lange festhalten, und Goethe stürzt sich in sein eigent¬ liches dichterisches Element; wir sehen den Egmont aus den Wogen emporsteigen, und zwar aus dem tiefsten Grunde einer großen, erschütternden Betrachtung über das Walten eines Dämonischen, das in Natur und Geschichte sich offenbart. Was über die Erfordernisse und die nähere Behandlung dieses großen dramatischen Stoffes erläuternd gesagt wird, muß jeden nachdenken¬ den Leser willkommen anregen. Hier wird auch der diesem Bändchen vorgesetzte Spruch: Nemo contra deum nisi deus ipse als der Sache angehörig ent¬ wickelt und aufgestellt.
Nun aber wird dieser vielfach erfüllte Zustand nicht länger haltbar, die höchste Spannung drängt zu Ent¬ scheidungen, zu Entschlüssen. Was aufzugeben sei, steht fest; wohin aber nun Sinn und Muth sich wenden soll, darüber schwankt alles, und doch muß der nächste Schritt die ganze Lebensfolge bestimmen. Die Neigung ist für Weimar entschieden, wohin die dringendsten Ein¬ ladungen, die günstigsten Aussichten locken, vor denen aber der Vater warnt, und bemüht ist, das herrliche Bild Italiens vorzuschieben. Dieses Schwanken ver¬ längert sich durch nothgedrungenes Abwarten nicht ge¬ rechneter Zufälle, und setzt sich sogar in die genom¬ menen Entschlüsse hinein unangenehm fort, die Leiden¬ schaft sucht in dem Aufschub noch einigen Gewinn zu fassen, der aber schon entrückt ist, und so erscheint
lange feſthalten, und Goethe ſtuͤrzt ſich in ſein eigent¬ liches dichteriſches Element; wir ſehen den Egmont aus den Wogen emporſteigen, und zwar aus dem tiefſten Grunde einer großen, erſchuͤtternden Betrachtung uͤber das Walten eines Daͤmoniſchen, das in Natur und Geſchichte ſich offenbart. Was uͤber die Erforderniſſe und die naͤhere Behandlung dieſes großen dramatiſchen Stoffes erlaͤuternd geſagt wird, muß jeden nachdenken¬ den Leſer willkommen anregen. Hier wird auch der dieſem Baͤndchen vorgeſetzte Spruch: Nemo contra deum nisi deus ipse als der Sache angehoͤrig ent¬ wickelt und aufgeſtellt.
Nun aber wird dieſer vielfach erfuͤllte Zuſtand nicht laͤnger haltbar, die hoͤchſte Spannung draͤngt zu Ent¬ ſcheidungen, zu Entſchluͤſſen. Was aufzugeben ſei, ſteht feſt; wohin aber nun Sinn und Muth ſich wenden ſoll, daruͤber ſchwankt alles, und doch muß der naͤchſte Schritt die ganze Lebensfolge beſtimmen. Die Neigung iſt fuͤr Weimar entſchieden, wohin die dringendſten Ein¬ ladungen, die guͤnſtigſten Ausſichten locken, vor denen aber der Vater warnt, und bemuͤht iſt, das herrliche Bild Italiens vorzuſchieben. Dieſes Schwanken ver¬ laͤngert ſich durch nothgedrungenes Abwarten nicht ge¬ rechneter Zufaͤlle, und ſetzt ſich ſogar in die genom¬ menen Entſchluͤſſe hinein unangenehm fort, die Leiden¬ ſchaft ſucht in dem Aufſchub noch einigen Gewinn zu faſſen, der aber ſchon entruͤckt iſt, und ſo erſcheint
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lange feſthalten, und Goethe ſtuͤrzt ſich in ſein eigent¬
liches dichteriſches Element; wir ſehen den Egmont aus
den Wogen emporſteigen, und zwar aus dem tiefſten
Grunde einer großen, erſchuͤtternden Betrachtung uͤber
das Walten eines Daͤmoniſchen, das in Natur und
Geſchichte ſich offenbart. Was uͤber die Erforderniſſe
und die naͤhere Behandlung dieſes großen dramatiſchen
Stoffes erlaͤuternd geſagt wird, muß jeden nachdenken¬
den Leſer willkommen anregen. Hier wird auch der
dieſem Baͤndchen vorgeſetzte Spruch: Nemo contra
deum nisi deus ipse als der Sache angehoͤrig ent¬
wickelt und aufgeſtellt.
Nun aber wird dieſer vielfach erfuͤllte Zuſtand nicht
laͤnger haltbar, die hoͤchſte Spannung draͤngt zu Ent¬
ſcheidungen, zu Entſchluͤſſen. Was aufzugeben ſei,
ſteht feſt; wohin aber nun Sinn und Muth ſich wenden
ſoll, daruͤber ſchwankt alles, und doch muß der naͤchſte
Schritt die ganze Lebensfolge beſtimmen. Die Neigung
iſt fuͤr Weimar entſchieden, wohin die dringendſten Ein¬
ladungen, die guͤnſtigſten Ausſichten locken, vor denen
aber der Vater warnt, und bemuͤht iſt, das herrliche
Bild Italiens vorzuſchieben. Dieſes Schwanken ver¬
laͤngert ſich durch nothgedrungenes Abwarten nicht ge¬
rechneter Zufaͤlle, und ſetzt ſich ſogar in die genom¬
menen Entſchluͤſſe hinein unangenehm fort, die Leiden¬
ſchaft ſucht in dem Aufſchub noch einigen Gewinn zu
faſſen, der aber ſchon entruͤckt iſt, und ſo erſcheint
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/343>, abgerufen am 25.11.2024.
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