schreibung, darf nicht minderen erwarten. Wir schließen diese Anzeige mit ein paar karakteristischen Worten, welche uns über Frau von Guyon von guter Frauenhand zuge¬ kommen sind. "Madame Guyon" -- heißt es in einem uns vorliegenden Fragment -- "konnte nicht ohne Bild leben, im gleichen Fall mit allen Menschen, -- und wollte doch mit der Welt nichts zu thun haben; hatte ein erregbares Gemüth und philosophischen Geist. Sie dachte mit großer Kraft in's Leere hinein, und bildete, weil ihr Herz Nahrung bedurfte, die ganz bestimmte, erzählte Geschichte von Christus noch einmal nach. Sie führte gleichsam sein Leben in sich auf: lebte es noch Einmal, wurde zum Christuskinde; weil sie sich nicht erlaubte, ein anderes Leben zu führen." Noch ist zu bemerken, daß die Uebersetzerin auch einige der zahl¬ reichen Gedichte der Frau von Guyon in deutschen Versen wiedergegeben hat. Jedoch finden wir die Auswahl nicht vortheilhaft; die kleinen lyrischen Stücke wären vorzu¬ ziehen gewesen, es giebt darunter Sachen von großer Originalität und Kraft, wie z. B. diese Zeilen:
Venez, amour divin, et faites sur mon ame L'essai de vos rigueurs et l'essai de ma flame; Brisez, braulez, Broyez, et l'ecrasez, N'epargnez pas les coups, Sondez, sondez, si mon coeur est a vous!
ſchreibung, darf nicht minderen erwarten. Wir ſchließen dieſe Anzeige mit ein paar karakteriſtiſchen Worten, welche uns uͤber Frau von Guyon von guter Frauenhand zuge¬ kommen ſind. „Madame Guyon‟ — heißt es in einem uns vorliegenden Fragment — „konnte nicht ohne Bild leben, im gleichen Fall mit allen Menſchen, — und wollte doch mit der Welt nichts zu thun haben; hatte ein erregbares Gemuͤth und philoſophiſchen Geiſt. Sie dachte mit großer Kraft in's Leere hinein, und bildete, weil ihr Herz Nahrung bedurfte, die ganz beſtimmte, erzaͤhlte Geſchichte von Chriſtus noch einmal nach. Sie fuͤhrte gleichſam ſein Leben in ſich auf: lebte es noch Einmal, wurde zum Chriſtuskinde; weil ſie ſich nicht erlaubte, ein anderes Leben zu fuͤhren.‟ Noch iſt zu bemerken, daß die Ueberſetzerin auch einige der zahl¬ reichen Gedichte der Frau von Guyon in deutſchen Verſen wiedergegeben hat. Jedoch finden wir die Auswahl nicht vortheilhaft; die kleinen lyriſchen Stuͤcke waͤren vorzu¬ ziehen geweſen, es giebt darunter Sachen von großer Originalitaͤt und Kraft, wie z. B. dieſe Zeilen:
Venez, amour divin, et faites sur mon âme L'essai de vos rigueurs et l'essai de ma flâme; Brisez, brûlez, Broyez, et l'écrasez, N'épargnez pas les coups, Sondez, sondez, si mon coeur est à vous!
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ſchreibung, darf nicht minderen erwarten. Wir ſchließen
dieſe Anzeige mit ein paar karakteriſtiſchen Worten, welche
uns uͤber Frau von Guyon von guter Frauenhand zuge¬
kommen ſind. „Madame Guyon‟ — heißt es in einem
uns vorliegenden Fragment — „konnte nicht ohne Bild
leben, im gleichen Fall mit allen Menſchen, — und
wollte doch mit der Welt nichts zu thun haben; hatte
ein erregbares Gemuͤth und philoſophiſchen Geiſt. Sie
dachte mit großer Kraft in's Leere hinein, und bildete,
weil ihr Herz Nahrung bedurfte, die ganz beſtimmte,
erzaͤhlte Geſchichte von Chriſtus noch einmal nach. Sie
fuͤhrte gleichſam ſein Leben in ſich auf: lebte es noch
Einmal, wurde zum Chriſtuskinde; weil ſie ſich nicht
erlaubte, ein anderes Leben zu fuͤhren.‟ Noch iſt zu
bemerken, daß die Ueberſetzerin auch einige der zahl¬
reichen Gedichte der Frau von Guyon in deutſchen Verſen
wiedergegeben hat. Jedoch finden wir die Auswahl nicht
vortheilhaft; die kleinen lyriſchen Stuͤcke waͤren vorzu¬
ziehen geweſen, es giebt darunter Sachen von großer
Originalitaͤt und Kraft, wie z. B. dieſe Zeilen:
Venez, amour divin, et faites sur mon âme
L'essai de vos rigueurs et l'essai de ma flâme;
Brisez, brûlez,
Broyez, et l'écrasez,
N'épargnez pas les coups,
Sondez, sondez, si mon coeur est à vous!
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/382>, abgerufen am 24.11.2024.
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