geiſtesentwicklung Goethe’s
zugewendet hat, und als deren Ertrag ihm alles ſogleich
zur Hand iſt, was in den verſchiedenen Schriften

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[425/0439] Gedichts, die Einheit und Feſtigkeit ſeines Ganges, die Tiefe der Abſicht des Dichters und die kuͤnſtleriſche Meiſterſchaft der ſpaͤteren wie der fruͤheren Ausfuͤhrung, treten in ein ganz neues Licht. Er behauptet, mit vollem Rechte, das ganze Werk ſei das Erzeugniß der¬ ſelben ſchoͤpferiſchen Kraft, deſſelben Dichtergeiſtes, und in dieſem Betreff gleichartiger und zuſammenſtimmender, als man bisher noch habe gelten laſſen. Man wußte ja, daß Goethe zu hohen Jahren gekommen; man fand ſich mit dem fruͤheren Fragment eingelebt; die ſpaͤtere Ergaͤnzung befremdet und beunruhigt; es war die be¬ quemſte und ſcheinbar guͤltigſte Ablehnung, daß man ſagte, man ſpuͤre Kaͤlte und Trockenheit des Alters, der zweite Theil habe nicht das Leben des erſten, ja kaum einen rechten Zuſammenhang mit ihm, man halte ſich an das Werk der Jugend. Selbſt Roſenkranz laͤßt dieſer, man kann ſagen faulen und heuchleriſchen Mei¬ nung, indem er ſolche zwar beſtreitet, noch zu viel Ge¬ wicht; ſie wird mit den Jahren immer mehr ſchwinden, bei jedem wiederholten Leſen nimmt ſie ab. Hier aber wird dies Verhaͤltniß durch gruͤndliche Nachweiſungen gluͤcklich ins Klare gebracht; zuvoͤrderſt durch den Inhalt und die Beziehungen der beſondern Scenen oder Grup¬ pen; dann aber auch durch die Aufmerkſamkeit, welche der Verfaſſer der geſammten Geiſtesentwicklung Goethe’s zugewendet hat, und als deren Ertrag ihm alles ſogleich zur Hand iſt, was in den verſchiedenen Schriften

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/439>, abgerufen am 22.11.2024.