Ich bin wieder auf Reisen! Es ist eine schöne Existenz, liebe Freundin, so von Ort zu Ort zu den besten, den denkend¬ sten Menschen sich zu nähern! In dem weiten Gebiete der Wissen¬ schaften von Gegenstand zu Gegenstand mit ihnen fortzugehn; von dem, was jeder über jeden dann das Beste gedacht, gefühlt oder gelernt hat, sich gegenseitig zu entbinden; in Lieblingsideen, in seltnen Gesichtspunkten, sich einig zu begegnen; sich anzu¬ schließen, liebzugewinnen, liebgewonnen zu werden, und so mit den Vortrefflichsten seines Zeitalters gleichsam eine unsichtbare Kirche zu stiften! -- Da haben Sie, was ich als Nebensache treibe, von der Hauptsache in der künftigen Fortsetzung meines großen Briefes!
Wenn ich nur Allen so wohl machen könnte, wie mir ist! Wenn ich nur Sie recht wohl wüßte! -- Aber ich bin über¬ zeugt, die sanfte Freundin der Ruhe und des stillen Genusses wird in diesen stürmischen Zeiten manche bange Stunde haben! -- Aber nur getrost, liebe Frau Base! nur nicht zu finster ge¬ sehn! Glauben Sie mir, wir leiden weit mehr von den Uebeln, die wir nie erfahren, als an denen, die uns wirklich befallen! Denken Sie nicht daran, was es wohl geben würde, wenn die bösen Nachbarn einmal nach Karlsruhe kämen, sondern daran, was Sie wohl empfinden würden, wenn unerwartet Ihr Pflege¬ sohn einmal wieder vor Ihnen stände. Ich will nicht vorberei¬ ten, um Sie, wenn's kömmt, angenehm überraschen zu können, und wollte, daß ich dessen eben so gewiß wäre, als ich gewiß bin, daß, wenn die andern kommen sollten, sie sich artiger und gebührlicher aufführen würden, als Sie wohl denken.
I. E. Bollmann.
Ich bin wieder auf Reiſen! Es iſt eine ſchoͤne Exiſtenz, liebe Freundin, ſo von Ort zu Ort zu den beſten, den denkend¬ ſten Menſchen ſich zu naͤhern! In dem weiten Gebiete der Wiſſen¬ ſchaften von Gegenſtand zu Gegenſtand mit ihnen fortzugehn; von dem, was jeder uͤber jeden dann das Beſte gedacht, gefuͤhlt oder gelernt hat, ſich gegenſeitig zu entbinden; in Lieblingsideen, in ſeltnen Geſichtspunkten, ſich einig zu begegnen; ſich anzu¬ ſchließen, liebzugewinnen, liebgewonnen zu werden, und ſo mit den Vortrefflichſten ſeines Zeitalters gleichſam eine unſichtbare Kirche zu ſtiften! — Da haben Sie, was ich als Nebenſache treibe, von der Hauptſache in der kuͤnftigen Fortſetzung meines großen Briefes!
Wenn ich nur Allen ſo wohl machen koͤnnte, wie mir iſt! Wenn ich nur Sie recht wohl wuͤßte! — Aber ich bin uͤber¬ zeugt, die ſanfte Freundin der Ruhe und des ſtillen Genuſſes wird in dieſen ſtuͤrmiſchen Zeiten manche bange Stunde haben! — Aber nur getroſt, liebe Frau Baſe! nur nicht zu finſter ge¬ ſehn! Glauben Sie mir, wir leiden weit mehr von den Uebeln, die wir nie erfahren, als an denen, die uns wirklich befallen! Denken Sie nicht daran, was es wohl geben wuͤrde, wenn die boͤſen Nachbarn einmal nach Karlsruhe kaͤmen, ſondern daran, was Sie wohl empfinden wuͤrden, wenn unerwartet Ihr Pflege¬ ſohn einmal wieder vor Ihnen ſtaͤnde. Ich will nicht vorberei¬ ten, um Sie, wenn's koͤmmt, angenehm uͤberraſchen zu koͤnnen, und wollte, daß ich deſſen eben ſo gewiß waͤre, als ich gewiß bin, daß, wenn die andern kommen ſollten, ſie ſich artiger und gebuͤhrlicher auffuͤhren wuͤrden, als Sie wohl denken.
I. E. Bollmann.
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Ich bin wieder auf Reiſen! Es iſt eine ſchoͤne Exiſtenz,
liebe Freundin, ſo von Ort zu Ort zu den beſten, den denkend¬
ſten Menſchen ſich zu naͤhern! In dem weiten Gebiete der Wiſſen¬
ſchaften von Gegenſtand zu Gegenſtand mit ihnen fortzugehn;
von dem, was jeder uͤber jeden dann das Beſte gedacht, gefuͤhlt
oder gelernt hat, ſich gegenſeitig zu entbinden; in Lieblingsideen,
in ſeltnen Geſichtspunkten, ſich einig zu begegnen; ſich anzu¬
ſchließen, liebzugewinnen, liebgewonnen zu werden, und ſo mit
den Vortrefflichſten ſeines Zeitalters gleichſam eine unſichtbare
Kirche zu ſtiften! — Da haben Sie, was ich als Nebenſache
treibe, von der Hauptſache in der kuͤnftigen Fortſetzung meines
großen Briefes!
Wenn ich nur Allen ſo wohl machen koͤnnte, wie mir iſt!
Wenn ich nur Sie recht wohl wuͤßte! — Aber ich bin uͤber¬
zeugt, die ſanfte Freundin der Ruhe und des ſtillen Genuſſes
wird in dieſen ſtuͤrmiſchen Zeiten manche bange Stunde haben!
— Aber nur getroſt, liebe Frau Baſe! nur nicht zu finſter ge¬
ſehn! Glauben Sie mir, wir leiden weit mehr von den Uebeln,
die wir nie erfahren, als an denen, die uns wirklich befallen!
Denken Sie nicht daran, was es wohl geben wuͤrde, wenn die
boͤſen Nachbarn einmal nach Karlsruhe kaͤmen, ſondern daran,
was Sie wohl empfinden wuͤrden, wenn unerwartet Ihr Pflege¬
ſohn einmal wieder vor Ihnen ſtaͤnde. Ich will nicht vorberei¬
ten, um Sie, wenn's koͤmmt, angenehm uͤberraſchen zu koͤnnen,
und wollte, daß ich deſſen eben ſo gewiß waͤre, als ich gewiß
bin, daß, wenn die andern kommen ſollten, ſie ſich artiger und
gebuͤhrlicher auffuͤhren wuͤrden, als Sie wohl denken.
I. E. Bollmann.
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/86>, abgerufen am 24.11.2024.
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