"L'amour est un vrai recommenceur." Diesen Spruch liest man in Goethe's Maximen und Reflexionen, und die fremde Sprache, so wie die Anführungszeichen, lassen keinen Zweifel, daß hier nichts Eigenes, sondern, wie Goethe es nennt, "Angeeignetes", von ihm mit¬ getheilt worden. Aber woher ist der Spruch? Goethe liebt es, sich mit mancherlei Geheimniß, Räthsel und Verhüllung zu umgeben, seine klaren Gedanken oft nur in Dämmerlicht zu stellen, seine hellen Bilder zuweilen in völliges Dunkel ausgehen zu lassen. Die Scheu, Bescheidenheit, Vorsicht, oder wie man es nennen will, welche diesem Verfahren zum Grunde liegt, und ein wesentliches Element in Goethe's künstlerischer Sittlich¬ keit ist, übt einen großen Reiz auf den Leser, dem bei allem Reichthume der Andeutung noch immer ein größerer des Angedeuteten eröffnet wird, und der sich bald ge¬ wöhnt, in jedem einfachen Ausdrucke eine große Man¬ nigfaltigkeit des Lebens vorauszusetzen, die nur ent¬
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„L'amour est un vrai recommenceur.“
„L'amour est un vrai recommenceur.“ Dieſen Spruch lieſt man in Goethe's Maximen und Reflexionen, und die fremde Sprache, ſo wie die Anfuͤhrungszeichen, laſſen keinen Zweifel, daß hier nichts Eigenes, ſondern, wie Goethe es nennt, „Angeeignetes“, von ihm mit¬ getheilt worden. Aber woher iſt der Spruch? Goethe liebt es, ſich mit mancherlei Geheimniß, Raͤthſel und Verhuͤllung zu umgeben, ſeine klaren Gedanken oft nur in Daͤmmerlicht zu ſtellen, ſeine hellen Bilder zuweilen in voͤlliges Dunkel ausgehen zu laſſen. Die Scheu, Beſcheidenheit, Vorſicht, oder wie man es nennen will, welche dieſem Verfahren zum Grunde liegt, und ein weſentliches Element in Goethe's kuͤnſtleriſcher Sittlich¬ keit iſt, uͤbt einen großen Reiz auf den Leſer, dem bei allem Reichthume der Andeutung noch immer ein groͤßerer des Angedeuteten eroͤffnet wird, und der ſich bald ge¬ woͤhnt, in jedem einfachen Ausdrucke eine große Man¬ nigfaltigkeit des Lebens vorauszuſetzen, die nur ent¬
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„L' amour est un vrai recommenceur.“
„L'amour est un vrai recommenceur.“ Dieſen
Spruch lieſt man in Goethe's Maximen und Reflexionen,
und die fremde Sprache, ſo wie die Anfuͤhrungszeichen,
laſſen keinen Zweifel, daß hier nichts Eigenes, ſondern,
wie Goethe es nennt, „Angeeignetes“, von ihm mit¬
getheilt worden. Aber woher iſt der Spruch? Goethe
liebt es, ſich mit mancherlei Geheimniß, Raͤthſel und
Verhuͤllung zu umgeben, ſeine klaren Gedanken oft nur
in Daͤmmerlicht zu ſtellen, ſeine hellen Bilder zuweilen
in voͤlliges Dunkel ausgehen zu laſſen. Die Scheu,
Beſcheidenheit, Vorſicht, oder wie man es nennen will,
welche dieſem Verfahren zum Grunde liegt, und ein
weſentliches Element in Goethe's kuͤnſtleriſcher Sittlich¬
keit iſt, uͤbt einen großen Reiz auf den Leſer, dem bei
allem Reichthume der Andeutung noch immer ein groͤßerer
des Angedeuteten eroͤffnet wird, und der ſich bald ge¬
woͤhnt, in jedem einfachen Ausdrucke eine große Man¬
nigfaltigkeit des Lebens vorauszuſetzen, die nur ent¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. [499]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/513>, abgerufen am 23.11.2024.
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