das Goethe mit Herder hatte. Dieses hatte sich be¬ kanntlich sehr unglücklich gestellt. Herder konnte den steigenden Ruhm und den Geniusflug Goethe's nicht ertragen, und wo er etwa noch hätte glauben können es ihm gleichzuthun, da hinderte ihn der geistliche Stand, der überhaupt Herder's Unglück war. Diese Hemmung wollte er sich nun aber zur Tugend aus¬ legen, und machte daraus eine Würde und Heiligkeit, mit denen er seinen Freunden und Nächsten sehr zur Last fiel, und sich selber gegen die zunehmende Gräm¬ lichkeit und Vertrocknung nicht rettete. Auch Schleier¬ macher war durch seinen Stand in seiner freien Ent¬ wickelung gehemmt, und der Gang der theologischen und kirchlichen Sachen zwang ihn, immer mehr in jene Hemmung sich zu fügen. Von solchem Mißverhältniß wollte Goethe ein- für allemal unberührt bleiben, und wiewohl er Schleiermacher's Geist, Scharfsinn, Gelehr¬ samkeit und andre Gaben höchlich anerkannte, so schau¬ derte ihn doch, mit solchen Gaben sich einzulassen, die er gegen die Welt und gegen ihn selbst unwiderruflich schiefgestellt wußte. Ein anderer Grund mag in der äußeren Persönlichkeit gelegen haben, welche für Goethe nothwendig Kraft oder Schönheit haben mußte, wenn er sich mit ihr befreunden sollte. Jung, Klinger, Knebel, Meyer, Zelter, Wolf -- alle waren von großer würdiger Gestalt, von tüchtigen Gliedern, kräftigem Auftreten. --
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das Goethe mit Herder hatte. Dieſes hatte ſich be¬ kanntlich ſehr ungluͤcklich geſtellt. Herder konnte den ſteigenden Ruhm und den Geniusflug Goethe's nicht ertragen, und wo er etwa noch haͤtte glauben koͤnnen es ihm gleichzuthun, da hinderte ihn der geiſtliche Stand, der uͤberhaupt Herder's Ungluͤck war. Dieſe Hemmung wollte er ſich nun aber zur Tugend aus¬ legen, und machte daraus eine Wuͤrde und Heiligkeit, mit denen er ſeinen Freunden und Naͤchſten ſehr zur Laſt fiel, und ſich ſelber gegen die zunehmende Graͤm¬ lichkeit und Vertrocknung nicht rettete. Auch Schleier¬ macher war durch ſeinen Stand in ſeiner freien Ent¬ wickelung gehemmt, und der Gang der theologiſchen und kirchlichen Sachen zwang ihn, immer mehr in jene Hemmung ſich zu fuͤgen. Von ſolchem Mißverhaͤltniß wollte Goethe ein- fuͤr allemal unberuͤhrt bleiben, und wiewohl er Schleiermacher's Geiſt, Scharfſinn, Gelehr¬ ſamkeit und andre Gaben hoͤchlich anerkannte, ſo ſchau¬ derte ihn doch, mit ſolchen Gaben ſich einzulaſſen, die er gegen die Welt und gegen ihn ſelbſt unwiderruflich ſchiefgeſtellt wußte. Ein anderer Grund mag in der aͤußeren Perſoͤnlichkeit gelegen haben, welche fuͤr Goethe nothwendig Kraft oder Schoͤnheit haben mußte, wenn er ſich mit ihr befreunden ſollte. Jung, Klinger, Knebel, Meyer, Zelter, Wolf — alle waren von großer wuͤrdiger Geſtalt, von tuͤchtigen Gliedern, kraͤftigem Auftreten. —
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das Goethe mit Herder hatte. Dieſes hatte ſich be¬
kanntlich ſehr ungluͤcklich geſtellt. Herder konnte den
ſteigenden Ruhm und den Geniusflug Goethe's nicht
ertragen, und wo er etwa noch haͤtte glauben koͤnnen
es ihm gleichzuthun, da hinderte ihn der geiſtliche
Stand, der uͤberhaupt Herder's Ungluͤck war. Dieſe
Hemmung wollte er ſich nun aber zur Tugend aus¬
legen, und machte daraus eine Wuͤrde und Heiligkeit,
mit denen er ſeinen Freunden und Naͤchſten ſehr zur
Laſt fiel, und ſich ſelber gegen die zunehmende Graͤm¬
lichkeit und Vertrocknung nicht rettete. Auch Schleier¬
macher war durch ſeinen Stand in ſeiner freien Ent¬
wickelung gehemmt, und der Gang der theologiſchen
und kirchlichen Sachen zwang ihn, immer mehr in jene
Hemmung ſich zu fuͤgen. Von ſolchem Mißverhaͤltniß
wollte Goethe ein- fuͤr allemal unberuͤhrt bleiben, und
wiewohl er Schleiermacher's Geiſt, Scharfſinn, Gelehr¬
ſamkeit und andre Gaben hoͤchlich anerkannte, ſo ſchau¬
derte ihn doch, mit ſolchen Gaben ſich einzulaſſen, die
er gegen die Welt und gegen ihn ſelbſt unwiderruflich
ſchiefgeſtellt wußte. Ein anderer Grund mag in der
aͤußeren Perſoͤnlichkeit gelegen haben, welche fuͤr Goethe
nothwendig Kraft oder Schoͤnheit haben mußte, wenn
er ſich mit ihr befreunden ſollte. Jung, Klinger,
Knebel, Meyer, Zelter, Wolf — alle waren von großer
wuͤrdiger Geſtalt, von tuͤchtigen Gliedern, kraͤftigem
Auftreten. —
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/495>, abgerufen am 23.11.2024.
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