zahlreichen Epigramme, Xenien genannt, das gemeinsame Erzeugniß Goethe's und Schiller's, brechen wie ein plötzliches Strafgericht in das verwilderte und verschwächte Treiben, welches sich in dem Gebiete der Geistesbildung üppig eingenistet hatte. Ein allgemeiner Schrei des Schmerzes, der Angst, des Ingrimms und der Gegen¬ wehr erschallte bei diesen Streichen, man rief Himmel und Erde zu Zeugen an, daß dergleichen Gewalt ganz unerhört sei, man hoffte die Friedensstörer ihren Frevel büßen und die gefeierten Dichter als beschämte Buben heimkehren zu sehen. Was die Schwäche und Gemein¬ heit sich angemaßt hatte, sollte als richtiger Besitz, ein dünkelhaftes Behagen als unverletzlicher Zustand gelten, und von der Gesammtheit geschützt werden. Aber man hatte vergessen, daß in der Litteratur das Faustrecht besteht, und kein Besitz und Stand gilt, als der mit den Waffen in der Hand behauptet und jeden Tag erneut wird. Der Erfolg bewährte das gute Recht der aufgetretenen Ritter, die Geschlagenen und Gestraften mußten weichen, der Raum wurde freier, und manche besudelte Stelle glücklich gereinigt. Die Helden hatten ihre eigne Sache geführt, aber nicht für sich allein, sie überließen den größten Theil der Eroberung einem bessern Geschlecht neuer Ansiedler, die jenen Führern in ge¬ wissem Sinn folgsam blieben, ohne sich gradezu pflichtig noch allzu dankbar gegen sie zu verhalten. Die Xenien aber haben vollkommen gesiegt, und ihr Feldzug wird
zahlreichen Epigramme, Xenien genannt, das gemeinſame Erzeugniß Goethe’s und Schiller’s, brechen wie ein ploͤtzliches Strafgericht in das verwilderte und verſchwaͤchte Treiben, welches ſich in dem Gebiete der Geiſtesbildung uͤppig eingeniſtet hatte. Ein allgemeiner Schrei des Schmerzes, der Angſt, des Ingrimms und der Gegen¬ wehr erſchallte bei dieſen Streichen, man rief Himmel und Erde zu Zeugen an, daß dergleichen Gewalt ganz unerhoͤrt ſei, man hoffte die Friedensſtoͤrer ihren Frevel buͤßen und die gefeierten Dichter als beſchaͤmte Buben heimkehren zu ſehen. Was die Schwaͤche und Gemein¬ heit ſich angemaßt hatte, ſollte als richtiger Beſitz, ein duͤnkelhaftes Behagen als unverletzlicher Zuſtand gelten, und von der Geſammtheit geſchuͤtzt werden. Aber man hatte vergeſſen, daß in der Litteratur das Fauſtrecht beſteht, und kein Beſitz und Stand gilt, als der mit den Waffen in der Hand behauptet und jeden Tag erneut wird. Der Erfolg bewaͤhrte das gute Recht der aufgetretenen Ritter, die Geſchlagenen und Geſtraften mußten weichen, der Raum wurde freier, und manche beſudelte Stelle gluͤcklich gereinigt. Die Helden hatten ihre eigne Sache gefuͤhrt, aber nicht fuͤr ſich allein, ſie uͤberließen den groͤßten Theil der Eroberung einem beſſern Geſchlecht neuer Anſiedler, die jenen Fuͤhrern in ge¬ wiſſem Sinn folgſam blieben, ohne ſich gradezu pflichtig noch allzu dankbar gegen ſie zu verhalten. Die Xenien aber haben vollkommen geſiegt, und ihr Feldzug wird
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zahlreichen Epigramme, Xenien genannt, das gemeinſame
Erzeugniß Goethe’s und Schiller’s, brechen wie ein
ploͤtzliches Strafgericht in das verwilderte und verſchwaͤchte
Treiben, welches ſich in dem Gebiete der Geiſtesbildung
uͤppig eingeniſtet hatte. Ein allgemeiner Schrei des
Schmerzes, der Angſt, des Ingrimms und der Gegen¬
wehr erſchallte bei dieſen Streichen, man rief Himmel
und Erde zu Zeugen an, daß dergleichen Gewalt ganz
unerhoͤrt ſei, man hoffte die Friedensſtoͤrer ihren Frevel
buͤßen und die gefeierten Dichter als beſchaͤmte Buben
heimkehren zu ſehen. Was die Schwaͤche und Gemein¬
heit ſich angemaßt hatte, ſollte als richtiger Beſitz, ein
duͤnkelhaftes Behagen als unverletzlicher Zuſtand gelten,
und von der Geſammtheit geſchuͤtzt werden. Aber man
hatte vergeſſen, daß in der Litteratur das Fauſtrecht
beſteht, und kein Beſitz und Stand gilt, als der mit
den Waffen in der Hand behauptet und jeden Tag
erneut wird. Der Erfolg bewaͤhrte das gute Recht der
aufgetretenen Ritter, die Geſchlagenen und Geſtraften
mußten weichen, der Raum wurde freier, und manche
beſudelte Stelle gluͤcklich gereinigt. Die Helden hatten
ihre eigne Sache gefuͤhrt, aber nicht fuͤr ſich allein, ſie
uͤberließen den groͤßten Theil der Eroberung einem beſſern
Geſchlecht neuer Anſiedler, die jenen Fuͤhrern in ge¬
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noch allzu dankbar gegen ſie zu verhalten. Die Xenien
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/426>, abgerufen am 22.11.2024.
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