so haben wir in ihm unserem Vaterlande einen neuen ächten Dichter zu preisen; ist er vierzig Jahr alt, und bleibt stehen, so ist in ihm ein schönes Talent zu bekla¬ gen, das eines höheren Zieles würdig schien, ohne das¬ selbe erreicht zu haben. -- Wir können wirklich über die vorliegenden Trauerspiele kein vollständiges Urtheil aussprechen. Sie sind nicht das Vortrefflichste, was wir kennen; sie sind weit entfernt von dem Schlechte¬ sten; dabei sind sie aber auch durchaus nicht mittelmäßig. Man sieht, der Platz ist schwierig für sie zu bestimmen; vielleicht wäre unsere Verlegenheit gehoben, wenn wir uns entschlössen, ihnen verhältnißmäßigen Antheil an jedem Platze zuzugestehen. Die Unbilligkeit, die dadurch an dem Dichter dennoch ausgeübt würde, hält uns aber wieder zurück. Seine Dichtungen sind Erscheinungen, die bedeutend anregen und vielfach befriedigen, aber in der Befriedigung selbst doch zumeist nur wieder anre¬ gen; sie sind Glieder aus einer Reihe, die in noch größerer Folge überschaut sein will, um erkennen zu lassen, ob die Richtung zum Höchsten, die sich un¬ zweifelhaft offenbart, in Anfang und Ende dieselbe bleibt, und alle etwan abweichenden Seitenrichtungen entweder frühzeitig verläßt, oder zuletzt noch wieder aufnimmt. Es sind Stellen von größter Schönheit darin, eigen¬ thümliche Züge voll Tiefe und Wahrheit, wir hoffen, diese Seite werde nur immer zunehmen.
ſo haben wir in ihm unſerem Vaterlande einen neuen aͤchten Dichter zu preiſen; iſt er vierzig Jahr alt, und bleibt ſtehen, ſo iſt in ihm ein ſchoͤnes Talent zu bekla¬ gen, das eines hoͤheren Zieles wuͤrdig ſchien, ohne daſ¬ ſelbe erreicht zu haben. — Wir koͤnnen wirklich uͤber die vorliegenden Trauerſpiele kein vollſtaͤndiges Urtheil ausſprechen. Sie ſind nicht das Vortrefflichſte, was wir kennen; ſie ſind weit entfernt von dem Schlechte¬ ſten; dabei ſind ſie aber auch durchaus nicht mittelmaͤßig. Man ſieht, der Platz iſt ſchwierig fuͤr ſie zu beſtimmen; vielleicht waͤre unſere Verlegenheit gehoben, wenn wir uns entſchloͤſſen, ihnen verhaͤltnißmaͤßigen Antheil an jedem Platze zuzugeſtehen. Die Unbilligkeit, die dadurch an dem Dichter dennoch ausgeuͤbt wuͤrde, haͤlt uns aber wieder zuruͤck. Seine Dichtungen ſind Erſcheinungen, die bedeutend anregen und vielfach befriedigen, aber in der Befriedigung ſelbſt doch zumeiſt nur wieder anre¬ gen; ſie ſind Glieder aus einer Reihe, die in noch groͤßerer Folge uͤberſchaut ſein will, um erkennen zu laſſen, ob die Richtung zum Hoͤchſten, die ſich un¬ zweifelhaft offenbart, in Anfang und Ende dieſelbe bleibt, und alle etwan abweichenden Seitenrichtungen entweder fruͤhzeitig verlaͤßt, oder zuletzt noch wieder aufnimmt. Es ſind Stellen von groͤßter Schoͤnheit darin, eigen¬ thuͤmliche Zuͤge voll Tiefe und Wahrheit, wir hoffen, dieſe Seite werde nur immer zunehmen.
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ſo haben wir in ihm unſerem Vaterlande einen neuen
aͤchten Dichter zu preiſen; iſt er vierzig Jahr alt, und
bleibt ſtehen, ſo iſt in ihm ein ſchoͤnes Talent zu bekla¬
gen, das eines hoͤheren Zieles wuͤrdig ſchien, ohne daſ¬
ſelbe erreicht zu haben. — Wir koͤnnen wirklich uͤber
die vorliegenden Trauerſpiele kein vollſtaͤndiges Urtheil
ausſprechen. Sie ſind nicht das Vortrefflichſte, was
wir kennen; ſie ſind weit entfernt von dem Schlechte¬
ſten; dabei ſind ſie aber auch durchaus nicht mittelmaͤßig.
Man ſieht, der Platz iſt ſchwierig fuͤr ſie zu beſtimmen;
vielleicht waͤre unſere Verlegenheit gehoben, wenn wir
uns entſchloͤſſen, ihnen verhaͤltnißmaͤßigen Antheil an
jedem Platze zuzugeſtehen. Die Unbilligkeit, die dadurch
an dem Dichter dennoch ausgeuͤbt wuͤrde, haͤlt uns aber
wieder zuruͤck. Seine Dichtungen ſind Erſcheinungen,
die bedeutend anregen und vielfach befriedigen, aber in
der Befriedigung ſelbſt doch zumeiſt nur wieder anre¬
gen; ſie ſind Glieder aus einer Reihe, die in noch
groͤßerer Folge uͤberſchaut ſein will, um erkennen zu
laſſen, ob die Richtung zum Hoͤchſten, die ſich un¬
zweifelhaft offenbart, in Anfang und Ende dieſelbe bleibt,
und alle etwan abweichenden Seitenrichtungen entweder
fruͤhzeitig verlaͤßt, oder zuletzt noch wieder aufnimmt.
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/356>, abgerufen am 24.11.2024.
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