aller Bewunderung und Furcht, welche der Kaiser ein¬ flößte, doch weder im Volk, noch in den höhern Klassen, und am wenigsten in seiner gewohnten Umgebung, eine eigentliche Verehrung für ihn, ein Glauben an ihn als an ein höheres Wesen bestand; die Franzosen, sofern sie ihn als groß anerkannten, hielten ihn doch nur für groß in dem, was sie Alle zu leisten sich getrau¬ ten; sie sahen in ihm nicht andre, sondern die gemei¬ nen, gäng und gäben Eigenschaften, nur in ungemeinen Maßen.
Den damals in Paris sehr zahlreichen Deutschen muß ich es zur Ehre nachsagen, daß wenige von der Erscheinung Napoleons geblendet waren und seine Gunst oder Ungunst höher anschlugen, als ihr nach lediglich äußerer Währung zukam. Die jüngeren Freunde, theils von Haß gegen den Unterdrücker des Vaterlandes erfüllt, theils gleichgültig abgewandt von Beziehungen, die sie nicht lenken noch ergreifen konnten, scherzten nur über den Vorzug, daß ich den Hof des Kaisers besuchte, und beneideten mir ihn nicht. Insbesondere war unter den vielen Oesterreichern meines Wissens keiner, welchen der Schimmer des augenblicklichen Verhältnisses getäuscht oder befangen hätte. Die deutsche Ruhe, Gradheit und Einfachheit erhielt sich hier, wo so vieles verwirren konnte, in besonnenem und klarem Urtheil. Die in diesem Betreff Gleichgesinnten hatten sogar unter den
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aller Bewunderung und Furcht, welche der Kaiſer ein¬ floͤßte, doch weder im Volk, noch in den hoͤhern Klaſſen, und am wenigſten in ſeiner gewohnten Umgebung, eine eigentliche Verehrung fuͤr ihn, ein Glauben an ihn als an ein hoͤheres Weſen beſtand; die Franzoſen, ſofern ſie ihn als groß anerkannten, hielten ihn doch nur fuͤr groß in dem, was ſie Alle zu leiſten ſich getrau¬ ten; ſie ſahen in ihm nicht andre, ſondern die gemei¬ nen, gaͤng und gaͤben Eigenſchaften, nur in ungemeinen Maßen.
Den damals in Paris ſehr zahlreichen Deutſchen muß ich es zur Ehre nachſagen, daß wenige von der Erſcheinung Napoleons geblendet waren und ſeine Gunſt oder Ungunſt hoͤher anſchlugen, als ihr nach lediglich aͤußerer Waͤhrung zukam. Die juͤngeren Freunde, theils von Haß gegen den Unterdruͤcker des Vaterlandes erfuͤllt, theils gleichguͤltig abgewandt von Beziehungen, die ſie nicht lenken noch ergreifen konnten, ſcherzten nur uͤber den Vorzug, daß ich den Hof des Kaiſers beſuchte, und beneideten mir ihn nicht. Insbeſondere war unter den vielen Oeſterreichern meines Wiſſens keiner, welchen der Schimmer des augenblicklichen Verhaͤltniſſes getaͤuſcht oder befangen haͤtte. Die deutſche Ruhe, Gradheit und Einfachheit erhielt ſich hier, wo ſo vieles verwirren konnte, in beſonnenem und klarem Urtheil. Die in dieſem Betreff Gleichgeſinnten hatten ſogar unter den
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aller Bewunderung und Furcht, welche der Kaiſer ein¬
floͤßte, doch weder im Volk, noch in den hoͤhern Klaſſen,
und am wenigſten in ſeiner gewohnten Umgebung, eine
eigentliche Verehrung fuͤr ihn, ein Glauben an ihn als
an ein hoͤheres Weſen beſtand; die Franzoſen, ſofern
ſie ihn als groß anerkannten, hielten ihn doch nur
fuͤr groß in dem, was ſie Alle zu leiſten ſich getrau¬
ten; ſie ſahen in ihm nicht andre, ſondern die gemei¬
nen, gaͤng und gaͤben Eigenſchaften, nur in ungemeinen
Maßen.
Den damals in Paris ſehr zahlreichen Deutſchen
muß ich es zur Ehre nachſagen, daß wenige von der
Erſcheinung Napoleons geblendet waren und ſeine Gunſt
oder Ungunſt hoͤher anſchlugen, als ihr nach lediglich
aͤußerer Waͤhrung zukam. Die juͤngeren Freunde, theils
von Haß gegen den Unterdruͤcker des Vaterlandes erfuͤllt,
theils gleichguͤltig abgewandt von Beziehungen, die ſie
nicht lenken noch ergreifen konnten, ſcherzten nur uͤber
den Vorzug, daß ich den Hof des Kaiſers beſuchte,
und beneideten mir ihn nicht. Insbeſondere war unter
den vielen Oeſterreichern meines Wiſſens keiner, welchen
der Schimmer des augenblicklichen Verhaͤltniſſes getaͤuſcht
oder befangen haͤtte. Die deutſche Ruhe, Gradheit und
Einfachheit erhielt ſich hier, wo ſo vieles verwirren
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/321>, abgerufen am 27.11.2024.
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