Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

unwillkürliche, sondern mit Wissen und Willen ausgeübte
sind. Daß aber Voltaire in dieser Art sich Arges zu
Schulden kommen ließ, davon wollen wir nur das eine
Beispiel anführen, wo er im Mai des Jahres 1759
an den König von Preußen so ungebührliche Scherze
gerichtet hatte, daß dieser am 10. Junius aus seinem
Hauptquartiere zu Reich-Hennersdorf ihm ernst und
scharf antwortete, und schließlich in einer Nachschrift
diesen Verweis ausdrückte: "Mais etes-vous sage a
soixante et dix ans
? Apprenez a votre age de quel
style il vous convient de m'ecrire
. Comprenez qu'il
y a des libertes permises et des impertinences in¬
tolerables aux gens de lettres et aux beaux esprits
.
Devenez enfin philosophe, c'est-a-dire raisonnable.
Puisse le ciel, qui vous a donne tant d'esprit, vous
donner du jugement a proportion
! Si cela pouvait
arriver
, vous seriez le premier homme du siecle,
et peut-etre le premier que le monde ait porte:
c'est ce que je vous souhaiti. Ainsi soit-il." Die
Zurechtweisung war in der That wohlverdient, und Vol¬
taire fühlte ihr Gewicht, doch ohne aus der Fassung zu
kommen. Was aber kann er darauf erwiedern, wie
soll er sich nun benehmen? Hier zeigt er sich in der
That bewunderungswürdig und in seiner Natur und
Rolle so fest als anmuthig! Er schreibt, nachdem er
alles Andere ruhig besprochen, am Schlusse seines näch¬
sten Briefes: "Je tombe des nues quand vous m'ecri¬

unwillkuͤrliche, ſondern mit Wiſſen und Willen ausgeuͤbte
ſind. Daß aber Voltaire in dieſer Art ſich Arges zu
Schulden kommen ließ, davon wollen wir nur das eine
Beiſpiel anfuͤhren, wo er im Mai des Jahres 1759
an den Koͤnig von Preußen ſo ungebuͤhrliche Scherze
gerichtet hatte, daß dieſer am 10. Junius aus ſeinem
Hauptquartiere zu Reich-Hennersdorf ihm ernſt und
ſcharf antwortete, und ſchließlich in einer Nachſchrift
dieſen Verweis ausdruͤckte: „Mais êtes-vous sage à
soixante et dix ans
? Apprenez à votre âge de quel
style il vous convient de m'écrire
. Comprenez qu'il
y a des libertés permises et des impertinences in¬
tolérables aux gens de lettres et aux beaux esprits
.
Devenez enfin philosophe, c'est-à-dire raisonnable.
Puisse le ciel, qui vous a donné tant d'esprit, vous
donner du jugement à proportion
! Si cela pouvait
arriver
, vous seriez le premier homme du siècle,
et peut-être le premier que le monde ait porté:
c'est ce que je vous souhaiti. Ainsi soit-il.“ Die
Zurechtweiſung war in der That wohlverdient, und Vol¬
taire fuͤhlte ihr Gewicht, doch ohne aus der Faſſung zu
kommen. Was aber kann er darauf erwiedern, wie
ſoll er ſich nun benehmen? Hier zeigt er ſich in der
That bewunderungswuͤrdig und in ſeiner Natur und
Rolle ſo feſt als anmuthig! Er ſchreibt, nachdem er
alles Andere ruhig beſprochen, am Schluſſe ſeines naͤch¬
ſten Briefes: „Je tombe des nues quand vous m'écri¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0498" n="484"/>
unwillku&#x0364;rliche, &#x017F;ondern mit Wi&#x017F;&#x017F;en und Willen ausgeu&#x0364;bte<lb/>
&#x017F;ind. Daß aber Voltaire in die&#x017F;er Art &#x017F;ich Arges zu<lb/>
Schulden kommen ließ, davon wollen wir nur das eine<lb/>
Bei&#x017F;piel anfu&#x0364;hren, wo er im Mai des Jahres <hi rendition="#b">1759</hi><lb/>
an den Ko&#x0364;nig von Preußen &#x017F;o ungebu&#x0364;hrliche Scherze<lb/>
