schauerliche Anblick und der freudige unsres Obersten mit der Fahne in der Hand waren die letzten, die ich von dem Schlachtfelde mit mir nahm. Lange noch, während ich mit andern Verwundeten langsam zurück¬ gebracht wurde, flogen die Kanonenkugeln um uns her, bis tief in die Nacht hörten wir den Geschützdonner, allein er entfernte sich mehr und mehr, und uns beglei¬ tete der Eindruck eines siegreichen Vorschreitens. Wirk¬ lich war das höchst gewagte, aber großartige Unterfan¬ gen Napoleons, das noch unerschütterte Heer im ersten Anlaufe zu sprengen, gänzlich fehlgeschlagen und in eine theilweise Niederlage ausgegangen. Er konnte seinen Verdruß und Grimm darüber nicht verhehlen, und beschuldigte theils den üblen Zufall, daß Franzosen und Sachsen aus Irrthum auf einander geschossen haben sollten, theils die Lässigkeit des Marschalls Bernadotte, dem er ohnehin schon grollte und den er in der Mei¬ nung herabsetzen mochte. Jedoch konnte er seinem Glücke noch danken, welches zwar den raschen Sieg ihm heute noch versagte, aber auch größeres Unheil ihm abwandte. Denn hätte der Erzherzog Generalissimus hier noch frische Truppen in's Gefecht bringen, oder über eine zahlreichere Reiterei verfügen und seinen Vortheil augen¬ blicklich mit Nachdruck verfolgen können, so würde es um das französische Heer schlecht ausgesehen haben; die vier von der Höhe zurückgeschlagenen Divisionen warfen sich auf die rückwärtsstehenden, und rissen sie mit sich
ſchauerliche Anblick und der freudige unſres Oberſten mit der Fahne in der Hand waren die letzten, die ich von dem Schlachtfelde mit mir nahm. Lange noch, waͤhrend ich mit andern Verwundeten langſam zuruͤck¬ gebracht wurde, flogen die Kanonenkugeln um uns her, bis tief in die Nacht hoͤrten wir den Geſchuͤtzdonner, allein er entfernte ſich mehr und mehr, und uns beglei¬ tete der Eindruck eines ſiegreichen Vorſchreitens. Wirk¬ lich war das hoͤchſt gewagte, aber großartige Unterfan¬ gen Napoleons, das noch unerſchuͤtterte Heer im erſten Anlaufe zu ſprengen, gaͤnzlich fehlgeſchlagen und in eine theilweiſe Niederlage ausgegangen. Er konnte ſeinen Verdruß und Grimm daruͤber nicht verhehlen, und beſchuldigte theils den uͤblen Zufall, daß Franzoſen und Sachſen aus Irrthum auf einander geſchoſſen haben ſollten, theils die Laͤſſigkeit des Marſchalls Bernadotte, dem er ohnehin ſchon grollte und den er in der Mei¬ nung herabſetzen mochte. Jedoch konnte er ſeinem Gluͤcke noch danken, welches zwar den raſchen Sieg ihm heute noch verſagte, aber auch groͤßeres Unheil ihm abwandte. Denn haͤtte der Erzherzog Generaliſſimus hier noch friſche Truppen in’s Gefecht bringen, oder uͤber eine zahlreichere Reiterei verfuͤgen und ſeinen Vortheil augen¬ blicklich mit Nachdruck verfolgen koͤnnen, ſo wuͤrde es um das franzoͤſiſche Heer ſchlecht ausgeſehen haben; die vier von der Hoͤhe zuruͤckgeſchlagenen Diviſionen warfen ſich auf die ruͤckwaͤrtsſtehenden, und riſſen ſie mit ſich
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ſchauerliche Anblick und der freudige unſres Oberſten
mit der Fahne in der Hand waren die letzten, die ich
von dem Schlachtfelde mit mir nahm. Lange noch,
waͤhrend ich mit andern Verwundeten langſam zuruͤck¬
gebracht wurde, flogen die Kanonenkugeln um uns her,
bis tief in die Nacht hoͤrten wir den Geſchuͤtzdonner,
allein er entfernte ſich mehr und mehr, und uns beglei¬
tete der Eindruck eines ſiegreichen Vorſchreitens. Wirk¬
lich war das hoͤchſt gewagte, aber großartige Unterfan¬
gen Napoleons, das noch unerſchuͤtterte Heer im erſten
Anlaufe zu ſprengen, gaͤnzlich fehlgeſchlagen und in eine
theilweiſe Niederlage ausgegangen. Er konnte ſeinen
Verdruß und Grimm daruͤber nicht verhehlen, und
beſchuldigte theils den uͤblen Zufall, daß Franzoſen und
Sachſen aus Irrthum auf einander geſchoſſen haben
ſollten, theils die Laͤſſigkeit des Marſchalls Bernadotte,
dem er ohnehin ſchon grollte und den er in der Mei¬
nung herabſetzen mochte. Jedoch konnte er ſeinem Gluͤcke
noch danken, welches zwar den raſchen Sieg ihm heute
noch verſagte, aber auch groͤßeres Unheil ihm abwandte.
Denn haͤtte der Erzherzog Generaliſſimus hier noch
friſche Truppen in’s Gefecht bringen, oder uͤber eine
zahlreichere Reiterei verfuͤgen und ſeinen Vortheil augen¬
blicklich mit Nachdruck verfolgen koͤnnen, ſo wuͤrde es
um das franzoͤſiſche Heer ſchlecht ausgeſehen haben; die
vier von der Hoͤhe zuruͤckgeſchlagenen Diviſionen warfen
ſich auf die ruͤckwaͤrtsſtehenden, und riſſen ſie mit ſich
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/235>, abgerufen am 24.11.2024.
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