Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

erwählt, um seine erste Kraft daran zu versuchen. Dieser
Gegenstand fordert nicht weniger, als die muthige Er¬
örterung des auch in der Aesthetik waltenden Urstreites
zwischen Licht und Finsterniß, die entschiedene Sonderung
des Guten und Schlechten, der Wahrheit und der Lüge;
alle Täuschung, Heuchelei, Verlarvung und Entartung
des ästhetischen Sinnes mußte zur Sprache kommen.
Der Verfasser hat seine Aufgabe trefflich gelöst. Das
frevle Beginnen, welches von dem Trosse der Litteratur
mit Jubelgeschrei empfangen wurde, auch hin und wieder
einige bessere, doch schwachmüthige Seelen verwirrte,
hat bei den Einsichtigen durch seine Geringfügigkeit nur
Mitleid, durch seinen schlechten Zweck nur Entrüstung,
durch seine sittlich-ästhetische Verkehrtheit nur Ekel er¬
wecken können. Nicht einmal die geringe Erfindung der
ganzen Unterlage seines Buches gehört dem Verfasser
der "falschen Wanderjahre" eigen an. Der Einfall,
Wilhelm Meistern mit dem Markese auf Wanderschaft
zu schicken und über Goethe'n schwatzen zu lassen, kommt
schon in dem Buche: "Die Versuche und Hindernisse
Karls, Berlin 1808", doch nur in Kürze, ohne bös¬
liche Absicht, als vorübergehender Scherz vor, der aber
schon damals harten Tadel erfuhr, und hier keineswegs
vertheidigt werden soll. Aus diesen Paar Seiten ist nun
eine ganze Reihe von Büchern hervor gesponnen! --
In solchem Falle war es schwer, inmitten der gerech¬
ten Empörung nicht leidenschaftlich zu werden, und da

erwaͤhlt, um ſeine erſte Kraft daran zu verſuchen. Dieſer
Gegenſtand fordert nicht weniger, als die muthige Er¬
oͤrterung des auch in der Aeſthetik waltenden Urſtreites
zwiſchen Licht und Finſterniß, die entſchiedene Sonderung
des Guten und Schlechten, der Wahrheit und der Luͤge;
alle Taͤuſchung, Heuchelei, Verlarvung und Entartung
des aͤſthetiſchen Sinnes mußte zur Sprache kommen.
Der Verfaſſer hat ſeine Aufgabe trefflich geloͤſt. Das
frevle Beginnen, welches von dem Troſſe der Litteratur
mit Jubelgeſchrei empfangen wurde, auch hin und wieder
einige beſſere, doch ſchwachmuͤthige Seelen verwirrte,
hat bei den Einſichtigen durch ſeine Geringfuͤgigkeit nur
Mitleid, durch ſeinen ſchlechten Zweck nur Entruͤſtung,
durch ſeine ſittlich-aͤſthetiſche Verkehrtheit nur Ekel er¬
wecken koͤnnen. Nicht einmal die geringe Erfindung der
ganzen Unterlage ſeines Buches gehoͤrt dem Verfaſſer
der „falſchen Wanderjahre“ eigen an. Der Einfall,
Wilhelm Meiſtern mit dem Markeſe auf Wanderſchaft
zu ſchicken und uͤber Goethe’n ſchwatzen zu laſſen, kommt
ſchon in dem Buche: „Die Verſuche und Hinderniſſe
Karls, Berlin 1808“, doch nur in Kuͤrze, ohne boͤs¬
liche Abſicht, als voruͤbergehender Scherz vor, der aber
ſchon damals harten Tadel erfuhr, und hier keineswegs
vertheidigt werden ſoll. Aus dieſen Paar Seiten iſt nun
eine ganze Reihe von Buͤchern hervor geſponnen! —
In ſolchem Falle war es ſchwer, inmitten der gerech¬
ten Empoͤrung nicht leidenſchaftlich zu werden, und da

