den nichts wissen, so sprach Friedrich Schlegel der eitlen Bescheidenheit Hohn, so verspotteten Andre die Phili¬ sterei der Wohlthätigkeit, der Humanität, mit denen der erbärmlichste Plunderwucher getrieben wurde. Dies alles müssen wir in's Auge fassen, um die folgende Aeußerung Goethe's zu verstehen, die auch ihm von schwachen Seelen arg mißdeutet worden ist, jetzt aber wohl nur als ein neues Zeugniß seines großartigen tapfren Geistes gelten wird. Er warf einmal in einer kleinen Gesellschaft mit guter Laune die Frage auf -- wie er wohl öfters zu thun pflegte -- was doch wohl am Menschen eigentlich das Beste sei? Manche gaben mancherlei an. Endlich nannte Einer die Dankbarkeit, und unterstützte seine Meinung mit ziemlich platten Gründen. Da hielt sich Goethe nicht länger, "O Phi¬ listerpack!" rief er aus, und langsam und mit Nachdruck und Wegwerfung setzte er hinzu: "Die Dankbarkeit ist ein Laster, das man ertragen muß!" --
den nichts wiſſen, ſo ſprach Friedrich Schlegel der eitlen Beſcheidenheit Hohn, ſo verſpotteten Andre die Phili¬ ſterei der Wohlthaͤtigkeit, der Humanitaͤt, mit denen der erbaͤrmlichſte Plunderwucher getrieben wurde. Dies alles muͤſſen wir in’s Auge faſſen, um die folgende Aeußerung Goethe’s zu verſtehen, die auch ihm von ſchwachen Seelen arg mißdeutet worden iſt, jetzt aber wohl nur als ein neues Zeugniß ſeines großartigen tapfren Geiſtes gelten wird. Er warf einmal in einer kleinen Geſellſchaft mit guter Laune die Frage auf — wie er wohl oͤfters zu thun pflegte — was doch wohl am Menſchen eigentlich das Beſte ſei? Manche gaben mancherlei an. Endlich nannte Einer die Dankbarkeit, und unterſtuͤtzte ſeine Meinung mit ziemlich platten Gruͤnden. Da hielt ſich Goethe nicht laͤnger, „O Phi¬ liſterpack!” rief er aus, und langſam und mit Nachdruck und Wegwerfung ſetzte er hinzu: „Die Dankbarkeit iſt ein Laſter, das man ertragen muß!” —
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ſterei der Wohlthaͤtigkeit, der Humanitaͤt, mit denen
der erbaͤrmlichſte Plunderwucher getrieben wurde. Dies
alles muͤſſen wir in’s Auge faſſen, um die folgende
Aeußerung Goethe’s zu verſtehen, die auch ihm von
ſchwachen Seelen arg mißdeutet worden iſt, jetzt aber
wohl nur als ein neues Zeugniß ſeines großartigen
tapfren Geiſtes gelten wird. Er warf einmal in einer
kleinen Geſellſchaft mit guter Laune die Frage auf —
wie er wohl oͤfters zu thun pflegte — was doch wohl
am Menſchen eigentlich das Beſte ſei? Manche gaben
mancherlei an. Endlich nannte Einer die Dankbarkeit,
und unterſtuͤtzte ſeine Meinung mit ziemlich platten
Gruͤnden. Da hielt ſich Goethe nicht laͤnger, „O Phi¬
liſterpack!” rief er aus, und langſam und mit Nachdruck
und Wegwerfung ſetzte er hinzu: „Die Dankbarkeit
iſt ein Laſter, das man ertragen muß!” —
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/512>, abgerufen am 24.11.2024.
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