nung Napoleons an, der von der hintern Seite des Saales hereintrat. In einfacher blauer Uniform, seinen kleinen Hut unter dem Arm, ging er schwerfällig auf uns zu. Seine Haltung drückte den Widerstreit eines Willens aus, der etwas erreichen möchte, und eine Verachtung derjenigen, bei welchen es erreicht werden soll. Ein günstiges Erscheinen wäre ihm wohl lieb gewesen, und doch schien es ihm nicht recht der Mühe werth, der Mühe, die er sich darum geben sollte, denn von Natur hatte er es wahrlich nicht. Daher Nach¬ lässigkeit und Absicht abwechselnd in ihm hervortraten, und nur in Unruhe und Mißbehagen zusammenflossen. Er wandte sich zuerst an die österreichische Botschaft, welche die eine Spitze des Halbkreises einnahm. Die Folgen des unglücklichen Festes waren Anlaß mancher Fragen und Bemerkungen. Der Kaiser wollte theil¬ nehmend erscheinen, er brauchte sogar Worte der Rüh¬ rung; doch gelang ihm dieser Ton keineswegs, und er ließ ihn auch bald wieder fallen. Für den russischen Botschafter Kurakin hatte er schon minder freundlichen Ausdruck, und im weiteren Fortschreiten mußte ihn irgend ein Anblick oder Gedanke heftig aufreizen, denn er gerieth in furchtbaren Aerger, fuhr gegen einen der Anwesenden, der nicht zu den bedeutendsten gehörte und dessen Namen mir nicht mehr erinnerlich ist, schrecklich los, war mit allen Antworten unzufrieden und forderte immer neue, schalt und drohte, und hielt den armen
nung Napoleons an, der von der hintern Seite des Saales hereintrat. In einfacher blauer Uniform, ſeinen kleinen Hut unter dem Arm, ging er ſchwerfaͤllig auf uns zu. Seine Haltung druͤckte den Widerſtreit eines Willens aus, der etwas erreichen moͤchte, und eine Verachtung derjenigen, bei welchen es erreicht werden ſoll. Ein guͤnſtiges Erſcheinen waͤre ihm wohl lieb geweſen, und doch ſchien es ihm nicht recht der Muͤhe werth, der Muͤhe, die er ſich darum geben ſollte, denn von Natur hatte er es wahrlich nicht. Daher Nach¬ laͤſſigkeit und Abſicht abwechſelnd in ihm hervortraten, und nur in Unruhe und Mißbehagen zuſammenfloſſen. Er wandte ſich zuerſt an die oͤſterreichiſche Botſchaft, welche die eine Spitze des Halbkreiſes einnahm. Die Folgen des ungluͤcklichen Feſtes waren Anlaß mancher Fragen und Bemerkungen. Der Kaiſer wollte theil¬ nehmend erſcheinen, er brauchte ſogar Worte der Ruͤh¬ rung; doch gelang ihm dieſer Ton keineswegs, und er ließ ihn auch bald wieder fallen. Fuͤr den ruſſiſchen Botſchafter Kurakin hatte er ſchon minder freundlichen Ausdruck, und im weiteren Fortſchreiten mußte ihn irgend ein Anblick oder Gedanke heftig aufreizen, denn er gerieth in furchtbaren Aerger, fuhr gegen einen der Anweſenden, der nicht zu den bedeutendſten gehoͤrte und deſſen Namen mir nicht mehr erinnerlich iſt, ſchrecklich los, war mit allen Antworten unzufrieden und forderte immer neue, ſchalt und drohte, und hielt den armen
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nung Napoleons an, der von der hintern Seite des
Saales hereintrat. In einfacher blauer Uniform, ſeinen
kleinen Hut unter dem Arm, ging er ſchwerfaͤllig auf
uns zu. Seine Haltung druͤckte den Widerſtreit eines
Willens aus, der etwas erreichen moͤchte, und eine
Verachtung derjenigen, bei welchen es erreicht werden
ſoll. Ein guͤnſtiges Erſcheinen waͤre ihm wohl lieb
geweſen, und doch ſchien es ihm nicht recht der Muͤhe
werth, der Muͤhe, die er ſich darum geben ſollte, denn
von Natur hatte er es wahrlich nicht. Daher Nach¬
laͤſſigkeit und Abſicht abwechſelnd in ihm hervortraten,
und nur in Unruhe und Mißbehagen zuſammenfloſſen.
Er wandte ſich zuerſt an die oͤſterreichiſche Botſchaft,
welche die eine Spitze des Halbkreiſes einnahm. Die
Folgen des ungluͤcklichen Feſtes waren Anlaß mancher
Fragen und Bemerkungen. Der Kaiſer wollte theil¬
nehmend erſcheinen, er brauchte ſogar Worte der Ruͤh¬
rung; doch gelang ihm dieſer Ton keineswegs, und er
ließ ihn auch bald wieder fallen. Fuͤr den ruſſiſchen
Botſchafter Kurakin hatte er ſchon minder freundlichen
Ausdruck, und im weiteren Fortſchreiten mußte ihn
irgend ein Anblick oder Gedanke heftig aufreizen, denn
er gerieth in furchtbaren Aerger, fuhr gegen einen der
Anweſenden, der nicht zu den bedeutendſten gehoͤrte und
deſſen Namen mir nicht mehr erinnerlich iſt, ſchrecklich
los, war mit allen Antworten unzufrieden und forderte
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/314>, abgerufen am 24.11.2024.
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