Dies alles wurde mir natürlich erst späterhin er¬ zählt; damals erfüllte mich nur der Eindruck der schönen Räume, die gute Bewirthung und fröhliche Besuchge¬ sellschaft, die sich von mehreren Seiten zahlreich einge¬ funden hatte, so wie die einladenden Spielplätze in Hof und Garten, wo man den schönsten Nachmittag im Freien genoß. Ein schauerlicher Reiz von Ernst und Abgeschlossenheit, worauf doch manches in dem Kloster¬ wesen deutete, so wie einzelne Worte von Mitleid und Bedauern, die ich für die armen Nonnen hatte äußern gehört, machten mir doch am Abend die Rückfahrt ganz lieb.
Das Geschick der guten Tante erfuhr späterhin noch die trauervollste Wendung. Sie erblindete, und ihre Geisteskräfte wurden schwach. Sei es, daß ihrem Zu¬ stande an sich eine strenge Behandlung in den Augen der übrigen Nonnen gemäß dünkte, sei es, daß eine aus früherer Abneigung gegen das Kloster jetzt wieder¬ erwachende Unzufriedenheit sich in Aeußerungen zeigte, die man als widerspenstige bestrafen zu dürfen glaubte, genug die Unglückliche wurde von den Schwestern grau¬ sam in ein abgelegenes, dunkles, fast unterirdisches Gemach verstoßen, wo sie in trostloser Einsamkeit unter den härtesten Entbehrungen viele Jahre zubrachte. Ihr jüngerer Bruder, als Professor in Köln lebend, wollte sie mehrmals besuchen, konnte aber nie bis zu ihr drin¬ gen, wie sehr er auch darauf bestand, sie wenigstens zu
Dies alles wurde mir natuͤrlich erſt ſpaͤterhin er¬ zaͤhlt; damals erfuͤllte mich nur der Eindruck der ſchoͤnen Raͤume, die gute Bewirthung und froͤhliche Beſuchge¬ ſellſchaft, die ſich von mehreren Seiten zahlreich einge¬ funden hatte, ſo wie die einladenden Spielplaͤtze in Hof und Garten, wo man den ſchoͤnſten Nachmittag im Freien genoß. Ein ſchauerlicher Reiz von Ernſt und Abgeſchloſſenheit, worauf doch manches in dem Kloſter¬ weſen deutete, ſo wie einzelne Worte von Mitleid und Bedauern, die ich fuͤr die armen Nonnen hatte aͤußern gehoͤrt, machten mir doch am Abend die Ruͤckfahrt ganz lieb.
Das Geſchick der guten Tante erfuhr ſpaͤterhin noch die trauervollſte Wendung. Sie erblindete, und ihre Geiſteskraͤfte wurden ſchwach. Sei es, daß ihrem Zu¬ ſtande an ſich eine ſtrenge Behandlung in den Augen der uͤbrigen Nonnen gemaͤß duͤnkte, ſei es, daß eine aus fruͤherer Abneigung gegen das Kloſter jetzt wieder¬ erwachende Unzufriedenheit ſich in Aeußerungen zeigte, die man als widerſpenſtige beſtrafen zu duͤrfen glaubte, genug die Ungluͤckliche wurde von den Schweſtern grau¬ ſam in ein abgelegenes, dunkles, faſt unterirdiſches Gemach verſtoßen, wo ſie in troſtloſer Einſamkeit unter den haͤrteſten Entbehrungen viele Jahre zubrachte. Ihr juͤngerer Bruder, als Profeſſor in Koͤln lebend, wollte ſie mehrmals beſuchen, konnte aber nie bis zu ihr drin¬ gen, wie ſehr er auch darauf beſtand, ſie wenigſtens zu
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Dies alles wurde mir natuͤrlich erſt ſpaͤterhin er¬
zaͤhlt; damals erfuͤllte mich nur der Eindruck der ſchoͤnen
Raͤume, die gute Bewirthung und froͤhliche Beſuchge¬
ſellſchaft, die ſich von mehreren Seiten zahlreich einge¬
funden hatte, ſo wie die einladenden Spielplaͤtze in Hof
und Garten, wo man den ſchoͤnſten Nachmittag im
Freien genoß. Ein ſchauerlicher Reiz von Ernſt und
Abgeſchloſſenheit, worauf doch manches in dem Kloſter¬
weſen deutete, ſo wie einzelne Worte von Mitleid und
Bedauern, die ich fuͤr die armen Nonnen hatte aͤußern
gehoͤrt, machten mir doch am Abend die Ruͤckfahrt
ganz lieb.
Das Geſchick der guten Tante erfuhr ſpaͤterhin noch
die trauervollſte Wendung. Sie erblindete, und ihre
Geiſteskraͤfte wurden ſchwach. Sei es, daß ihrem Zu¬
ſtande an ſich eine ſtrenge Behandlung in den Augen
der uͤbrigen Nonnen gemaͤß duͤnkte, ſei es, daß eine
aus fruͤherer Abneigung gegen das Kloſter jetzt wieder¬
erwachende Unzufriedenheit ſich in Aeußerungen zeigte,
die man als widerſpenſtige beſtrafen zu duͤrfen glaubte,
genug die Ungluͤckliche wurde von den Schweſtern grau¬
ſam in ein abgelegenes, dunkles, faſt unterirdiſches
Gemach verſtoßen, wo ſie in troſtloſer Einſamkeit unter
den haͤrteſten Entbehrungen viele Jahre zubrachte. Ihr
juͤngerer Bruder, als Profeſſor in Koͤln lebend, wollte
ſie mehrmals beſuchen, konnte aber nie bis zu ihr drin¬
gen, wie ſehr er auch darauf beſtand, ſie wenigſtens zu
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/36>, abgerufen am 24.11.2024.
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