Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

allem unsre Bewunderung und unser Zutrauen anzu¬
bringen strebten, lieb sein konnte. Besonders war
Schleiermacher ganz wider unsre Erwartung, ohne daß
dies jedoch der großen Verehrung, die wir für ihn
hegten, Abbruch that, denn was er der Einbildungskraft
nahm, ersetzte er durch klaren, leuchtenden Verstand.
Die Frauen des Hauses huldigten ihm sehr, und man
widersprach ihm nicht leicht, welches desto häufiger
Andern widerfuhr, indem besonders Reichardt seine
Nächsten auch wohl in Dingen, worin sie ihn übersahen,
zu berichtigen liebte.

Schleiermacher und Steffens luden uns zu ihren
Gesellschaften ein, wozu jeder von ihnen einen bestimm¬
ten Abend in der Woche ausersehen hatte. Wir kamen
dadurch sogleich in ein näheres Vernehmen mit diesen
Lehrern, denen uns anzuschließen wir die entschiedene
Neigung auch in jeder Weise darlegten. Nicht an fest¬
gesetzten Tagen, aber zuweilen, nach Gunst und Ge¬
legenheit, lud uns auch Wolf zu sich, und Haus und
Garten von Reichardt standen fast jederzeit dem Besuch
eröffnet. Von allen diesen Beziehungen hatte sich gleich
anfangs Neander hartnäckig zurückgehalten, und seine
zum starren Trotz gewordene Schüchternheit war durch
kein Zureden zu überwinden. Er machte die nothdürf¬
tigen Besuche bei den Professoren, deren Vorlesungen
er zu hören dachte, ließ sich mit ein paar jungen Theo¬
logen bekannt werden, die hinter dem Sonderling einige

allem unſre Bewunderung und unſer Zutrauen anzu¬
bringen ſtrebten, lieb ſein konnte. Beſonders war
Schleiermacher ganz wider unſre Erwartung, ohne daß
dies jedoch der großen Verehrung, die wir fuͤr ihn
hegten, Abbruch that, denn was er der Einbildungskraft
nahm, erſetzte er durch klaren, leuchtenden Verſtand.
Die Frauen des Hauſes huldigten ihm ſehr, und man
widerſprach ihm nicht leicht, welches deſto haͤufiger
Andern widerfuhr, indem beſonders Reichardt ſeine
Naͤchſten auch wohl in Dingen, worin ſie ihn uͤberſahen,
zu berichtigen liebte.

Schleiermacher und Steffens luden uns zu ihren
Geſellſchaften ein, wozu jeder von ihnen einen beſtimm¬
ten Abend in der Woche auserſehen hatte. Wir kamen
dadurch ſogleich in ein naͤheres Vernehmen mit dieſen
Lehrern, denen uns anzuſchließen wir die entſchiedene
Neigung auch in jeder Weiſe darlegten. Nicht an feſt¬
geſetzten Tagen, aber zuweilen, nach Gunſt und Ge¬
legenheit, lud uns auch Wolf zu ſich, und Haus und
Garten von Reichardt ſtanden faſt jederzeit dem Beſuch
eroͤffnet. Von allen dieſen Beziehungen hatte ſich gleich
anfangs Neander hartnaͤckig zuruͤckgehalten, und ſeine
zum ſtarren Trotz gewordene Schuͤchternheit war durch
kein Zureden zu uͤberwinden. Er machte die nothduͤrf¬
tigen Beſuche bei den Profeſſoren, deren Vorleſungen
er zu hoͤren dachte, ließ ſich mit ein paar jungen Theo¬
logen bekannt werden, die hinter dem Sonderling einige

