Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

war, und erst in den neusten aus Mangel an Nach¬
richten ungewiß geworden ist.

Ein Bruder dieses nach Schweden gegangenen Varn¬
hagen hatte die Rechte studirt und war Bürgermeister
in Altena geworden; sein Sohn, mein Aeltervater,
folgte ihm in diesem Amte, war aber zugleich Doctor
der Arzneikunde, die er nach dem Vorgange jenes
Oheims ebenfalls in Rostock studirt hatte, und deren
Würden und Ausübung fortan in dieser Linie sich
durch alle Geschlechtsfolgen herab vererbten.

Doch geschah in andrer Hinsicht eine wichtige Un¬
terbrechung des gewohnten Familienganges durch meinen
Urgroßvater Johann Bernhard, der sich als Arzt in
Paderborn niederließ, und daselbst durch das überwie¬
gende Einwirken der Jesuiten, welche von jeher viel
Anziehendes für gelehrte und kluge Leute hatten, zur
katholischen Kirche übertrat. Dieser Glaubensweg lei¬
tete nun natürlich auch seine Nachkommen, und zwar
äußerlich trennend genug von dem protestantisch geblie¬
benen Theil der Familie, innerlich aber nicht ohne die
starke Zugabe eines freien Untersuchens und Zweifelns,
mitunter sogar eines in Scherz und Ernst muthvollen
Widerspruchs, welchen die herrschenden Einflüsse der
spätern Zeit ohnehin mächtig hervorriefen, und den die
Beschäftigung mit Natur- und Heilkunde auch nur noch
förderte.

war, und erſt in den neuſten aus Mangel an Nach¬
richten ungewiß geworden iſt.

Ein Bruder dieſes nach Schweden gegangenen Varn¬
hagen hatte die Rechte ſtudirt und war Buͤrgermeiſter
in Altena geworden; ſein Sohn, mein Aeltervater,
folgte ihm in dieſem Amte, war aber zugleich Doctor
der Arzneikunde, die er nach dem Vorgange jenes
Oheims ebenfalls in Roſtock ſtudirt hatte, und deren
Wuͤrden und Ausuͤbung fortan in dieſer Linie ſich
durch alle Geſchlechtsfolgen herab vererbten.

Doch geſchah in andrer Hinſicht eine wichtige Un¬
terbrechung des gewohnten Familienganges durch meinen
Urgroßvater Johann Bernhard, der ſich als Arzt in
Paderborn niederließ, und daſelbſt durch das uͤberwie¬
gende Einwirken der Jeſuiten, welche von jeher viel
Anziehendes fuͤr gelehrte und kluge Leute hatten, zur
katholiſchen Kirche uͤbertrat. Dieſer Glaubensweg lei¬
tete nun natuͤrlich auch ſeine Nachkommen, und zwar
aͤußerlich trennend genug von dem proteſtantiſch geblie¬
benen Theil der Familie, innerlich aber nicht ohne die
ſtarke Zugabe eines freien Unterſuchens und Zweifelns,
mitunter ſogar eines in Scherz und Ernſt muthvollen
Widerſpruchs, welchen die herrſchenden Einfluͤſſe der
ſpaͤtern Zeit ohnehin maͤchtig hervorriefen, und den die
Beſchaͤftigung mit Natur- und Heilkunde auch nur noch
foͤrderte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0021" n="7"/>
war, und er&#x017F;t in den neu&#x017F;ten aus Mangel an Nach¬<lb/>
richten ungewiß geworden i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Ein Bruder die&#x017F;es nach Schweden gegangenen Varn¬<lb/>
hagen hatte die Rechte &#x017F;tudirt und war Bu&#x0364;rgermei&#x017F;ter<lb/>
in Altena geworden; &#x017F;ein Sohn, mein Aeltervater,<lb/>
folgte ihm in die&#x017F;em Amte, war aber zugleich Doctor<lb/>
der Arzneikunde, die er nach dem Vorgange jenes<lb/>
Oheims ebenfalls in Ro&#x017F;tock &#x017F;tudirt hatte, und deren<lb/>
Wu&#x0364;rden und Ausu&#x0364;bung fortan in die&#x017F;er Linie &#x017F;ich<lb/>
durch alle Ge&#x017F;chlechtsfolgen herab vererbten.</p><lb/>
          <p>Doch ge&#x017F;chah in andrer Hin&#x017F;icht eine wichtige Un¬<lb/>
terbrechung des gewohnten Familienganges durch meinen<lb/>
Urgroßvater Johann Bernhard, der &#x017F;ich als Arzt in<lb/>
Paderborn niederließ, und da&#x017F;elb&#x017F;t durch das u&#x0364;berwie¬<lb/>
gende Einwirken der Je&#x017F;uiten, welche von jeher viel<lb/>
Anziehendes fu&#x0364;r gelehrte und kluge Leute hatten, zur<lb/>
katholi&#x017F;chen Kirche u&#x0364;bertrat. Die&#x017F;er Glaubensweg lei¬<lb/>
tete nun natu&#x0364;rlich auch &#x017F;eine Nachkommen, und zwar<lb/>
a&#x0364;ußerlich trennend genug von dem prote&#x017F;tanti&#x017F;ch geblie¬<lb/>
benen Theil der Familie, innerlich aber nicht ohne die<lb/>
&#x017F;tarke Zugabe eines freien Unter&#x017F;uchens und Zweifelns,<lb/>
mitunter &#x017F;ogar eines in Scherz und Ern&#x017F;t muthvollen<lb/>
Wider&#x017F;pruchs, welchen die herr&#x017F;chenden Einflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;tern Zeit ohnehin ma&#x0364;chtig hervorriefen, und den die<lb/>
Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung mit Natur- und Heilkunde auch nur noch<lb/>
fo&#x0364;rderte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0021] war, und erſt in den neuſten aus Mangel an Nach¬ richten ungewiß geworden iſt. Ein Bruder dieſes nach Schweden gegangenen Varn¬ hagen hatte die Rechte ſtudirt und war Buͤrgermeiſter in Altena geworden; ſein Sohn, mein Aeltervater, folgte ihm in dieſem Amte, war aber zugleich Doctor der Arzneikunde, die er nach dem Vorgange jenes Oheims ebenfalls in Roſtock ſtudirt hatte, und deren Wuͤrden und Ausuͤbung fortan in dieſer Linie ſich durch alle Geſchlechtsfolgen herab vererbten. Doch geſchah in andrer Hinſicht eine wichtige Un¬ terbrechung des gewohnten Familienganges durch meinen Urgroßvater Johann Bernhard, der ſich als Arzt in Paderborn niederließ, und daſelbſt durch das uͤberwie¬ gende Einwirken der Jeſuiten, welche von jeher viel Anziehendes fuͤr gelehrte und kluge Leute hatten, zur katholiſchen Kirche uͤbertrat. Dieſer Glaubensweg lei¬ tete nun natuͤrlich auch ſeine Nachkommen, und zwar aͤußerlich trennend genug von dem proteſtantiſch geblie¬ benen Theil der Familie, innerlich aber nicht ohne die ſtarke Zugabe eines freien Unterſuchens und Zweifelns, mitunter ſogar eines in Scherz und Ernſt muthvollen Widerſpruchs, welchen die herrſchenden Einfluͤſſe der ſpaͤtern Zeit ohnehin maͤchtig hervorriefen, und den die Beſchaͤftigung mit Natur- und Heilkunde auch nur noch foͤrderte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/21
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/21>, abgerufen am 23.11.2024.