traten. Dabei hat unser Verfasser zwar nicht den ele¬ ganten Schwung verführerischer Beredsamkeit, aber statt deren mehr Ernst und Tiefe der Betrachtung selbst. Die kritischen Andeutungen Adam Müllers über manche Stücke Shakspeare's, und die Standpunkte, welche er sich für Goethe'sche Werke zu wählen pflegt, dürfen hier der Erinnerung im Ganzen nicht abzulehnen sein.
Zuvörderst will der Verfasser den Karakter der Deutschen in ihrer geistigen Entwickelung, sodann die Stellung Goethe's in dieser nach seinen vorzüglichsten Erzeugnissen, endlich ihn als Dichter des Faust be¬ trachten. Die Art, wie er zu ersterem Behufe mit Hermann, Theodorich, Karl dem Großen, sodann mit Luther gebart, kann unmöglich befriedigen, ja kaum läßlich hinhalten; auch die Versuche, aus der Lage und den Bedingungen des Allgemeinen die Nothwendigkeiten der Gestalt Goethe's begriffsmäßig zu konstruiren, ent¬ behren des festen Grundes, auf welchem sicher aufzu¬ treten ist, man eilt darüber hin, wie über ein noch zu dünnes Eis, dem man nicht trauen kann. Mit den Annahmen über Roman und Drama kömmt es nicht auf's Reine, diese Formen der Poesie wollen sich so nicht einfangen lassen, hier wird Walter Scott ohne Fug und Recht mit eingepackt, dort bleibt Cervantes vergessen liegen, und da fällt der ganze Byron aus dem Netze heraus! Jemehr der Verfasser seine gegen¬ sätzigen Schemata verläßt, und auf das Einzelne kommt,
traten. Dabei hat unſer Verfaſſer zwar nicht den ele¬ ganten Schwung verfuͤhreriſcher Beredſamkeit, aber ſtatt deren mehr Ernſt und Tiefe der Betrachtung ſelbſt. Die kritiſchen Andeutungen Adam Muͤllers uͤber manche Stuͤcke Shakſpeare’s, und die Standpunkte, welche er ſich fuͤr Goethe’ſche Werke zu waͤhlen pflegt, duͤrfen hier der Erinnerung im Ganzen nicht abzulehnen ſein.
Zuvoͤrderſt will der Verfaſſer den Karakter der Deutſchen in ihrer geiſtigen Entwickelung, ſodann die Stellung Goethe’s in dieſer nach ſeinen vorzuͤglichſten Erzeugniſſen, endlich ihn als Dichter des Fauſt be¬ trachten. Die Art, wie er zu erſterem Behufe mit Hermann, Theodorich, Karl dem Großen, ſodann mit Luther gebart, kann unmoͤglich befriedigen, ja kaum laͤßlich hinhalten; auch die Verſuche, aus der Lage und den Bedingungen des Allgemeinen die Nothwendigkeiten der Geſtalt Goethe’s begriffsmaͤßig zu konſtruiren, ent¬ behren des feſten Grundes, auf welchem ſicher aufzu¬ treten iſt, man eilt daruͤber hin, wie uͤber ein noch zu duͤnnes Eis, dem man nicht trauen kann. Mit den Annahmen uͤber Roman und Drama koͤmmt es nicht auf’s Reine, dieſe Formen der Poeſie wollen ſich ſo nicht einfangen laſſen, hier wird Walter Scott ohne Fug und Recht mit eingepackt, dort bleibt Cervantes vergeſſen liegen, und da faͤllt der ganze Byron aus dem Netze heraus! Jemehr der Verfaſſer ſeine gegen¬ ſaͤtzigen Schemata verlaͤßt, und auf das Einzelne kommt,
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traten. Dabei hat unſer Verfaſſer zwar nicht den ele¬
ganten Schwung verfuͤhreriſcher Beredſamkeit, aber ſtatt
deren mehr Ernſt und Tiefe der Betrachtung ſelbſt.
Die kritiſchen Andeutungen Adam Muͤllers uͤber manche
Stuͤcke Shakſpeare’s, und die Standpunkte, welche
er ſich fuͤr Goethe’ſche Werke zu waͤhlen pflegt, duͤrfen
hier der Erinnerung im Ganzen nicht abzulehnen ſein.
Zuvoͤrderſt will der Verfaſſer den Karakter der
Deutſchen in ihrer geiſtigen Entwickelung, ſodann die
Stellung Goethe’s in dieſer nach ſeinen vorzuͤglichſten
Erzeugniſſen, endlich ihn als Dichter des Fauſt be¬
trachten. Die Art, wie er zu erſterem Behufe mit
Hermann, Theodorich, Karl dem Großen, ſodann mit
Luther gebart, kann unmoͤglich befriedigen, ja kaum
laͤßlich hinhalten; auch die Verſuche, aus der Lage und
den Bedingungen des Allgemeinen die Nothwendigkeiten
der Geſtalt Goethe’s begriffsmaͤßig zu konſtruiren, ent¬
behren des feſten Grundes, auf welchem ſicher aufzu¬
treten iſt, man eilt daruͤber hin, wie uͤber ein noch zu
duͤnnes Eis, dem man nicht trauen kann. Mit den
Annahmen uͤber Roman und Drama koͤmmt es nicht
auf’s Reine, dieſe Formen der Poeſie wollen ſich ſo
nicht einfangen laſſen, hier wird Walter Scott ohne
Fug und Recht mit eingepackt, dort bleibt Cervantes
vergeſſen liegen, und da faͤllt der ganze Byron aus
dem Netze heraus! Jemehr der Verfaſſer ſeine gegen¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/402>, abgerufen am 22.11.2024.
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