Freundschaft und Denkart nicht ohne Einfluß auf Goethe bleibt. Sehr wäre zu wünschen, daß die zer¬ streuten Blätter und Nachrichten, welche von diesem Manne noch übrig sind, zu rechter Zeit gesammelt würden, da es doch immer denkwürdig sein wird, die wirklichen Züge näher zu betrachten, von welchen einige dem Faustischen Mephistopheles verglichen werden konnten. Nächst diesem alten Bekannten finden wir in diesem Theile auch Goethe's Schwester wieder, und zwar nicht mehr im älterlichen Hause, sondern als Schlossers Gattin. Ihr Zustand in Emmendingen, das Verhältniß ihrer äußern und innern Bildung, die Wirksamkeit ihrer Eigenschaften, und besonders ihr Einfluß und ihre Macht über den Bruder, dem sie die Trennung von Lilli als unerläßlich einleuchten läßt, werden mit außerordent¬ lichen Meisterstrichen hingezeichnet, und während der Autor fast verzichtet, das schwierige Bild zu vollbringen, so ist es ihm unter dem Zweifel schon fertig geworden. In solchen Zeichnungen offenbart sich der wahre Seher, dessen Auge die tiefsten und absonderlichsten Kombina¬ tionen, die sich zu dem Wesen eines Menschen ver¬ einigen, durch sein Hinblicken auch sogleich für Andre sichtbar macht. Eben so vollendet sich uns auch das Bild Lavaters, der, allerdings schon ein andrer, als in dem dritten Theile, doch noch genug derselbe ist, um nicht einer ganz neuen Schilderung zu bedürfen. Liebenswürdig und ehrenwerth bleibt seine Person, da¬
Freundſchaft und Denkart nicht ohne Einfluß auf Goethe bleibt. Sehr waͤre zu wuͤnſchen, daß die zer¬ ſtreuten Blaͤtter und Nachrichten, welche von dieſem Manne noch uͤbrig ſind, zu rechter Zeit geſammelt wuͤrden, da es doch immer denkwuͤrdig ſein wird, die wirklichen Zuͤge naͤher zu betrachten, von welchen einige dem Fauſtiſchen Mephiſtopheles verglichen werden konnten. Naͤchſt dieſem alten Bekannten finden wir in dieſem Theile auch Goethe’s Schweſter wieder, und zwar nicht mehr im aͤlterlichen Hauſe, ſondern als Schloſſers Gattin. Ihr Zuſtand in Emmendingen, das Verhaͤltniß ihrer aͤußern und innern Bildung, die Wirkſamkeit ihrer Eigenſchaften, und beſonders ihr Einfluß und ihre Macht uͤber den Bruder, dem ſie die Trennung von Lilli als unerlaͤßlich einleuchten laͤßt, werden mit außerordent¬ lichen Meiſterſtrichen hingezeichnet, und waͤhrend der Autor faſt verzichtet, das ſchwierige Bild zu vollbringen, ſo iſt es ihm unter dem Zweifel ſchon fertig geworden. In ſolchen Zeichnungen offenbart ſich der wahre Seher, deſſen Auge die tiefſten und abſonderlichſten Kombina¬ tionen, die ſich zu dem Weſen eines Menſchen ver¬ einigen, durch ſein Hinblicken auch ſogleich fuͤr Andre ſichtbar macht. Eben ſo vollendet ſich uns auch das Bild Lavaters, der, allerdings ſchon ein andrer, als in dem dritten Theile, doch noch genug derſelbe iſt, um nicht einer ganz neuen Schilderung zu beduͤrfen. Liebenswuͤrdig und ehrenwerth bleibt ſeine Perſon, da¬
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Freundſchaft und Denkart nicht ohne Einfluß auf
Goethe bleibt. Sehr waͤre zu wuͤnſchen, daß die zer¬
ſtreuten Blaͤtter und Nachrichten, welche von dieſem
Manne noch uͤbrig ſind, zu rechter Zeit geſammelt
wuͤrden, da es doch immer denkwuͤrdig ſein wird, die
wirklichen Zuͤge naͤher zu betrachten, von welchen einige
dem Fauſtiſchen Mephiſtopheles verglichen werden konnten.
Naͤchſt dieſem alten Bekannten finden wir in dieſem
Theile auch Goethe’s Schweſter wieder, und zwar nicht
mehr im aͤlterlichen Hauſe, ſondern als Schloſſers
Gattin. Ihr Zuſtand in Emmendingen, das Verhaͤltniß
ihrer aͤußern und innern Bildung, die Wirkſamkeit ihrer
Eigenſchaften, und beſonders ihr Einfluß und ihre Macht
uͤber den Bruder, dem ſie die Trennung von Lilli als
unerlaͤßlich einleuchten laͤßt, werden mit außerordent¬
lichen Meiſterſtrichen hingezeichnet, und waͤhrend der
Autor faſt verzichtet, das ſchwierige Bild zu vollbringen,
ſo iſt es ihm unter dem Zweifel ſchon fertig geworden.
In ſolchen Zeichnungen offenbart ſich der wahre Seher,
deſſen Auge die tiefſten und abſonderlichſten Kombina¬
tionen, die ſich zu dem Weſen eines Menſchen ver¬
einigen, durch ſein Hinblicken auch ſogleich fuͤr Andre
ſichtbar macht. Eben ſo vollendet ſich uns auch das
Bild Lavaters, der, allerdings ſchon ein andrer, als
in dem dritten Theile, doch noch genug derſelbe iſt,
um nicht einer ganz neuen Schilderung zu beduͤrfen.
Liebenswuͤrdig und ehrenwerth bleibt ſeine Perſon, da¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/340>, abgerufen am 25.11.2024.
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