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0107" n="93"/>
allem un&#x017F;re Bewunderung und un&#x017F;er Zutrauen anzu¬<lb/>
bringen &#x017F;trebten, lieb &#x017F;ein konnte. Be&#x017F;onders war<lb/>
Schleiermacher ganz wider un&#x017F;re Erwartung, ohne daß<lb/>
dies jedoch der großen Verehrung, die wir fu&#x0364;r ihn<lb/>
hegten, Abbruch that, denn was er der Einbildungskraft<lb/>
nahm, er&#x017F;etzte er durch klaren, leuchtenden Ver&#x017F;tand.<lb/>
Die Frauen des Hau&#x017F;es huldigten ihm &#x017F;ehr, und man<lb/>
wider&#x017F;prach ihm nicht leicht, welches de&#x017F;to ha&#x0364;ufiger<lb/>
Andern widerfuhr, indem be&#x017F;onders Reichardt &#x017F;eine<lb/>
Na&#x0364;ch&#x017F;ten auch wohl in Dingen, worin &#x017F;ie ihn u&#x0364;ber&#x017F;ahen,<lb/>
zu berichtigen liebte.</p><lb/>
          <p>Schleiermacher und Steffens luden uns zu ihren<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften ein, wozu jeder von ihnen einen be&#x017F;timm¬<lb/>
ten Abend in der Woche auser&#x017F;ehen hatte. Wir kamen<lb/>
dadurch &#x017F;ogleich in ein na&#x0364;heres Vernehmen mit die&#x017F;en<lb/>
Lehrern, denen uns anzu&#x017F;chließen wir die ent&#x017F;chiedene<lb/>
Neigung auch in jeder Wei&#x017F;e darlegten. Nicht an fe&#x017F;<lb/>
ge&#x017F;etzten Tagen, aber zuweilen, nach Gun&#x017F;t und Ge¬<lb/>
legenheit, lud uns auch Wolf zu &#x017F;ich, und Haus und<lb/>
Garten von Reichardt &#x017F;tanden fa&#x017F;t jederzeit dem Be&#x017F;uch<lb/>
ero&#x0364;ffnet. Von allen die&#x017F;en Beziehungen hatte &#x017F;ich gleich<lb/>
anfangs Neander hartna&#x0364;ckig zuru&#x0364;ckgehalten, und &#x017F;eine<lb/>
zum &#x017F;tarren Trotz gewordene Schu&#x0364;chternheit war durch<lb/>
kein Zureden zu u&#x0364;berwinden. Er machte die nothdu&#x0364;rf¬<lb/>
tigen Be&#x017F;uche bei den Profe&#x017F;&#x017F;oren, deren Vorle&#x017F;ungen<lb/>
er zu ho&#x0364;ren dachte, ließ &#x017F;ich mit ein paar jungen Theo¬<lb/>
logen bekannt werden, die hinter dem Sonderling einige<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0107] allem unſre Bewunderung und unſer Zutrauen anzu¬ bringen ſtrebten, lieb ſein konnte. Beſonders war Schleiermacher ganz wider unſre Erwartung, ohne daß dies jedoch der großen Verehrung, die wir fuͤr ihn hegten, Abbruch that, denn was er der Einbildungskraft nahm, erſetzte er durch klaren, leuchtenden Verſtand. Die Frauen des Hauſes huldigten ihm ſehr, und man widerſprach ihm nicht leicht, welches deſto haͤufiger Andern widerfuhr, indem beſonders Reichardt ſeine Naͤchſten auch wohl in Dingen, worin ſie ihn uͤberſahen, zu berichtigen liebte. Schleiermacher und Steffens luden uns zu ihren Geſellſchaften ein, wozu jeder von ihnen einen beſtimm¬ ten Abend in der Woche auserſehen hatte. Wir kamen dadurch ſogleich in ein naͤheres Vernehmen mit dieſen Lehrern, denen uns anzuſchließen wir die entſchiedene Neigung auch in jeder Weiſe darlegten. Nicht an feſt¬ geſetzten Tagen, aber zuweilen, nach Gunſt und Ge¬ legenheit, lud uns auch Wolf zu ſich, und Haus und Garten von Reichardt ſtanden faſt jederzeit dem Beſuch eroͤffnet. Von allen dieſen Beziehungen hatte ſich gleich anfangs Neander hartnaͤckig zuruͤckgehalten, und ſeine zum ſtarren Trotz gewordene Schuͤchternheit war durch kein Zureden zu uͤberwinden. Er machte die nothduͤrf¬ tigen Beſuche bei den Profeſſoren, deren Vorleſungen er zu hoͤren dachte, ließ ſich mit ein paar jungen Theo¬ logen bekannt werden, die hinter dem Sonderling einige

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/107
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/107>, abgerufen am 23.11.2024.