Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

um hoffen zu dürfen, daß aller Verlust bald wieder
eingebracht sein werde. Die vielen weichlichen Empfin¬
dungen und edlen Verhältnisse, welche er in seinen Ro¬
manen durcharbeitet und ausgelegt hatte, waren bei ihm
selbst, vielleicht eben wegen des steten Aufwandes und
Verbrauchs, jetzt in geringem Vorrathe zu spüren, er
nahm alles ziemlich hart und plump, und wollte die
Zärtlichkeit für seinen Freund Sander, dessen traurige
Gemüthskrankheit ich ihm schilderte, nicht sonderlich auf¬
kommen lassen. Als preußischer Patriot dagegen zeigte
er seine Eigenheit in dem Bekenntniß, daß er sich auch
unwahre Siegsnachrichten mit Vergnügen erzählen lasse,
und bei dem bestimmten Vorauswissen, man lüge ihm
was vor, seine Begierde weiter zu hören doch nicht
geschwächt wurde!

Harscher lebte in dieser hallischen Zeit seine ver¬
gnügtesten Tage; nicht durch eigne Versäumniß, die
er sich doch immer zum Gewissen gemacht hätte, sondern
durch die Macht der Umstände, gegen die sein Wider¬
spruch nicht fehlte, sah er sich von allem Zwange be¬
freit, den seine Bestimmung ihm auferlegte, die medi¬
zinischen Vorlesungen, vor denen er sich fürchtete, und
denen er sich endlich um so stärker hingeben mußte, je
länger er sie bisher gemieden hatte, wurden gleich
allen übrigen nicht gehalten, ihn konnte nicht der ge¬
ringste Vorwurf treffen, daß er sie nicht besuchte; an
Fleiß und Eifer andrer Art ließ er es aber nicht mangeln,

um hoffen zu duͤrfen, daß aller Verluſt bald wieder
eingebracht ſein werde. Die vielen weichlichen Empfin¬
dungen und edlen Verhaͤltniſſe, welche er in ſeinen Ro¬
manen durcharbeitet und ausgelegt hatte, waren bei ihm
ſelbſt, vielleicht eben wegen des ſteten Aufwandes und
Verbrauchs, jetzt in geringem Vorrathe zu ſpuͤren, er
nahm alles ziemlich hart und plump, und wollte die
Zaͤrtlichkeit fuͤr ſeinen Freund Sander, deſſen traurige
Gemuͤthskrankheit ich ihm ſchilderte, nicht ſonderlich auf¬
kommen laſſen. Als preußiſcher Patriot dagegen zeigte
er ſeine Eigenheit in dem Bekenntniß, daß er ſich auch
unwahre Siegsnachrichten mit Vergnuͤgen erzaͤhlen laſſe,
und bei dem beſtimmten Vorauswiſſen, man luͤge ihm
was vor, ſeine Begierde weiter zu hoͤren doch nicht
geſchwaͤcht wurde!

