punkt, auf welchen er sie zu erheben wünschte, gleich durch die Wahl des Textes andeutete, und über die Worte des Apostels Paulus predigte: "Ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht Alle, die daran glauben." Man hörte ihn aufmerksam und ehrerbietig an, und versprach sich, diese würdige Unterhaltung fortzusetzen, in welcher wir näheren Jünger eine segenreiche Kraft schon lebendiger verspürten. In der That hatte die Sache guten Fortgang, und das religiöse Element, auf dessen Hervorrufung Schleiermacher seine ganze Kraft richtete, gewann mehr und mehr Boden, indem auch die hierfür empfänglichen Gemüther sich eifriger heranzogen, und die blos aus Bildung oder Neugier zuhörenden mehr und mehr abfielen.
Ich versäumte diese Vorträge nie, wiewohl mich kein eigentlich religiöses Bedürfniß zu ihnen zog. Ich wüßte keinen Abschnitt meines Lebens, in welchem ich der Innigkeit frommer Empfindungen ganz entbehrt hätte, ein geheimes Erkennen und Verehren der gött¬ lichen Macht und Liebe hatte mich nie verlassen; ich führte meinen Gnadenbrief, um hier so zu sprechen, wenn auch noch so zusammengedrückt und zerknittert, stets bei mir, und er konnte jeden Augenblick wieder entfaltet werden. Allein keine meiner Beziehungen zur Frömmigkeit hatte bis dahin einer Kirche sich wahr¬ haft verknüpfen können; die protestantische schien den
8 *
punkt, auf welchen er ſie zu erheben wuͤnſchte, gleich durch die Wahl des Textes andeutete, und uͤber die Worte des Apoſtels Paulus predigte: „Ich ſchaͤme mich des Evangelii von Chriſto nicht; denn es iſt eine Kraft Gottes, die da ſelig macht Alle, die daran glauben.“ Man hoͤrte ihn aufmerkſam und ehrerbietig an, und verſprach ſich, dieſe wuͤrdige Unterhaltung fortzuſetzen, in welcher wir naͤheren Juͤnger eine ſegenreiche Kraft ſchon lebendiger verſpuͤrten. In der That hatte die Sache guten Fortgang, und das religioͤſe Element, auf deſſen Hervorrufung Schleiermacher ſeine ganze Kraft richtete, gewann mehr und mehr Boden, indem auch die hierfuͤr empfaͤnglichen Gemuͤther ſich eifriger heranzogen, und die blos aus Bildung oder Neugier zuhoͤrenden mehr und mehr abfielen.
Ich verſaͤumte dieſe Vortraͤge nie, wiewohl mich kein eigentlich religioͤſes Beduͤrfniß zu ihnen zog. Ich wuͤßte keinen Abſchnitt meines Lebens, in welchem ich der Innigkeit frommer Empfindungen ganz entbehrt haͤtte, ein geheimes Erkennen und Verehren der goͤtt¬ lichen Macht und Liebe hatte mich nie verlaſſen; ich fuͤhrte meinen Gnadenbrief, um hier ſo zu ſprechen, wenn auch noch ſo zuſammengedruͤckt und zerknittert, ſtets bei mir, und er konnte jeden Augenblick wieder entfaltet werden. Allein keine meiner Beziehungen zur Froͤmmigkeit hatte bis dahin einer Kirche ſich wahr¬ haft verknuͤpfen koͤnnen; die proteſtantiſche ſchien den
8 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0129"n="115"/>
punkt, auf welchen er ſie zu erheben wuͤnſchte, gleich<lb/>
durch die Wahl des Textes andeutete, und uͤber die<lb/>
Worte des Apoſtels Paulus predigte: „Ich ſchaͤme mich<lb/>