gerichtet hatte, daß die&#x017F;er am <hi rendition="#b">10</hi>. Junius aus &#x017F;einem<lb/>
Hauptquartiere zu Reich-Hennersdorf ihm ern&#x017F;t und<lb/>
&#x017F;charf antwortete, und &#x017F;chließlich in einer Nach&#x017F;chrift<lb/>
die&#x017F;en Verweis ausdru&#x0364;ckte: <hi rendition="#aq">&#x201E;Mais êtes-vous sage à<lb/>
soixante et dix ans</hi>? <hi rendition="#aq">Apprenez à votre âge de quel<lb/>
style il vous convient de m'écrire</hi>. <hi rendition="#aq">Comprenez qu'il<lb/>
y a des libertés permises et des impertinences in¬<lb/>
tolérables aux gens de lettres et aux beaux esprits</hi>.<lb/><hi rendition="#aq">Devenez enfin philosophe</hi>, <hi rendition="#aq">c'est-à-dire raisonnable</hi>.<lb/><hi rendition="#aq">Puisse le ciel</hi>, <hi rendition="#aq">qui vous a donné tant d'esprit</hi>, <hi rendition="#aq">vous<lb/>
donner du jugement à proportion</hi>! <hi rendition="#aq">Si cela pouvait<lb/>
arriver</hi>, <hi rendition="#aq">vous seriez le premier homme du siècle</hi>,<lb/><hi rendition="#aq">et peut-être le premier que le monde ait porté</hi>:<lb/><hi rendition="#aq">c'est ce que je vous souhaiti</hi>. <hi rendition="#aq">Ainsi soit-il</hi>.&#x201C; Die<lb/>
Zurechtwei&#x017F;ung war in der That wohlverdient, und Vol¬<lb/>
taire fu&#x0364;hlte ihr Gewicht, doch ohne aus der Fa&#x017F;&#x017F;ung zu<lb/>
kommen. Was aber kann er darauf erwiedern, wie<lb/>
&#x017F;oll er &#x017F;ich nun benehmen? Hier zeigt er &#x017F;ich in der<lb/>
That bewunderungswu&#x0364;rdig und in &#x017F;einer Natur und<lb/>
Rolle &#x017F;o fe&#x017F;t als anmuthig! Er &#x017F;chreibt, nachdem er<lb/>
alles Andere ruhig be&#x017F;prochen, am Schlu&#x017F;&#x017F;e &#x017F;eines na&#x0364;ch¬<lb/>
&#x017F;ten Briefes: <hi rendition="#aq">&#x201E;Je tombe des nues quand vous m'écri¬<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[484/0498] unwillkuͤrliche, ſondern mit Wiſſen und Willen ausgeuͤbte ſind. Daß aber Voltaire in dieſer Art ſich Arges zu Schulden kommen ließ, davon wollen wir nur das eine Beiſpiel anfuͤhren, wo er im Mai des Jahres 1759 an den Koͤnig von Preußen ſo ungebuͤhrliche Scherze gerichtet hatte, daß dieſer am 10. Junius aus ſeinem Hauptquartiere zu Reich-Hennersdorf ihm ernſt und ſcharf antwortete, und ſchließlich in einer Nachſchrift dieſen Verweis ausdruͤckte: „Mais êtes-vous sage à soixante et dix ans? Apprenez à votre âge de quel style il vous convient de m'écrire. Comprenez qu'il y a des libertés permises et des impertinences in¬ tolérables aux gens de lettres et aux beaux esprits. Devenez enfin philosophe, c'est-à-dire raisonnable. Puisse le ciel, qui vous a donné tant d'esprit, vous donner du jugement à proportion! Si cela pouvait arriver, vous seriez le premier homme du siècle, et peut-être le premier que le monde ait porté: c'est ce que je vous souhaiti. Ainsi soit-il.“ Die Zurechtweiſung war in der That wohlverdient, und Vol¬ taire fuͤhlte ihr Gewicht, doch ohne aus der Faſſung zu kommen. Was aber kann er darauf erwiedern, wie ſoll er ſich nun benehmen? Hier zeigt er ſich in der That bewunderungswuͤrdig und in ſeiner Natur und Rolle ſo feſt als anmuthig! Er ſchreibt, nachdem er alles Andere ruhig beſprochen, am Schluſſe ſeines naͤch¬ ſten Briefes: „Je tombe des nues quand vous m'écri¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/498
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/498>, abgerufen am 22.11.2024.