über die Dinge mit viel Geist sprechen, sie vertiefen sich daher blitzschnell in die feinsten, entlegensten Verhältnisse derselben, sehn darüber die viel wesentlichern nicht, welche dicht vor ihren Augen liegen, und schließen meistens falsch. Es fehlt ihnen überdies Festigkeit und Ausdauer. Sie sind übrigens gutherzig und han¬ deln selten anders schlecht, als aus Schwäche. Während meinem Aufenthalte in Kensington, wo sich in der letzten Zeit alles, was vormals in Paris den glänzendsten Zirkel ausmachte, versammelte, hab' ich sehr viel Gelegenheit gehabt, Belege zu obigen Schil¬ derungen zu finden.-- Sie glauben nicht, liebe Frau Base, wie verschieden von jenen Menschen die Engländer in ihrem Karakter und Wesen sind.--
Narbonne überhäufte mich unterwegs mit Freundschaftsver¬ sicherungen, mit wiederholten Aeußerungen seiner Dankbarkeit, mit einem Strom von schönen Worten, die ich bewunderte, aber wobei ich mich unwillkürlich zurückzog. Ich sah darin nur die Bestrebungen, eine vermeintliche Pflicht zu erfüllen -- aber es war darin nichts Herziges, -- Narbonne kannte mich nicht; er konnte mich weder schätzen noch lieben. Also war ich während der ganzen Reise zurückgezogen und ernst, und zuweilen heiter über den glücklichen Ausgang des Wagstücks! --
Unter dieser Stimmung kamen wir nach Kensington, und logirten uns ein bei Madame de la Chatre. Diese lag im Bett' und war krank; ich verschrieb ihr was, und suchte mich um die Wirthin verdient zu machen. Sie wurde wieder besser, und schenkte mir nachher ein Dutzend der feinsten englischen Schnupf¬ tücher für meine Bemühungen. Ich macht' ihr ein Gegengeschenk mit einer feinen englischen Scheere, deren sie bedurfte. Narbonne fuhr fort in seinem Betragen wie unterwegs. Ich sagt' ihm geradezu: "Sie sind zu gut, Sie machen mich beklommen; Sie kennen mich noch nicht; Sie wissen noch nicht, ob ich Freundschaft
uͤber die Dinge mit viel Geiſt ſprechen, ſie vertiefen ſich daher blitzſchnell in die feinſten, entlegenſten Verhaͤltniſſe derſelben, ſehn daruͤber die viel weſentlichern nicht, welche dicht vor ihren Augen liegen, und ſchließen meiſtens falſch. Es fehlt ihnen uͤberdies Feſtigkeit und Ausdauer. Sie ſind uͤbrigens gutherzig und han¬ deln ſelten anders ſchlecht, als aus Schwaͤche. Waͤhrend meinem Aufenthalte in Kenſington, wo ſich in der letzten Zeit alles, was vormals in Paris den glaͤnzendſten Zirkel ausmachte, verſammelte, hab' ich ſehr viel Gelegenheit gehabt, Belege zu obigen Schil¬ derungen zu finden.— Sie glauben nicht, liebe Frau Baſe, wie verſchieden von jenen Menſchen die Englaͤnder in ihrem Karakter und Weſen ſind.—
Narbonne uͤberhaͤufte mich unterwegs mit Freundſchaftsver¬ ſicherungen, mit wiederholten Aeußerungen ſeiner Dankbarkeit, mit einem Strom von ſchoͤnen Worten, die ich bewunderte, aber wobei ich mich unwillkuͤrlich zuruͤckzog. Ich ſah darin nur die Beſtrebungen, eine vermeintliche Pflicht zu erfuͤllen — aber es war darin nichts Herziges, — Narbonne kannte mich nicht; er konnte mich weder ſchaͤtzen noch lieben. Alſo war ich waͤhrend der ganzen Reiſe zuruͤckgezogen und ernſt, und zuweilen heiter uͤber den gluͤcklichen Ausgang des Wagſtuͤcks! —
Unter dieſer Stimmung kamen wir nach Kenſington, und logirten uns ein bei Madame de la Châtre. Dieſe lag im Bett' und war krank; ich verſchrieb ihr was, und ſuchte mich um die Wirthin verdient zu machen. Sie wurde wieder beſſer, und ſchenkte mir nachher ein Dutzend der feinſten engliſchen Schnupf¬ tuͤcher fuͤr meine Bemuͤhungen. Ich macht' ihr ein Gegengeſchenk mit einer feinen engliſchen Scheere, deren ſie bedurfte. Narbonne fuhr fort in ſeinem Betragen wie unterwegs. Ich ſagt' ihm geradezu: „Sie ſind zu gut, Sie machen mich beklommen; Sie kennen mich noch nicht; Sie wiſſen noch nicht, ob ich Freundſchaft
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uͤber die Dinge mit viel Geiſt ſprechen, ſie vertiefen ſich daher
blitzſchnell in die feinſten, entlegenſten Verhaͤltniſſe derſelben, ſehn
daruͤber die viel weſentlichern nicht, welche dicht vor ihren Augen
liegen, und ſchließen meiſtens falſch. Es fehlt ihnen uͤberdies
Feſtigkeit und Ausdauer. Sie ſind uͤbrigens gutherzig und han¬
deln ſelten anders ſchlecht, als aus Schwaͤche. Waͤhrend meinem
Aufenthalte in Kenſington, wo ſich in der letzten Zeit alles, was
vormals in Paris den glaͤnzendſten Zirkel ausmachte, verſammelte,
hab' ich ſehr viel Gelegenheit gehabt, Belege zu obigen Schil¬
derungen zu finden.— Sie glauben nicht, liebe Frau Baſe, wie
verſchieden von jenen Menſchen die Englaͤnder in ihrem Karakter
und Weſen ſind.—
Narbonne uͤberhaͤufte mich unterwegs mit Freundſchaftsver¬
ſicherungen, mit wiederholten Aeußerungen ſeiner Dankbarkeit,
mit einem Strom von ſchoͤnen Worten, die ich bewunderte, aber
wobei ich mich unwillkuͤrlich zuruͤckzog. Ich ſah darin nur die
Beſtrebungen, eine vermeintliche Pflicht zu erfuͤllen — aber es
war darin nichts Herziges, — Narbonne kannte mich nicht; er
konnte mich weder ſchaͤtzen noch lieben. Alſo war ich waͤhrend
der ganzen Reiſe zuruͤckgezogen und ernſt, und zuweilen heiter
uͤber den gluͤcklichen Ausgang des Wagſtuͤcks! —
Unter dieſer Stimmung kamen wir nach Kenſington, und
logirten uns ein bei Madame de la Châtre. Dieſe lag im Bett'
und war krank; ich verſchrieb ihr was, und ſuchte mich um die
Wirthin verdient zu machen. Sie wurde wieder beſſer, und
ſchenkte mir nachher ein Dutzend der feinſten engliſchen Schnupf¬
tuͤcher fuͤr meine Bemuͤhungen. Ich macht' ihr ein Gegengeſchenk
mit einer feinen engliſchen Scheere, deren ſie bedurfte. Narbonne
fuhr fort in ſeinem Betragen wie unterwegs. Ich ſagt' ihm
geradezu: „Sie ſind zu gut, Sie machen mich beklommen; Sie
kennen mich noch nicht; Sie wiſſen noch nicht, ob ich Freundſchaft
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/53>, abgerufen am 24.11.2024.
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