Harſcher lebte in dieſer halliſchen Zeit ſeine ver¬
gnuͤgteſten Tage; nicht durch eigne Verſaͤumniß, die
er ſich doch immer zum Gewiſſen gemacht haͤtte, ſondern
durch die Macht der Umſtaͤnde, gegen die ſein Wider¬
ſpruch nicht fehlte, ſah er ſich von allem Zwange be¬
freit, den ſeine Beſtimmung ihm auferlegte, die medi¬
ziniſchen Vorleſungen, vor denen er ſich fuͤrchtete, und
denen er ſich endlich um ſo ſtaͤrker hingeben mußte, je
laͤnger er ſie bisher gemieden hatte, wurden gleich
allen uͤbrigen nicht gehalten, ihn konnte nicht der ge¬
ringſte Vorwurf treffen, daß er ſie nicht beſuchte; an
Fleiß und Eifer andrer Art ließ er es aber nicht mangeln,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0148" n="134"/>
um hoffen zu du&#x0364;rfen, daß aller Verlu&#x017F;t bald wieder<lb/>
eingebracht &#x017F;ein werde. Die vielen weichlichen Empfin¬<lb/>
dungen und edlen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e, welche er in &#x017F;einen Ro¬<lb/>
manen durcharbeitet und ausgelegt hatte, waren bei ihm<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, vielleicht eben wegen des &#x017F;teten Aufwandes und<lb/>
Verbrauchs, jetzt in geringem Vorrathe zu &#x017F;pu&#x0364;ren, er<lb/>
nahm alles ziemlich hart und plump, und wollte die<lb/>
Za&#x0364;rtlichkeit fu&#x0364;r &#x017F;einen Freund Sander, de&#x017F;&#x017F;en traurige<lb/>
Gemu&#x0364;thskrankheit ich ihm &#x017F;childerte, nicht &#x017F;onderlich auf¬<lb/>
kommen la&#x017F;&#x017F;en. Als preußi&#x017F;cher Patriot dagegen zeigte<lb/>
er &#x017F;eine Eigenheit in dem Bekenntniß, daß er &#x017F;ich auch<lb/>
unwahre Siegsnachrichten mit Vergnu&#x0364;gen erza&#x0364;hlen la&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
und bei dem be&#x017F;timmten Vorauswi&#x017F;&#x017F;en, man lu&#x0364;ge ihm<lb/>
was vor, &#x017F;eine Begierde weiter zu ho&#x0364;ren doch nicht<lb/>
ge&#x017F;chwa&#x0364;cht wurde!</p><lb/>
          <p>Har&#x017F;cher lebte in die&#x017F;er halli&#x017F;chen Zeit &#x017F;eine ver¬<lb/>
gnu&#x0364;gte&#x017F;ten Tage; nicht durch eigne Ver&#x017F;a&#x0364;umniß, die<lb/>
er &#x017F;ich doch immer zum Gewi&#x017F;&#x017F;en gemacht ha&#x0364;tte, &#x017F;ondern<lb/>
durch die Macht der Um&#x017F;ta&#x0364;nde, gegen die &#x017F;ein Wider¬<lb/>
&#x017F;pruch nicht fehlte, &#x017F;ah er &#x017F;ich von allem Zwange be¬<lb/>
freit, den &#x017F;eine Be&#x017F;timmung ihm auferlegte, die medi¬<lb/>
zini&#x017F;chen Vorle&#x017F;ungen, vor denen er &#x017F;ich fu&#x0364;rchtete, und<lb/>
denen er &#x017F;ich endlich um &#x017F;o &#x017F;ta&#x0364;rker hingeben mußte, je<lb/>
la&#x0364;nger er &#x017F;ie bisher gemieden hatte, wurden gleich<lb/>
allen u&#x0364;brigen nicht gehalten, ihn konnte nicht der ge¬<lb/>
ring&#x017F;te Vorwurf treffen, daß er &#x017F;ie nicht be&#x017F;uchte; an<lb/>
Fleiß und Eifer andrer Art ließ er es aber nicht mangeln,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0148] um hoffen zu duͤrfen, daß aller Verluſt bald wieder eingebracht ſein werde. Die vielen weichlichen Empfin¬ dungen und edlen Verhaͤltniſſe, welche er in ſeinen Ro¬ manen durcharbeitet und ausgelegt hatte, waren bei ihm ſelbſt, vielleicht eben wegen des ſteten Aufwandes und Verbrauchs, jetzt in geringem Vorrathe zu ſpuͤren, er nahm alles ziemlich hart und plump, und wollte die Zaͤrtlichkeit fuͤr ſeinen Freund Sander, deſſen traurige Gemuͤthskrankheit ich ihm ſchilderte, nicht ſonderlich auf¬ kommen laſſen. Als preußiſcher Patriot dagegen zeigte er ſeine Eigenheit in dem Bekenntniß, daß er ſich auch unwahre Siegsnachrichten mit Vergnuͤgen erzaͤhlen laſſe, und bei dem beſtimmten Vorauswiſſen, man luͤge ihm was vor, ſeine Begierde weiter zu hoͤren doch nicht geſchwaͤcht wurde! Harſcher lebte in dieſer halliſchen Zeit ſeine ver¬ gnuͤgteſten Tage; nicht durch eigne Verſaͤumniß, die er ſich doch immer zum Gewiſſen gemacht haͤtte, ſondern durch die Macht der Umſtaͤnde, gegen die ſein Wider¬ ſpruch nicht fehlte, ſah er ſich von allem Zwange be¬ freit, den ſeine Beſtimmung ihm auferlegte, die medi¬ ziniſchen Vorleſungen, vor denen er ſich fuͤrchtete, und denen er ſich endlich um ſo ſtaͤrker hingeben mußte, je laͤnger er ſie bisher gemieden hatte, wurden gleich allen uͤbrigen nicht gehalten, ihn konnte nicht der ge¬ ringſte Vorwurf treffen, daß er ſie nicht beſuchte; an Fleiß und Eifer andrer Art ließ er es aber nicht mangeln,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/148
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/148>, abgerufen am 22.11.2024.