Geschichte nie schöner und gründlicher dargethan, und diese Abschnitte können als einzelne fertige Kapitel einer deutschen Nationalgeschichte gelten, deren Ganzes noch fehlt, und lange noch fehlen wird. Die Stellung Goethe's im bürgerlichen Leben erscheint zwar gleich anfangs vor¬ theilhaft und befriedigend, indem die doch engen Schran¬ ken, von welchen sie umgeben ist, dem Einzelnen kaum fühlbar geworden; allein die Bedeutung, welche er durch das Uebergewicht geistiger Fähigkeiten in einem allgemeinen Kreise mehr und mehr gewinnt, entbehrt des entsprechenden Ausdrucks in den äußeren Verhält¬ nissen; die Wege der Litteratur gingen damals noch durch ödes Gefild, nur der eine Klopstock war auf ihnen als Dichter zu einer leidlichen Lebensstellung ge¬ langt, und dabei hatte noch der religiöse Gegenstand seiner Dichtkunst entscheidend eingewirkt; für Goethe war eine solche Begünstigung nicht abzusehen, und seine praktische Tüchtigkeit in Geschäften, wie fertig und fruchtbar sie auch erscheinen mochte, versprach dafür keinen nahen Ersatz. Seine eignen Ansprüche, wie die seiner Geliebten, waren willig, sich in's Enge zu ziehen, um ein bescheidenes Glück zu gewinnen, welches aller¬ dings der größten Opfer werth schien. Allein im tiefsten Bewußtsein konnte man sich nicht verhehlen, daß die Richtungen und Bilder, welche man aufgeben wollte, schon im Gemüth und Sinn unberechenbar eingedrungen sein mußten, und auch jenseits des Weltmeeres, wohin
II. 21
Geſchichte nie ſchoͤner und gruͤndlicher dargethan, und dieſe Abſchnitte koͤnnen als einzelne fertige Kapitel einer deutſchen Nationalgeſchichte gelten, deren Ganzes noch fehlt, und lange noch fehlen wird. Die Stellung Goethe's im buͤrgerlichen Leben erſcheint zwar gleich anfangs vor¬ theilhaft und befriedigend, indem die doch engen Schran¬ ken, von welchen ſie umgeben iſt, dem Einzelnen kaum fuͤhlbar geworden; allein die Bedeutung, welche er durch das Uebergewicht geiſtiger Faͤhigkeiten in einem allgemeinen Kreiſe mehr und mehr gewinnt, entbehrt des entſprechenden Ausdrucks in den aͤußeren Verhaͤlt¬ niſſen; die Wege der Litteratur gingen damals noch durch oͤdes Gefild, nur der eine Klopſtock war auf ihnen als Dichter zu einer leidlichen Lebensſtellung ge¬ langt, und dabei hatte noch der religioͤſe Gegenſtand ſeiner Dichtkunſt entſcheidend eingewirkt; fuͤr Goethe war eine ſolche Beguͤnſtigung nicht abzuſehen, und ſeine praktiſche Tuͤchtigkeit in Geſchaͤften, wie fertig und fruchtbar ſie auch erſcheinen mochte, verſprach dafuͤr keinen nahen Erſatz. Seine eignen Anſpruͤche, wie die ſeiner Geliebten, waren willig, ſich in's Enge zu ziehen, um ein beſcheidenes Gluͤck zu gewinnen, welches aller¬ dings der groͤßten Opfer werth ſchien. Allein im tiefſten Bewußtſein konnte man ſich nicht verhehlen, daß die Richtungen und Bilder, welche man aufgeben wollte, ſchon im Gemuͤth und Sinn unberechenbar eingedrungen ſein mußten, und auch jenſeits des Weltmeeres, wohin
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Geſchichte nie ſchoͤner und gruͤndlicher dargethan, und
dieſe Abſchnitte koͤnnen als einzelne fertige Kapitel einer
deutſchen Nationalgeſchichte gelten, deren Ganzes noch
fehlt, und lange noch fehlen wird. Die Stellung Goethe's
im buͤrgerlichen Leben erſcheint zwar gleich anfangs vor¬
theilhaft und befriedigend, indem die doch engen Schran¬
ken, von welchen ſie umgeben iſt, dem Einzelnen kaum
fuͤhlbar geworden; allein die Bedeutung, welche er
durch das Uebergewicht geiſtiger Faͤhigkeiten in einem
allgemeinen Kreiſe mehr und mehr gewinnt, entbehrt
des entſprechenden Ausdrucks in den aͤußeren Verhaͤlt¬
niſſen; die Wege der Litteratur gingen damals noch
durch oͤdes Gefild, nur der eine Klopſtock war auf
ihnen als Dichter zu einer leidlichen Lebensſtellung ge¬
langt, und dabei hatte noch der religioͤſe Gegenſtand
ſeiner Dichtkunſt entſcheidend eingewirkt; fuͤr Goethe
war eine ſolche Beguͤnſtigung nicht abzuſehen, und ſeine
praktiſche Tuͤchtigkeit in Geſchaͤften, wie fertig und
fruchtbar ſie auch erſcheinen mochte, verſprach dafuͤr
keinen nahen Erſatz. Seine eignen Anſpruͤche, wie die
ſeiner Geliebten, waren willig, ſich in's Enge zu ziehen,
um ein beſcheidenes Gluͤck zu gewinnen, welches aller¬
dings der groͤßten Opfer werth ſchien. Allein im tiefſten
Bewußtſein konnte man ſich nicht verhehlen, daß die
Richtungen und Bilder, welche man aufgeben wollte,
ſchon im Gemuͤth und Sinn unberechenbar eingedrungen
ſein mußten, und auch jenſeits des Weltmeeres, wohin
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/335>, abgerufen am 25.11.2024.
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