gegen erscheint sein physiognomisches Talent in fast dämonischer Macht, und sein religiöser Eifer überläßt sich mehr und mehr der Ueppigkeit eines warmen und überschwänglichen Dahinwallens, das ohne feste Ge¬ dankentiefe, und selbst ohne den erforderlichen Gehalt gelehrter Kenntniß, bei aller hineingelegter Gefühls¬ stärke, sich zuletzt doch nur in Schwäche verliert. Sehr wichtig und beziehungsreich ist alles, was Goethe über die Lavater'sche Physiognomik sagt, und es wäre wohl der Mühe werth, jenes Werk und die ganze Richtung aus dem heutigen Standpunkte kritisch zu beleuchten, wozu die Mittel in Hegel's Phänomenologie reichlich gegeben sind. Die physiognomische Beschreibung der beiden Stolberg ist hier aus Lavater eingerückt, und mag den Reiz wecken, das Buch selber wieder zur Hand zu nehmen.
Von neuen Personen lernen wir in diesem Theile, außer den bereits erwähnten, nicht viele kennen. Der alte Bodmer ist mit billiger Achtung als ein guter Alter dargestellt. Goethe's Freund Passavant tritt nicht bedeutend hervor. Die Markgräflichen Herrschaften in Karlsruhe werden nur im Vorübergehen, und daselbst auch der Herzog und die Herzogin von Weimar eben nur erwähnt. Hingegen erscheint Dlle. Delf, die ver¬ mittelnde Hausfreundin, noch zuletzt ausführlich in der ganzen Thätigkeit ihres Karakters.
gegen erſcheint ſein phyſiognomiſches Talent in faſt daͤmoniſcher Macht, und ſein religioͤſer Eifer uͤberlaͤßt ſich mehr und mehr der Ueppigkeit eines warmen und uͤberſchwaͤnglichen Dahinwallens, das ohne feſte Ge¬ dankentiefe, und ſelbſt ohne den erforderlichen Gehalt gelehrter Kenntniß, bei aller hineingelegter Gefuͤhls¬ ſtaͤrke, ſich zuletzt doch nur in Schwaͤche verliert. Sehr wichtig und beziehungsreich iſt alles, was Goethe uͤber die Lavater'ſche Phyſiognomik ſagt, und es waͤre wohl der Muͤhe werth, jenes Werk und die ganze Richtung aus dem heutigen Standpunkte kritiſch zu beleuchten, wozu die Mittel in Hegel's Phaͤnomenologie reichlich gegeben ſind. Die phyſiognomiſche Beſchreibung der beiden Stolberg iſt hier aus Lavater eingeruͤckt, und mag den Reiz wecken, das Buch ſelber wieder zur Hand zu nehmen.
Von neuen Perſonen lernen wir in dieſem Theile, außer den bereits erwaͤhnten, nicht viele kennen. Der alte Bodmer iſt mit billiger Achtung als ein guter Alter dargeſtellt. Goethe's Freund Paſſavant tritt nicht bedeutend hervor. Die Markgraͤflichen Herrſchaften in Karlsruhe werden nur im Voruͤbergehen, und daſelbſt auch der Herzog und die Herzogin von Weimar eben nur erwaͤhnt. Hingegen erſcheint Dlle. Delf, die ver¬ mittelnde Hausfreundin, noch zuletzt ausfuͤhrlich in der ganzen Thaͤtigkeit ihres Karakters.
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gegen erſcheint ſein phyſiognomiſches Talent in faſt
daͤmoniſcher Macht, und ſein religioͤſer Eifer uͤberlaͤßt
ſich mehr und mehr der Ueppigkeit eines warmen und
uͤberſchwaͤnglichen Dahinwallens, das ohne feſte Ge¬
dankentiefe, und ſelbſt ohne den erforderlichen Gehalt
gelehrter Kenntniß, bei aller hineingelegter Gefuͤhls¬
ſtaͤrke, ſich zuletzt doch nur in Schwaͤche verliert. Sehr
wichtig und beziehungsreich iſt alles, was Goethe uͤber
die Lavater'ſche Phyſiognomik ſagt, und es waͤre wohl
der Muͤhe werth, jenes Werk und die ganze Richtung
aus dem heutigen Standpunkte kritiſch zu beleuchten,
wozu die Mittel in Hegel's Phaͤnomenologie reichlich
gegeben ſind. Die phyſiognomiſche Beſchreibung der
beiden Stolberg iſt hier aus Lavater eingeruͤckt, und
mag den Reiz wecken, das Buch ſelber wieder zur
Hand zu nehmen.
Von neuen Perſonen lernen wir in dieſem Theile,
außer den bereits erwaͤhnten, nicht viele kennen. Der
alte Bodmer iſt mit billiger Achtung als ein guter
Alter dargeſtellt. Goethe's Freund Paſſavant tritt nicht
bedeutend hervor. Die Markgraͤflichen Herrſchaften in
Karlsruhe werden nur im Voruͤbergehen, und daſelbſt
auch der Herzog und die Herzogin von Weimar eben
nur erwaͤhnt. Hingegen erſcheint Dlle. Delf, die ver¬
mittelnde Hausfreundin, noch zuletzt ausfuͤhrlich in der
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/341>, abgerufen am 25.11.2024.
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