Verhältnisse bald Anerkennung, Beförderung, litterari¬ sches Ansehn und geistige Befreundung in reichem Maaße. Dennoch mußte er am Abend eines so ausgezeichneten und glücklichen Lebens eine Kränkung erfahren, die er nicht stark genug war zu verwinden. Der Großkanzler von Carmer machte eine Besichtigungs-Reise durch die Provinzen, um den Zustand der Justizbehörden näher einzusehen. Er kam auch nach Halberstadt, und wohnte einer Sitzung der dortigen Regierung bei. Lichtwer hatte den Vortrag einer sehr verwickelten Sache und wurde dabei ungewöhnlich weitschweifig. Der Großkanzler legte deutlich Ungeduld an den Tag; Lichtwer wollte dieses nicht bemerken, sondern fuhr fort im nicht lichtvollen, breiten Vortrage, welcher ohnehin keine Annehmlichkeit hatte und durch manche Gewohnheiten, so wie durch den sächsischen Dialekt, dem nicht daran Gewöhnten auffallen mußte. Als er endlich zum Schlusse gekom¬ men, hielt der Großkanzler seinen Unwillen nicht zurück; er machte Lichtwer'n Vorwürfe über die Weitschweifig¬ keit und sagte ihm, daß er sich bei'm Vortrage doch der einfach klaren Kürze, welche alle Welt in seinen Fabeln bewundere, befleißigen möchte. Der Dichter hätte sich geschmeichelt fühlen können, aber der Geschäftsmann, der bisher eines nicht geringeren Ruhmes genossen, war tödtlich verletzt; er zog es sich zu Herzen und starb kurze Zeit nachher, im Juli 1783. "Das Denkmal der Unsterblichkeit," so schließt sein Biograph, "errich¬
Verhaͤltniſſe bald Anerkennung, Befoͤrderung, litterari¬ ſches Anſehn und geiſtige Befreundung in reichem Maaße. Dennoch mußte er am Abend eines ſo ausgezeichneten und gluͤcklichen Lebens eine Kraͤnkung erfahren, die er nicht ſtark genug war zu verwinden. Der Großkanzler von Carmer machte eine Beſichtigungs-Reiſe durch die Provinzen, um den Zuſtand der Juſtizbehoͤrden naͤher einzuſehen. Er kam auch nach Halberſtadt, und wohnte einer Sitzung der dortigen Regierung bei. Lichtwer hatte den Vortrag einer ſehr verwickelten Sache und wurde dabei ungewoͤhnlich weitſchweifig. Der Großkanzler legte deutlich Ungeduld an den Tag; Lichtwer wollte dieſes nicht bemerken, ſondern fuhr fort im nicht lichtvollen, breiten Vortrage, welcher ohnehin keine Annehmlichkeit hatte und durch manche Gewohnheiten, ſo wie durch den ſaͤchſiſchen Dialekt, dem nicht daran Gewoͤhnten auffallen mußte. Als er endlich zum Schluſſe gekom¬ men, hielt der Großkanzler ſeinen Unwillen nicht zuruͤck; er machte Lichtwer'n Vorwuͤrfe uͤber die Weitſchweifig¬ keit und ſagte ihm, daß er ſich bei'm Vortrage doch der einfach klaren Kuͤrze, welche alle Welt in ſeinen Fabeln bewundere, befleißigen moͤchte. Der Dichter haͤtte ſich geſchmeichelt fuͤhlen koͤnnen, aber der Geſchaͤftsmann, der bisher eines nicht geringeren Ruhmes genoſſen, war toͤdtlich verletzt; er zog es ſich zu Herzen und ſtarb kurze Zeit nachher, im Juli 1783. „Das Denkmal der Unſterblichkeit,“ ſo ſchließt ſein Biograph, „errich¬
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Verhaͤltniſſe bald Anerkennung, Befoͤrderung, litterari¬
ſches Anſehn und geiſtige Befreundung in reichem Maaße.
Dennoch mußte er am Abend eines ſo ausgezeichneten
und gluͤcklichen Lebens eine Kraͤnkung erfahren, die er
nicht ſtark genug war zu verwinden. Der Großkanzler
von Carmer machte eine Beſichtigungs-Reiſe durch die
Provinzen, um den Zuſtand der Juſtizbehoͤrden naͤher
einzuſehen. Er kam auch nach Halberſtadt, und wohnte
einer Sitzung der dortigen Regierung bei. Lichtwer hatte
den Vortrag einer ſehr verwickelten Sache und wurde
dabei ungewoͤhnlich weitſchweifig. Der Großkanzler legte
deutlich Ungeduld an den Tag; Lichtwer wollte dieſes
nicht bemerken, ſondern fuhr fort im nicht lichtvollen,
breiten Vortrage, welcher ohnehin keine Annehmlichkeit
hatte und durch manche Gewohnheiten, ſo wie durch
den ſaͤchſiſchen Dialekt, dem nicht daran Gewoͤhnten
auffallen mußte. Als er endlich zum Schluſſe gekom¬
men, hielt der Großkanzler ſeinen Unwillen nicht zuruͤck;
er machte Lichtwer'n Vorwuͤrfe uͤber die Weitſchweifig¬
keit und ſagte ihm, daß er ſich bei'm Vortrage doch der
einfach klaren Kuͤrze, welche alle Welt in ſeinen Fabeln
bewundere, befleißigen moͤchte. Der Dichter haͤtte ſich
geſchmeichelt fuͤhlen koͤnnen, aber der Geſchaͤftsmann,
der bisher eines nicht geringeren Ruhmes genoſſen, war
toͤdtlich verletzt; er zog es ſich zu Herzen und ſtarb
kurze Zeit nachher, im Juli 1783. „Das Denkmal
der Unſterblichkeit,“ ſo ſchließt ſein Biograph, „errich¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/386>, abgerufen am 24.11.2024.
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