des Evangelii von Chriſto nicht; denn es iſt eine Kraft<lb/>
Gottes, die da ſelig macht Alle, die daran glauben.“<lb/>
Man hoͤrte ihn aufmerkſam und ehrerbietig an, und<lb/>
verſprach ſich, dieſe wuͤrdige Unterhaltung fortzuſetzen,<lb/>
in welcher wir naͤheren Juͤnger eine ſegenreiche Kraft<lb/>ſchon lebendiger verſpuͤrten. In der That hatte die<lb/>
Sache guten Fortgang, und das religioͤſe Element,<lb/>
auf deſſen Hervorrufung Schleiermacher ſeine ganze<lb/>
Kraft richtete, gewann mehr und mehr Boden, indem<lb/>
auch die hierfuͤr empfaͤnglichen Gemuͤther ſich eifriger<lb/>
heranzogen, und die blos aus Bildung oder Neugier<lb/>
zuhoͤrenden mehr und mehr abfielen.</p><lb/><p>Ich verſaͤumte dieſe Vortraͤge nie, wiewohl mich<lb/>
kein eigentlich religioͤſes Beduͤrfniß zu ihnen zog. Ich<lb/>
wuͤßte keinen Abſchnitt meines Lebens, in welchem ich<lb/>
der Innigkeit frommer Empfindungen ganz entbehrt<lb/>
haͤtte, ein geheimes Erkennen und Verehren der goͤtt¬<lb/>
lichen Macht und Liebe hatte mich nie verlaſſen; ich<lb/>
fuͤhrte meinen Gnadenbrief, um hier ſo zu ſprechen,<lb/>
wenn auch noch ſo zuſammengedruͤckt und zerknittert,<lb/>ſtets bei mir, und er konnte jeden Augenblick wieder<lb/>
entfaltet werden. Allein keine meiner Beziehungen zur<lb/>
Froͤmmigkeit hatte bis dahin einer Kirche ſich wahr¬<lb/>
haft verknuͤpfen koͤnnen; die proteſtantiſche ſchien den<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#b">8</hi> *<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[115/0129]
punkt, auf welchen er ſie zu erheben wuͤnſchte, gleich
durch die Wahl des Textes andeutete, und uͤber die
Worte des Apoſtels Paulus predigte: „Ich ſchaͤme mich
des Evangelii von Chriſto nicht; denn es iſt eine Kraft
Gottes, die da ſelig macht Alle, die daran glauben.“
Man hoͤrte ihn aufmerkſam und ehrerbietig an, und
verſprach ſich, dieſe wuͤrdige Unterhaltung fortzuſetzen,
in welcher wir naͤheren Juͤnger eine ſegenreiche Kraft
ſchon lebendiger verſpuͤrten. In der That hatte die
Sache guten Fortgang, und das religioͤſe Element,
auf deſſen Hervorrufung Schleiermacher ſeine ganze
Kraft richtete, gewann mehr und mehr Boden, indem
auch die hierfuͤr empfaͤnglichen Gemuͤther ſich eifriger
heranzogen, und die blos aus Bildung oder Neugier
zuhoͤrenden mehr und mehr abfielen.
Ich verſaͤumte dieſe Vortraͤge nie, wiewohl mich
kein eigentlich religioͤſes Beduͤrfniß zu ihnen zog. Ich
wuͤßte keinen Abſchnitt meines Lebens, in welchem ich
der Innigkeit frommer Empfindungen ganz entbehrt
haͤtte, ein geheimes Erkennen und Verehren der goͤtt¬
lichen Macht und Liebe hatte mich nie verlaſſen; ich
fuͤhrte meinen Gnadenbrief, um hier ſo zu ſprechen,
wenn auch noch ſo zuſammengedruͤckt und zerknittert,
ſtets bei mir, und er konnte jeden Augenblick wieder
entfaltet werden. Allein keine meiner Beziehungen zur
Froͤmmigkeit hatte bis dahin einer Kirche ſich wahr¬
haft verknuͤpfen koͤnnen; die proteſtantiſche ſchien den
8 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/129>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.