In der ersten Tagesfrühe des 21. Aprils fuhren wir in Halle ein, Rasseln und Stöße des Wagens auf dem holprigen Steinpflaster entrissen uns der Schlaftrunken¬ heit, und die alterthümliche, noch in tiefer Ruhe liegende Stadt mit ihren stillen Straßen und Fenstern sprach uns Ermunterte geisterhaft an. Ich fühlte das ganze Gewicht dieses Augenblickes, der mich in ein neues Leben eingehen ließ, das ich längst ersehnt und gehofft hatte, und in seiner Erfüllung noch bezweifelte! Mir war zu Muth, als beträte ich ein Heiligthum, eine geweihte Stätte. Die Stille hatte etwas Ahndungs¬ volles und Schauerliches, sie verhüllte ein unendliches Leben, der Jugend und des Geistes, das mit der stei¬ genden Sonne sogleich neben allem Treiben der städti¬ schen Welt in tausendfachen Regungen zu erwachen begann. Unser Freund Löbell, der von Hamburg schon früher unsre Aufträge empfangen hatte, war schnell
Die Univerſität.
Halle, 1806. 1807.
In der erſten Tagesfruͤhe des 21. Aprils fuhren wir in Halle ein, Raſſeln und Stoͤße des Wagens auf dem holprigen Steinpflaſter entriſſen uns der Schlaftrunken¬ heit, und die alterthuͤmliche, noch in tiefer Ruhe liegende Stadt mit ihren ſtillen Straßen und Fenſtern ſprach uns Ermunterte geiſterhaft an. Ich fuͤhlte das ganze Gewicht dieſes Augenblickes, der mich in ein neues Leben eingehen ließ, das ich laͤngſt erſehnt und gehofft hatte, und in ſeiner Erfuͤllung noch bezweifelte! Mir war zu Muth, als betraͤte ich ein Heiligthum, eine geweihte Staͤtte. Die Stille hatte etwas Ahndungs¬ volles und Schauerliches, ſie verhuͤllte ein unendliches Leben, der Jugend und des Geiſtes, das mit der ſtei¬ genden Sonne ſogleich neben allem Treiben der ſtaͤdti¬ ſchen Welt in tauſendfachen Regungen zu erwachen begann. Unſer Freund Loͤbell, der von Hamburg ſchon fruͤher unſre Auftraͤge empfangen hatte, war ſchnell
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Die Univerſität.
Halle, 1806. 1807.
In der erſten Tagesfruͤhe des 21. Aprils fuhren wir
in Halle ein, Raſſeln und Stoͤße des Wagens auf dem
holprigen Steinpflaſter entriſſen uns der Schlaftrunken¬
heit, und die alterthuͤmliche, noch in tiefer Ruhe liegende
Stadt mit ihren ſtillen Straßen und Fenſtern ſprach
uns Ermunterte geiſterhaft an. Ich fuͤhlte das ganze
Gewicht dieſes Augenblickes, der mich in ein neues
Leben eingehen ließ, das ich laͤngſt erſehnt und gehofft
hatte, und in ſeiner Erfuͤllung noch bezweifelte! Mir
war zu Muth, als betraͤte ich ein Heiligthum, eine
geweihte Staͤtte. Die Stille hatte etwas Ahndungs¬
volles und Schauerliches, ſie verhuͤllte ein unendliches
Leben, der Jugend und des Geiſtes, das mit der ſtei¬
genden Sonne ſogleich neben allem Treiben der ſtaͤdti¬
ſchen Welt in tauſendfachen Regungen zu erwachen
begann. Unſer Freund Loͤbell, der von Hamburg ſchon
fruͤher unſre Auftraͤge empfangen hatte, war ſchnell
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. [86]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/100>, abgerufen am 27.11.2024.
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