entgegengesetzte und feindliche poetische und unpoetische Mächte neben sich duldet und gewähren läßt. An jene Macht nun und an ihre Richtung schließt sich unläug¬ bar unser Verfasser an, und das müssen wir für sehr gut erklären, da man mit den Mächtigsten und Reich¬ sten immer auch am sichersten und wohlhabendsten ist; gerade in diesem Gebiet, und das ist ein Hauptvorzug, ist auch der künstlichen Täuschung und des bethörenden Prunkes am wenigsten möglich; hier gilt es vor allem Wahrheit und Kraft, und der innere Gehalt muß hier zuletzt denn doch für die äußere Form einstehen. Schil¬ ler, Calderon, Tieck, gewähren ihren Anhängern und Folgern in diesem Betreff nicht so vortheilhafte Selbst¬ ständigkeit, wie Shakspeare und Goethe den ihrigen; man kann bei diesen nicht so sehr Nachahmer sein, als bei jenen, die Art und Weise taugt weniger dazu. -- Nun aber fragt es sich, in welchem Grad und Range, zu welchem Beruf und mit welchen Kräften gehört der Verfasser diesem Reiche an? Man kann in einem Heere vielerlei sein zwischen dem Feldhauptmann und Gemei¬ nen! Hier finden sich für unsere Beurtheilung allerlei Schwierigkeiten. Es fragt sich nicht nur, was Einer jetzt ist, sondern hauptsächlich, was Einer nächstens werden wird, und ein Fähnrich, der den Obersten schon in sich trägt, ist ohne Zweifel mehr werth, als ein Hauptmann, der lebenslang Hauptmann zu bleiben hat. Ist unser Verfasser zwanzig Jahr alt, und schreitet fort,
entgegengeſetzte und feindliche poetiſche und unpoetiſche Maͤchte neben ſich duldet und gewaͤhren laͤßt. An jene Macht nun und an ihre Richtung ſchließt ſich unlaͤug¬ bar unſer Verfaſſer an, und das muͤſſen wir fuͤr ſehr gut erklaͤren, da man mit den Maͤchtigſten und Reich¬ ſten immer auch am ſicherſten und wohlhabendſten iſt; gerade in dieſem Gebiet, und das iſt ein Hauptvorzug, iſt auch der kuͤnſtlichen Taͤuſchung und des bethoͤrenden Prunkes am wenigſten moͤglich; hier gilt es vor allem Wahrheit und Kraft, und der innere Gehalt muß hier zuletzt denn doch fuͤr die aͤußere Form einſtehen. Schil¬ ler, Calderon, Tieck, gewaͤhren ihren Anhaͤngern und Folgern in dieſem Betreff nicht ſo vortheilhafte Selbſt¬ ſtaͤndigkeit, wie Shakſpeare und Goethe den ihrigen; man kann bei dieſen nicht ſo ſehr Nachahmer ſein, als bei jenen, die Art und Weiſe taugt weniger dazu. — Nun aber fragt es ſich, in welchem Grad und Range, zu welchem Beruf und mit welchen Kraͤften gehoͤrt der Verfaſſer dieſem Reiche an? Man kann in einem Heere vielerlei ſein zwiſchen dem Feldhauptmann und Gemei¬ nen! Hier finden ſich fuͤr unſere Beurtheilung allerlei Schwierigkeiten. Es fragt ſich nicht nur, was Einer jetzt iſt, ſondern hauptſaͤchlich, was Einer naͤchſtens werden wird, und ein Faͤhnrich, der den Oberſten ſchon in ſich traͤgt, iſt ohne Zweifel mehr werth, als ein Hauptmann, der lebenslang Hauptmann zu bleiben hat. Iſt unſer Verfaſſer zwanzig Jahr alt, und ſchreitet fort,
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entgegengeſetzte und feindliche poetiſche und unpoetiſche
Maͤchte neben ſich duldet und gewaͤhren laͤßt. An jene
Macht nun und an ihre Richtung ſchließt ſich unlaͤug¬
bar unſer Verfaſſer an, und das muͤſſen wir fuͤr ſehr
gut erklaͤren, da man mit den Maͤchtigſten und Reich¬
ſten immer auch am ſicherſten und wohlhabendſten iſt;
gerade in dieſem Gebiet, und das iſt ein Hauptvorzug,
iſt auch der kuͤnſtlichen Taͤuſchung und des bethoͤrenden
Prunkes am wenigſten moͤglich; hier gilt es vor allem
Wahrheit und Kraft, und der innere Gehalt muß hier
zuletzt denn doch fuͤr die aͤußere Form einſtehen. Schil¬
ler, Calderon, Tieck, gewaͤhren ihren Anhaͤngern und
Folgern in dieſem Betreff nicht ſo vortheilhafte Selbſt¬
ſtaͤndigkeit, wie Shakſpeare und Goethe den ihrigen;
man kann bei dieſen nicht ſo ſehr Nachahmer ſein, als
bei jenen, die Art und Weiſe taugt weniger dazu. —
Nun aber fragt es ſich, in welchem Grad und Range,
zu welchem Beruf und mit welchen Kraͤften gehoͤrt der
Verfaſſer dieſem Reiche an? Man kann in einem Heere
vielerlei ſein zwiſchen dem Feldhauptmann und Gemei¬
nen! Hier finden ſich fuͤr unſere Beurtheilung allerlei
Schwierigkeiten. Es fragt ſich nicht nur, was Einer
jetzt iſt, ſondern hauptſaͤchlich, was Einer naͤchſtens
werden wird, und ein Faͤhnrich, der den Oberſten ſchon
in ſich traͤgt, iſt ohne Zweifel mehr werth, als ein
Hauptmann, der lebenslang Hauptmann zu bleiben hat.
Iſt unſer Verfaſſer zwanzig Jahr alt, und ſchreitet fort,
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/355>, abgerufen am 24.11.2024.
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