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0360" n="346"/>
erwa&#x0364;hlt, um &#x017F;eine er&#x017F;te Kraft daran zu ver&#x017F;uchen. Die&#x017F;er<lb/>
Gegen&#x017F;tand fordert nicht weniger, als die muthige Er¬<lb/>
o&#x0364;rterung des auch in der Ae&#x017F;thetik waltenden Ur&#x017F;treites<lb/>
zwi&#x017F;chen Licht und Fin&#x017F;terniß, die ent&#x017F;chiedene Sonderung<lb/>
des Guten und Schlechten, der Wahrheit und der Lu&#x0364;ge;<lb/>
alle Ta&#x0364;u&#x017F;chung, Heuchelei, Verlarvung und Entartung<lb/>
des a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Sinnes mußte zur Sprache kommen.<lb/>
Der Verfa&#x017F;&#x017F;er hat &#x017F;eine Aufgabe trefflich gelo&#x0364;&#x017F;t. Das<lb/>
frevle Beginnen, welches von dem Tro&#x017F;&#x017F;e der Litteratur<lb/>
mit Jubelge&#x017F;chrei empfangen wurde, auch hin und wieder<lb/>
einige be&#x017F;&#x017F;ere, doch &#x017F;chwachmu&#x0364;thige Seelen verwirrte,<lb/>
hat bei den Ein&#x017F;ichtigen durch &#x017F;eine Geringfu&#x0364;gigkeit nur<lb/>
Mitleid, durch &#x017F;einen &#x017F;chlechten Zweck nur Entru&#x0364;&#x017F;tung,<lb/>
durch &#x017F;eine &#x017F;ittlich-a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;che Verkehrtheit nur Ekel er¬<lb/>
wecken ko&#x0364;nnen. Nicht einmal die geringe Erfindung der<lb/>
ganzen Unterlage &#x017F;eines Buches geho&#x0364;rt dem Verfa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
der &#x201E;fal&#x017F;chen Wanderjahre&#x201C; eigen an. Der Einfall,<lb/>
Wilhelm Mei&#x017F;tern mit dem Marke&#x017F;e auf Wander&#x017F;chaft<lb/>
zu &#x017F;chicken und u&#x0364;ber Goethe&#x2019;n &#x017F;chwatzen zu la&#x017F;&#x017F;en, kommt<lb/>
&#x017F;chon in dem Buche: &#x201E;Die Ver&#x017F;uche und Hinderni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Karls, Berlin <hi rendition="#b">1808</hi>&#x201C;, doch nur in Ku&#x0364;rze, ohne bo&#x0364;<lb/>
liche Ab&#x017F;icht, als voru&#x0364;bergehender Scherz vor, der aber<lb/>
&#x017F;chon damals harten Tadel erfuhr, und hier keineswegs<lb/>
vertheidigt werden &#x017F;oll. Aus die&#x017F;en Paar Seiten i&#x017F;t nun<lb/>
eine ganze Reihe von Bu&#x0364;chern hervor ge&#x017F;ponnen! &#x2014;<lb/>
In &#x017F;olchem Falle war es &#x017F;chwer, inmitten der gerech¬<lb/>
ten Empo&#x0364;rung nicht leiden&#x017F;chaftlich zu werden, und da<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0360] erwaͤhlt, um ſeine erſte Kraft daran zu verſuchen. Dieſer Gegenſtand fordert nicht weniger, als die muthige Er¬ oͤrterung des auch in der Aeſthetik waltenden Urſtreites zwiſchen Licht und Finſterniß, die entſchiedene Sonderung des Guten und Schlechten, der Wahrheit und der Luͤge; alle Taͤuſchung, Heuchelei, Verlarvung und Entartung des aͤſthetiſchen Sinnes mußte zur Sprache kommen. Der Verfaſſer hat ſeine Aufgabe trefflich geloͤſt. Das frevle Beginnen, welches von dem Troſſe der Litteratur mit Jubelgeſchrei empfangen wurde, auch hin und wieder einige beſſere, doch ſchwachmuͤthige Seelen verwirrte, hat bei den Einſichtigen durch ſeine Geringfuͤgigkeit nur Mitleid, durch ſeinen ſchlechten Zweck nur Entruͤſtung, durch ſeine ſittlich-aͤſthetiſche Verkehrtheit nur Ekel er¬ wecken koͤnnen. Nicht einmal die geringe Erfindung der ganzen Unterlage ſeines Buches gehoͤrt dem Verfaſſer der „falſchen Wanderjahre“ eigen an. Der Einfall, Wilhelm Meiſtern mit dem Markeſe auf Wanderſchaft zu ſchicken und uͤber Goethe’n ſchwatzen zu laſſen, kommt ſchon in dem Buche: „Die Verſuche und Hinderniſſe Karls, Berlin 1808“, doch nur in Kuͤrze, ohne boͤs¬ liche Abſicht, als voruͤbergehender Scherz vor, der aber ſchon damals harten Tadel erfuhr, und hier keineswegs vertheidigt werden ſoll. Aus dieſen Paar Seiten iſt nun eine ganze Reihe von Buͤchern hervor geſponnen! — In ſolchem Falle war es ſchwer, inmitten der gerech¬ ten Empoͤrung nicht leidenſchaftlich zu werden, und da

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/360
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/360>, abgerufen am 28.11.2024.