finden wollte nicht gelingen. Endlich kam ein Zufall zu Hülfe, und ein fleißiger Leser, der aus dem wirren Feuerwerke der Tageslitteratur zu dem stillen Glanze der alten probehaltigen Schriften, zu dem ewig Werth¬ vollen, Leben- und Geist-Erfüllten, zurückgekehrt war, brachte den freudigen Aufschluß, daß jener Spruch in der Briefsammlung der Frau von Sevigne vorkomme, und zwar von dem Grafen von Bussy-Rabutin zuerst angeregt (Brief vom 3. Julius 1655), von ihr aber dann aufgenommen und fortgeführt. Wir sehen aus dieser unerwarteten Entdeckung auch ein Streiflicht auf Goethe's Lektüre fallen, und was für edle, fruchtbare und anmuthvolle Schriften er zur Erheiterung seiner alten Tage wählen und ausbeuten mochte!
Aehnliche Schwierigkeit verursachten zwei französische Zeilen, welche gegen Ende des Buches Rahel ange¬ führt sind, und dort in hohen, eigenthümlichen Werth gestellt werden. Es sind die beiden Alexandriner:
"Il est assez puni par son sort rigoureux, Et c'est etre innocent que d'etre malheureux."
Die gewiegtesten Kenner französischer Litteratur, fran¬ zösische Schriftsteller in Paris selbst, welche die Frage vernahmen und sie zu beantworten nun die eigensinnigste Beharrlichkeit aufboten, konnten die ursprüngliche Stelle jener Verse nicht nachweisen; sie waren in Racine, Corneille, Voltaire, Crebillon nicht zu finden, und schienen doch einem älteren und tragischen Autor ange¬
finden wollte nicht gelingen. Endlich kam ein Zufall zu Huͤlfe, und ein fleißiger Leſer, der aus dem wirren Feuerwerke der Tageslitteratur zu dem ſtillen Glanze der alten probehaltigen Schriften, zu dem ewig Werth¬ vollen, Leben- und Geiſt-Erfuͤllten, zuruͤckgekehrt war, brachte den freudigen Aufſchluß, daß jener Spruch in der Briefſammlung der Frau von Sevigné vorkomme, und zwar von dem Grafen von Buſſy-Rabutin zuerſt angeregt (Brief vom 3. Julius 1655), von ihr aber dann aufgenommen und fortgefuͤhrt. Wir ſehen aus dieſer unerwarteten Entdeckung auch ein Streiflicht auf Goethe's Lektuͤre fallen, und was fuͤr edle, fruchtbare und anmuthvolle Schriften er zur Erheiterung ſeiner alten Tage waͤhlen und ausbeuten mochte!
Aehnliche Schwierigkeit verurſachten zwei franzoͤſiſche Zeilen, welche gegen Ende des Buches Rahel ange¬ fuͤhrt ſind, und dort in hohen, eigenthuͤmlichen Werth geſtellt werden. Es ſind die beiden Alexandriner:
„Il est assez puni par son sort rigoureux, Et c'est être innocent que d'être malheureux.“
Die gewiegteſten Kenner franzoͤſiſcher Litteratur, fran¬ zoͤſiſche Schriftſteller in Paris ſelbſt, welche die Frage vernahmen und ſie zu beantworten nun die eigenſinnigſte Beharrlichkeit aufboten, konnten die urſpruͤngliche Stelle jener Verſe nicht nachweiſen; ſie waren in Racine, Corneille, Voltaire, Crebillon nicht zu finden, und ſchienen doch einem aͤlteren und tragiſchen Autor ange¬
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finden wollte nicht gelingen. Endlich kam ein Zufall
zu Huͤlfe, und ein fleißiger Leſer, der aus dem wirren
Feuerwerke der Tageslitteratur zu dem ſtillen Glanze
der alten probehaltigen Schriften, zu dem ewig Werth¬
vollen, Leben- und Geiſt-Erfuͤllten, zuruͤckgekehrt war,
brachte den freudigen Aufſchluß, daß jener Spruch in
der Briefſammlung der Frau von Sevigné vorkomme,
und zwar von dem Grafen von Buſſy-Rabutin zuerſt
angeregt (Brief vom 3. Julius 1655), von ihr aber
dann aufgenommen und fortgefuͤhrt. Wir ſehen aus
dieſer unerwarteten Entdeckung auch ein Streiflicht auf
Goethe's Lektuͤre fallen, und was fuͤr edle, fruchtbare
und anmuthvolle Schriften er zur Erheiterung ſeiner
alten Tage waͤhlen und ausbeuten mochte!
Aehnliche Schwierigkeit verurſachten zwei franzoͤſiſche
Zeilen, welche gegen Ende des Buches Rahel ange¬
fuͤhrt ſind, und dort in hohen, eigenthuͤmlichen Werth
geſtellt werden. Es ſind die beiden Alexandriner:
„Il est assez puni par son sort rigoureux,
Et c'est être innocent que d'être malheureux.“
Die gewiegteſten Kenner franzoͤſiſcher Litteratur, fran¬
zoͤſiſche Schriftſteller in Paris ſelbſt, welche die Frage
vernahmen und ſie zu beantworten nun die eigenſinnigſte
Beharrlichkeit aufboten, konnten die urſpruͤngliche Stelle
jener Verſe nicht nachweiſen; ſie waren in Racine,
Corneille, Voltaire, Crebillon nicht zu finden, und
ſchienen doch einem aͤlteren und tragiſchen Autor ange¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/515>, abgerufen am 27.11.2024.
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